Wir fragen Männer, was sonst nur Frauen gefragt werden. Damit wollen wir  einen Dialog über Stereotypen in Gang setzen, zum Nachdenken und Schmunzeln anregen, aber auch Toxizität entlarven.

Der 25-jährige Flavien Gousset arbeitet bei der SP als Campaigner und produziert Instagram-Videos, in denen er die aktuellen Volksabstimmungen erklärt. Uns verrät er seine Haarroutine und erklärt, warum er keine Werbung für Beauty-Produkte machen will.

Flavien, geile Haare! Wie pflegst du die?

(Kichert.) Diese Frage wird mir auf Social Media tatsächlich häufiger gestellt! Es ist eigentlich sehr unspektakulär: Ich benutze das Shampoo, das gerade in der Dusche steht. Und wenn ich es bin, der eines kaufen gehen muss, ist es ein ziemlicher Zufallsentscheid. Wobei, das ist nicht ganz alles. Vor einem halben Jahr habe ich gecheckt, dass die Haare lockiger werden, wenn man sie nach dem Waschen in ein T-Shirt wickelt und dann eine halbe Stunde so trocknen lässt. Wenn ich genug Zeit habe, mache ich das. Natürlich auch, um endlich auf die Frage nach meiner Haarroutine eine Antwort zu haben.

(Flavien bindet die Haare leicht verlegen mit einem bordeauxroten Scrunchie zusammen.)

Du machst ja diese härzigen Polit-Videos auf Instagram. Wie ist es dazu gekommen?

Ich habe gemerkt, dass es in den sozialen Medien fast keine persönlichen Erklärvideos zu Abstimmungen gab. Dann habe ich ein Jahr lang gedacht: «Es wäre eigentlich noch cool, das zu machen.» Dann habe ich es gemacht. Und weil die Leute es gut fanden und es auch mir viel gibt, habe ich seither nicht mehr damit aufgehört.

Denkst du, es hilft deinem Reach, dass du megaschön bist?

(Verschluckt sich fast an seinem Kaffee.) Ich dachte mir noch, dass etwas in diese Richtung kommen wird. Und das ist genau so eine Frage, auf die ich keine richtige Antwort weiss.

Komm schon.

Ich glaube, es gibt durchaus Studien, die belegen, dass man Leuten länger und lieber zuhört, wenn sie einem gefallen. Das führt vielleicht dazu, dass Leute, die mich schön finden, beim Scrollen eher bei meinen Videos hängenbleiben. Aber ob man sich wirklich ein elfminütiges Video anschaut, nur deswegen … Ich glaube, das muss über den Inhalt geschehen.

... sorry, ich habe dir nicht zugehört. Ich war abgelenkt von deinen schönen Augen.

(Kichert.)

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Hast du eine Freundin?

Ja.

Schade. Jedenfalls: Du bist ja noch sehr jung, hast du nicht Angst, dass dir deine Instagram-Videos später mal peinlich sein werden?

Nein, diesen Gedanken hatte ich tatsächlich noch nie. Ich fühle mich im Moment sehr wohl mit den Inhalten dieser Videos. Und ich glaube, selbst wenn ich später einmal eine andere Meinung zu einem Thema habe, dann kann ich durchaus anerkennen, dass sich Menschen nun einmal verändern und entwickeln. Und das fände ich dann eher spannend als peinlich.

Bist du eigentlich einfach die männliche Version von Anna Rosenwasser?

Haha. Anna und ich unterscheiden uns in ziemlich vielen Punkten. Aber wir haben sicher gemeinsam, dass wir es wichtig finden, dass sich mehr junge Menschen für Politik interessieren und sich genügend informiert fühlen, um sich für eine Sache einzusetzen.

Flavien Gousset
Ich fühle mich im Moment sehr wohl mit den Inhalten dieser Videos. Und ich glaube, selbst wenn ich später einmal eine andere Meinung zu einem Thema habe, dann kann ich durchaus anerkennen, dass sich Menschen nun einmal verändern und entwickeln.

Sind die jungen Leute denn nicht genügend informiert, was Politik angeht?

Ich glaube, viele sind einfach überfordert. Verständlicherweise! Als meine Schwester zum ersten Mal abstimmen durfte, war das Couvert mit den Abstimmungsunterlagen besonders dick: Fünf nationale Abstimmungen standen an, dazu noch mehrere kantonale und städtische. Sie öffnete es und sagte zu mir: «Flavien, ich verstehe schon, warum so viele Junge nicht abstimmen. Diese Unterlagen geben mir das Gefühl, ich bin zu dumm dafür – das ist so unübersichtlich!»

Das geht wahrscheinlich nicht nur den Jungen so …

Klar. Bei den Jungen anzusetzen, ist aber besonders sinnvoll, weil Studien zeigen, dass wer einmal abstimmt, mit höherer Wahrscheinlichkeit auch beim nächsten Mal abstimmt. Je früher man das lernt, desto besser. Aus dieser Motivation ist übrigens auch die Videoreihe «Zäme abstimme» von Anna Rosenwasser und mir entstanden, in der wir via Insta-Live mit unseren Follower:innen Schritt für Schritt zusammen abstimmen. Niemand soll sich zu dumm dafür vorkommen.

2019 hast du für die SP als Jüngster für den Nationalrat kandidiert. Sind so junge Männer überhaupt schon bereit für derart grosse politische Ämter?

Ich würde nicht kategorisch ausschliessen, dass man mit Anfang zwanzig bereit ist, um im Nationalrat mitzuarbeiten. Ich persönlich wäre bei einer Wahl aber wohl sehr, sehr sehr überfordert gewesen. Aber ich wusste von Anfang an, dass ich nicht gewählt werde – ich habe also auch nicht deswegen kandidiert.  

Sondern?

Ich wollte herausfinden, was alles zu einer Nationalratskampagne gehört und wollte mich auch in eine Situation bringen, in der ich gezwungen war, alle meine Beobachtungen, losen Gedanken und Utopien auf ein paar wenige, vermittelbare Punkte herunterzubrechen.

Deine Videos auf Insta sind sehr gut ausrecherchiert ...

(Grinst breit.) Oh, danke. Das freut mich natürlich besonders, dass eine Journalistin das sagt!

… gern geschehen. Aber worauf ich hinaus will: Schreibst du das Skript jeweils wirklich selber?

(Stolz) Ja! Das schreibe ich bis auf das letzte Wort selber, die Kontrolle könnte ich nie abgeben. Allerdings: Ab und an, etwa beim Video zum Mediengesetz, haben mir Freund:innen bei der Recherche geholfen. Und auch den Dreh und den Schnitt muss ich nicht alleine mache. Für die Unterstützung bin ich megadankbar.

Männer sind ja bekanntlich sehr perfektionistisch. Wie viel Zeit brauchst du jeweils für die Videos?

Zwischen zwei und vier Arbeitstage.  Ich brauche heute übrigens länger als am Anfang. Heute erreiche ich viel mehr Leute als früher, und mit dem Publikum wächst auch mein Anspruch an mich – und damit der Aufwand für die Videos. Es fühlt sich anders an, wenn plötzlich nicht mehr ein paar Zehntausend, sondern potenziell über eine Million Menschen deine Videos schauen – wie bei demjenigen zur AHV-Abstimmung. Das war krass, ich wusste nicht einmal, dass sich auf Instagram und TikTok eine Million Menschen für Politik interessieren.

Du bekommst sicher viele Anfragen für Beauty-Kollaborationen. Verdienst du eigentlich Geld mit deinem Instagram-Account?

Nein. Ich bekomme zwar immer wieder Anfragen, allerdings bisher nicht für Beauty-Kollaborationen. Aber für mich ist es keine Option, auf meinem Insta-Kanal bezahlte Werbung für ein Produkt oder Unternehmen zu machen. Es stimmt für mich nicht mit meiner Haltung überein: Ich möchte nicht Menschen dazu aufrufen, etwas zu kaufen, und ihnen so das Gefühl geben, dass politische Veränderungen durch Kaufentscheide gemacht werden. Ich verurteile es aber nicht, wenn andere das tun – ich bin ja auch in der privilegierten Situation, dass ich es mir leisten kann, solche Angebote abzulehnen. Es gibt auch Influencer:innen, die darauf angewiesen sind, weil Instagram ihr Haupteinkommen ausmacht.

Flavien Gousset
Es fühlt sich anders an, wenn plötzlich nicht mehr ein paar Zehntausend, sondern potenziell über eine Million Menschen deine Videos schauen – wie bei demjenigen zur AHV-Abstimmung.

Dein Video zur AHV-Reform erreichte über eine Million Menschen. Macht es dich traurig, dass die Reform trotzdem angenommen wurde?

Es hat mich natürlich angeschissen, und klar war ich auch einen Moment lang traurig. Aber vor allem tut es mir schrecklich leid für die Menschen, die von der Rentenaltererhöhung direkt betroffen sind. Da arbeitest du ein Leben lang hart und kurz vor der Pensionierung drücken dir die Gutverdiener ein zusätzliches Arbeitsjahr rein, das ist schon tough. Ich habe nach der Annahme einige Nachrichten erhalten von Frauen, die mir schrieben, dass sie einfach nicht mehr können. Dass sie müde sind und dieses Abstimmungsresultat eine Zumutung finden. Das sehe ich auch so.

Apropos Leute, die dir schreiben: Du kriegst sicher viel Fanpost auf Instagram. Wie oft hast du schon ungefragt ein Pussypic zugeschickt bekommen?

(Lacht laut.) Noch nie!

Und Leute, die mit dir flirten in den DMs, gibts das?

Das passiert ab und zu. Kürzlich schrieb mir jemand, sie fände mein Engagement ja schön und gut und das Video zur AHV-Initiative sei sicher in Ordnung, aber sie habe ehrlich gesagt einfach sechs Minuten mein Gesicht angeschaut.

Ha! Siehst du, dann ist dein Aussehen also doch mitverantwortlich für deinen Erfolg.

Haha, stimmt, das widerspricht jetzt natürlich dem, was ich eingangs gesagt habe. Aber das war die einzige Nachricht, bei der das explizit gesagt wurde. Ich wusste auch nicht, was ich darauf antworten soll, und habe tatsächlich nichts zurückgeschrieben. Normalerweise beantworte ich auch die ausgefallensten Nachrichten.

Flavien Gousset
Kürzlich schrieb mir jemand, sie fände mein Engagement ja schön und gut und das Video zur AHV-Initiative sei sicher in Ordnung, aber sie habe ehrlich gesagt einfach sechs Minuten mein Gesicht angeschaut.

Welche Leute erreichst du eigentlich auf Insta, einfach die übliche grüne, linksversiffte Bubble?

Wie schön wäre es, wäre diese Bubble eine Million Menschen gross! Meine Follower:innen sind zum grössten Teil unter 30 Jahre alt, aber es hat auch  Grosseltern von jungen Follower:innen darunter, deren Enkel ihnen mein Video geschickt haben und die mir heute Ferienfotos senden mit dem Vermerk «Liebe Grüsse, Ruth». Und dann erreiche ich halt je nach Thema mit den Videos sehr unterschiedliche Leute. Als ich eins zum Jagdgesetz gemacht habe, bekam ich plötzlich sehr viele Zuschriften von Wolfsfreund:innen aus Bergkantonen. Das ist eine total andere Gruppe als die, die mir sonst folgen. Und das ist natürlich auch für mich immer wieder spannend, einen Austausch mit Menschen ausserhalb meiner Bubble zu haben.

Eine deiner weitreichendsten Aktionen war sicher der Aufruf, dass Frauen dir Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt zuschicken sollen. Ein paar davon hast du veröffentlicht. Warum hast du das Gefühl, es ist okay, das als Mann zu tun?

Am Ursprung dieser Aktion stand, dass ich selber gecatcalled wurde. Ich fand das wahnsinnig unangenehm, und ich wusste, dass das weiblich gelesenen Person sehr häufig passiert. Daraufhin habe ich meine Followerinnen gefragt, ob sie solche Erlebnisse öffentlich teilen möchten. Daraufhin wurde ich richtiggehend überflutet mit Nachrichten, die ich alle anonymisiert geteilt habe. Da die betroffenen Frauen mir ihre Geschichten mit genau dieser Erwartung zuschickten, habe ich zwei, drei Tage gefühlt nichts mehr anderes gemacht. Ich habe dabei viel gelernt und denke, viele meiner Follower auch.  

Eine deiner prominentesten Unterstützerinnen ist Jacqueline Badran. Steht hinter jedem erfolgreichen Mann also tatsächlich eine starke Frau?

Hahaha. Es gibt definitiv schlechtere Telefonjoker als Jacqueline Badran. Ich schätze es sehr, dass ich sie bei Fragen anrufen kann und sie beim fünften Mal sogar abnimmt. Manchmal ruft aber auch sie mich an: Nachdem ich mein Video zur AHV-Initiative veröffentlicht hatte, teilte sie mir mit, sie sei ganz erstaunt, dass ich das ohne ihre Hilfe so gut hingekriegt hätte.

Wie weit gehst du für eine Rolle, Carlos Leal?
Carlos Leal ist Schauspieler und lebt mit seiner Familie in Los Angeles. In den Männerfragen spricht er darüber, wie männerfeindlich Hollywood wirklich ist und mit welcher Diät er sich auf Rollen vorbereitet.
Hat es sich gelohnt, Polit-Influencer zu werden, Nicola Forster?
Bei dir müssen wir heute grad mit der Frisur anfangen. Das bist du dir ja schon gewöhnt. Also: Wie kringeln sich deine Locken so flott? Das ist Natur pur. Machst du wirklich nichts mit deinen Haaren? (Blickt zur Decke und überlegt lange.) Doch, ich habe so eine Lockencreme. Das Problem