Schweizer Medien überbieten sich gerade mit Artikeln, die sich den Fragen widmet: Kann eine Mutter Bundesrätin sein? Ist eine solche Frage dumm und/oder diskriminierend? Warum spielt das überhaupt eine Rolle? ... und so weiter. Ich bin sicher, das wird nun wochenlang so gehen, darauf sollten wir uns einstellen.

Besonders berührt – auf verschiedene Arten – hat mich dabei Jonas Projer, Chefredaktor der NZZ am Sonntag. In seinem Kommentar erklärte er mir, warum Männer wie Frauen halt einfach nicht alles haben könnten. Er verwies auf den Schmerz, den man spürt, wenn man immer nur noch zu schlafenden Kindern heimkommt. Ich vermute, der mehrfache Vater spricht hier aus Erfahrung, darum hat mich sein Kommentar eben nicht nur rasend wütend, sondern auch traurig gemacht.

Kriterien ändern sich, die Machtverhältnisse verschieben sich

Worum es in dieser ganzen Diskussion geht? Um Macht. Ganz konkret  um die Frage, was die entscheidenden Kriterien sein sollen, nach denen eine Gruppe jemandem eine öffentliche Führungsposition zugesteht – in Organisationen, Firmen, Politik. Diese Kriterien sind einerseits nicht, wie gerne behauptet wird, vollständig objektiv messbar. Schon gar nicht im Vornherein, wenn jemandem ein Posten zunächst einmal einfach zugetraut wird. Andererseits werden die Kriterien auch kulturell festgelegt.

Olivia Kühni
Die Kriterien für diese öffentlichen Führungspersonen ändern sich. Und damit ändert sich auch die öffentliche Meinung darüber, wer in den Augen vieler Menschen künftig für solche Posten in Frage kommt. Oder eben nicht.

Was gerade passiert – also wofür die Aussage «eine junge Mutter im Bundesrat» auch ein Code ist –, ist Folgendes: Die Kriterien für diese öffentlichen Führungspersonen ändern sich. Und damit ändert sich auch die öffentliche Meinung darüber, wer in den Augen vieler Menschen künftig für solche Posten in Frage kommt. Oder eben nicht.

Diese Veränderung ist nicht trivial. Sie ist dramatisch. Denn sie ändert die Machtverhältnisse.

Organisation, Teamarbeit und Vertrauen lösen ständige Präsenz ab

Wie also ändern sich die Kriterien? Und was bedeutet das? Die zwei wichtigsten Punkte.

Erstens: Die absolute Aufopferung für den Beruf und eine damit einhergehende Abhärtung werden weniger wichtig. Es zählt nicht mehr so sehr, dass man perfektioniert hat, ein Mann ohne Privatleben zu sein, ohne Verletzlichkeit, ohne Angreifbarkeit. Vielmehr zählt stattdessen, ein ganzer Mensch zu sein und auch mal Schwäche zu zeigen und zu Fehlern stehen zu können.

Ist das eine Verschiebung hin zu traditionell weiblich konnotierten Eigenschaften? Natürlich ist es das. Endlich! Tut dies manchen weh? Mit 100-prozentiger Sicherheit: Ja. Nicht nur verlieren manche Menschen die ihnen bislang zugeschriebene Machteignung. Sie müssen auch feststellen, dass sie ihr Menschsein und ihr Privatleben für absolut gar Nichts geopfert haben. Kein Wunder, wehren sie sich mit allem, was sie haben, gegen diese Veränderung.

Nicht nur verlieren manche Menschen die ihnen bislang zugeschriebene Machteignung. Sie müssen auch feststellen, dass sie ihr Menschsein und ihr Privatleben für absolut gar Nichts geopfert haben.

Zweitens: Ständige Präsenz, Kontrolle und individuelle Machtdemonstration verlieren an Bedeutung. Sie werden weniger wichtig. Stattdessen zählen Organisation, Teamarbeit, Vertrauen und gemeinsame Ergebnisse mehr. Diese Entwicklung bevorzugt bestimmte Menschen. Dazu gehören gerade junge erwerbstätige Mütter. Sie sind supergut, wenn es um Organisation, Teamarbeit und Vertrauen geht. Nur so können sie überhaupt funktionieren – wären sie das nicht, wären sie weg vom Fenster. Andere können dafür auf diesen neuen Spielfeldern weniger gut mithalten. Finde ich das gut? Hell yes. Finden das Leute gut, deren Stärke ihre uneingeschränkte Präsenz war? Hell no.

Darum, lasst euch nicht täuschen: Es geht bei dieser Diskussion um «junge Mütter im Bundesrat» schlicht und einfach um Macht.

Dieser Text erschien zunächst als Beitrag in den sozialen Medien und wurde mit Genehmigung der Autorin übernommen. Olivia Kühni ist Autorin und Journalistin. Sie hat unter anderem das Online-Magazin Republik mit aufgebaut. 2020 und 2021 wurde sie als Wirtschaftsjournalistin des Jahres ausgezeichnet.

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