In Teil 1 dieser Interviewserie «Feindbild Feminismus» befragt unsere Redaktorin Miriam Suter die Autorin Susanne Kaiser zu frauenverachtenden politischen und gesellschaftlichen Gruppierungen wie den Maskulinisten.  

In Ihrem Buch «Politische Männlichkeit» schreiben Sie: «Der autoritäre Backlash ist männlich.» Was meinen Sie damit?

Was wir seit 20 Jahren erleben, ist der neue Aufstieg von autoritären Bewegungen. Diese Bewegungen stellen Frauenrechte und Rechte für Minderheiten infrage und damit auch die Demokratie an sich. Man hat lange übersehen, dass es in diesen Bewegungen auch eine Gender-Dimension gibt: Antifeminismus ist ein zentraler Teil davon. Bei näherer Betrachtung sind diese Bewegungen faktisch männlich. Die AfD wird beispielsweise von Populismusforscher:innen auch Männerpartei genannt. Die einzigen beiden Frauen, die hervorstechen, sind Alice Weidel und Beatrix von Storch. Lange Zeit wurde die AfD überwiegend von Männern gewählt, die Programme werden von und für Männer geschrieben – damit ist die Partei also auch programmatisch männlich.

Was bedeutet das?

Bei der AfD herrscht ein ganz bestimmtes Bild von Männlichkeit. Privilegien und die gesellschaftliche Dominanz von Männern werden besonders gestärkt; und damit gewinnt die Partei letztlich Stimmen. Das betrifft nicht nur die AfD. Ganz allgemein soll bei den autoritären Bewegungen das Männlichkeitsbild des  «Alphamannes» wiederhergestellt werden. Dahinter steckt ein reaktionärer Antrieb: Man will nicht etwa die Gesellschaft aus den 1960er-Jahren zurück, sondern eine idealisierte Vorstellung der damals männlich geprägten Welt.

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Wer gehört neben der AfD und anderen rechtskonservativen Parteien zu dieser Bewegung?

Während der Recherche für mein Buch habe ich drei grosse Gruppen ausgemacht, die sich nicht nur ideologisch überschneiden, sondern sich regelrecht zu Allianzen zusammenschliessen: Das sind zum einen die Rechten – von Rechtspopulisten bis hin zu Rechtsterroristen –, die Fundamentalisten, also die religiösen Hardliner, und die Gruppe der Maskulinisten. Das zentrale Anliegen dieser dritten Gruppe ist die Durchsetzung des reinen «male privilege». Der Zusammenschluss dieser drei Gruppierungen zeigt ganz klar, dass es bei diesem Backlash um Männlichkeit geht und um alles, was damit zusammenhängt: Um den sogenannten Genderwahn, um Antifeminismus und um den Kampf gegen die Rechte von LGTBQIA+-Personen.

Wer sind die Maskulinisten, und inwiefern bilden sie Allianzen mit den Rechten und Fundamentalisten?

Zu der Gruppierung der Maskulinisten zählen beispielsweise Pick-up-Artists. Also Männer, die toxische Beziehungstipps geben und damit auch Geld verdienen. Die haben gerade in den USA massiv in der Alt-Right-Bewegung mitgemischt. Incels gehören auch dazu. Also Männer, die vielleicht noch nie in ihrem Leben Sex hatten oder überhaupt je eine Form einer romantischen Beziehung – und die den Frauen die Schuld daran geben und sich im Internet mit anderen Frauenhassern austauschen. Der Ausdruck Incel kommt von «involuntary celibate», also «unfreiwillig enthaltsam». Alle diese Arten von Männern nennt man «male supremacists»: Sie wollen eine reine männliche Herrschaft. Und sie haben in den letzten Jahren immer mehr Einfluss gewonnen, gerade auf der gesellschaftlichen und politischen Ebene.

Susanne Kaiser, Autorin «Politische Männlichkeit»
Der Zusammenschluss dieser drei Gruppierungen zeigt ganz klar, dass es bei diesem Backlash um Männlichkeit geht und um alles, was damit zusammenhängt.

Inwiefern?

Einerseits überschneiden sie sich mit der neuen rechten politischen Bewegung ideologisch. Beide Gruppen konstruieren den Feminismus als Verschwörung und geben ihm die Schuld an den «Missständen», die wir heute in unserer Gesellschaft haben: Eine verweichlichte, verweiblichte Gesellschaft, die nicht mehr wehrhaft ist. Das ist eine Rhetorik, die teilweise medial schon seit mehreren Jahren übernommen wird. Aktuell sehen wir das, wenn es um den Krieg in der Ukraine geht: Ulf Poschardt, der Chefredaktor der konservativen «Welt» in Deutschland, schrieb in einem Kommentar, die deutsche Gesellschaft sei einfach nicht mehr wehrhaft mit einer feministischen Aussenpolitik. Der starke Mann in Russland habe deshalb keine Angst mehr und könne den Westen überrennen. Ähnlich klingt die Rhetorik bei den Incels: Bei ihnen ist der Feminismus daran schuld, dass Frauen nun selber entscheiden können, mit wem sie zusammenleben wollen – und sie deshalb keine Frauen mehr abbekommen. Bei den Fundamentalisten wird es oft apokalyptisch: Wenn Frauen selber über ihren Körper entscheiden können, bekämen sie keine Kinder mehr und würden nur noch Karriere machen. Oder schlimmer, sie würden lesbisch! Oder sie trieben ab! Und deshalb sterbe die Menschheit aus.

Sie sprechen davon, dass autoritäre Bewegungen ein bestimmtes Männlichkeitsbild, den «Alphamann», wiederherstellen wollen. Was ist das für ein Mann?

Da gehts um mehrere Elemente, die in hegemonialer Männlichkeit konstruiert werden: Früher war das vor allem eine soldatische Männlichkeit, heute gehts um den «Alphamann». Dieses Ideal sieht vor, dass Männer immer die Kontrolle haben und stark sowie überlegen sein müssen und das aufgrund ihrer Biologie auch sind. Das ist ein besonders wichtiger Punkt, weil in der Politik so viele Dinge als Kontrollverlust inszeniert und instrumentalisiert werden können: Der Wandel des Männlichkeitsbildes, den wir gerade erleben, ist sofort ein Kontrollverlust, wenn wir uns in einer Krise befinden. Und das kann jede Krise sein, egal ob eine Pandemie oder ein Krieg.

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Was wäre eine alternative Männlichkeit dazu?

Ich habe mir dazu schon viele Gedanken gemacht. Wie könnte eine solche Alternative aussehen? Braucht es eine väterliche Männlichkeit, oder eine «caring masculinity»? Ich glaube mittlerweile, dass es vielleicht gar keine alternative Männlichkeit gibt zu derjenigen, die wir momentan sehen. Ist es nicht viel eher die Männlichkeit als solche, die gerade an ihr Ende kommt, weil sie als toxisch, problematisch und nicht mehr als Norm verstanden wird? Ich denke, diese Fragen stellen sich viele, und deshalb ist dieser Kampf, dieses Aufbäumen auch so heftig.

Über die Anfänge dieses Aufbäumens schreiben Sie auch in Ihrem Buch.

Genau. Das hat viel mit den jüngeren Erfolgen des Feminismus zu tun. Ich würde die Anfänge dort verorten, wo der Feminismus breitenwirksam wurde und gerade in deutschsprachigen Ländern nicht mehr nur von einer kleinen Elite angeführt wurde. Das ist durch das Internetzeitalter geschehen, deshalb spreche ich auch von den letzten 20 Jahren: Das Internet ist eine Gegenöffentlichkeit, die nicht so hierarchisch strukturiert ist, wo es keine gläserne Decken oder Gatekeeper gibt. Und im Gegenteil zur analogen Wirklichkeit kann sich hier jede:r Gehör verschaffen. Frauen und andere Minderheiten konnten sich durch das Internet Räume erkämpfen wie niemals zuvor. Weil die digitale und die analoge Welt inzwischen so durchwirkt sind, dass man sie eigentlich nicht mehr trennen kann, hat das auch riesige Umwälzungen für die analoge Wirklichkeit nach sich gezogen. Das sah man unter anderem bei #MeToo, zumindest in den USA. Und auch in Deutschland ist es nicht mehr einfach so möglich, spätestens seit der #Aufschrei-Kampagne von 2013, dass beispielsweise prominente Politiker junge Journalistinnen anmachen. Es weht ein neuer Wind, und das haben viele gemerkt. Dadurch wird die männliche Rolle, das als universell angesehene männliche Denken infrage gestellt – und die Gegenreaktion ist entsprechend heftig. Der Kampf wird auch im Internet geführt, in der Manosphere. Dort kommen diese autoritären Bewegungen auch wieder zusammen.

Susanne Kaiser, Autorin «Politische Männlichkeit»
Braucht es eine väterliche Männlichkeit, oder eine «caring masculinity»? Ich glaube mittlerweile, dass es vielleicht gar keine alternative Männlichkeit gibt zu derjenigen, die wir momentan sehen.

Was ist die Manosphere?

Die Manosphere wird gern als grosses «dark social web» bezeichnet. Das sind etwa Foren oder Websites, die exklusiv für Männer da sein sollen. In vielen dieser Foren werden maskulinistische Themen behandelt: Mitglieder diskutieren dort, warum Frauen biologisch und gesellschaftlich minderwertig sind, und teilen frauenverachtende Pornos, gewaltverherrlichende Videos und Memes. In diesen Foren gibt es kein Korrektiv, da treffen sich nur Gleichgesinnte, die schon frauenfeindlich eingestellt sind. Dadurch setzt sich eine gewisse Hassspirale und Radikalisierung in Gang. Die Manosphere ist unglaublich fluide: Viele Websites werden schnell gelöscht, weil oft auch illegale Inhalte verbreitet werden. Einige Foren, die ich vor ein paar Jahren für mein Buch untersucht habe – zum Beispiel 8kun – sind bereits wieder gelöscht. Die Karawane zieht dann aber einfach weiter.

Was genau steht in diesen Foren?

Am Beispiel der Incels, die ich vorher angesprochen habe, kann man das gut erklären. Die Incels sehen sich als «Betamänner», als Gegenteil zu den «Alphamännern». Es geht viel um Biologismus: Man wird als «Alphamann» geboren, also gut aussehend, gesellschaftlich und beruflich erfolgreich. Oder eben als «Betamann», hässlich und der klischierte Loser, der nur vor dem PC hängt. Frauen sind in dieser Welt extrem oberflächlich und ausschliesslich auf Sex und Status aus. Deshalb suchen sie sich auch nur diese «Alphamänner» aus, und alle anderen gehen leer aus. Paradoxerweise geht es in diesen Foren oft um ein Phänomen, das man «Looksmaxing» nennt: Man versucht, via Schönheitsoperationen oder andere Eingriffe sein Aussehen zu optimieren und so doch noch eine Frau zu bekommen. Wenn das nicht klappt, gibt es eigentlich nur zwei Auswege: Den Suizid – das legen sich die User gegenseitig oft in einem sehr zynischen, sehr rauen Ton nahe – oder aber den Gesellschaftsumsturz. Der wird «incel rebellion» oder «beta uprising» genannt. Das ist die Vorstellung, die Gesellschaft durch orchestrierte Anschläge umzustürzen und eine Welt zu schaffen, in der Incels herrschen und sich Frauen einfach zuteilen können.

Das klingt furchtbar. Und solche Anschläge gab es bereits?

Absolut. Die werden allerdings nicht so richtig wahrgenommen. Wenn wir ab 2014 mit dem Amoklauf auf Isla Vista von Elliot Rodger zählen, dann sind es bisher ungefähr 20 solcher Anschläge, das ist eine ganze Menge. Und hier sind Anschläge wie etwa derjenige von Stephan Balliet noch nicht miteinbezogen: Baillet gilt zwar zu Recht als Rechtsterrorist, aber auch er hat die Incel-Ideologie verinnerlicht und sich damit beschäftigt. Er war er auch selber einer: Er sagte beispielsweise einmal, dass alles anders gelaufen wäre, hätte er eine Frau gehabt in seinem Leben. Das wahrscheinlich bekannteste Incel-Attentat war 2018 in Toronto: Ein junger Mann fuhr mit einem gemieteten Van in eine Gruppe Menschen mit der Absicht, vor allem Frauen zu töten, wie er später angab. Er tötete zehn Menschen und verletzte 15.  

Den zweiten Teil des Interviews zum Thema «Feindbild Feminismus» liest du hier in einer Woche. Darin sprechen wir mit Susanne Kaiser über die religiösen anti-feministischen Gruppierungen und die Rolle der Frauen innerhalb rechtskonservativer Bewegungen.

Susanne Kaiser ist Journalistin und politische Beraterin. Sie schreibt unter anderem für Die Zeit, die Neue Zürcher Zeitung und DER SPIEGEL. Ihr Buch «Politische Männlichkeit» erschien 2020 beim Suhrkamp Verlag. (Foto: Jakob Krais)
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