Wir fragen Männer, was sonst nur Frauen gefragt werden. Wir wollen damit einen Dialog über Stereotypen in Gang setzen, zum Nachdenken und Schmunzeln anregen, aber auch Toxizität entlarven.

Unser heutiger Kandidat Jonathan «Jontsch» Schächter gehörte zu den bekanntesten Radio- und TV-Moderator:innen. Heute führt er ein Restaurant und berät Nachwuchstalente. In unseren Männerfragen macht er sich Gedanken über #MediaToo und sinniert darüber, ob man das Gegenüber vor dem Küssen um Erlaubnis fragen sollte.

Jontsch, bist du ready? Ich nehme unser Gespräch ab jetzt auf.

Ah, du nimmst auf? Ich habe aber keine gute Stimme für Tonaufnahmen – hehe.

Haha.

Ich habe übrigens ein bisschen Angst vor dir.

Angst? Weshalb?

Weil du knallhart bist.

Keine Sorge, ich werde sanft sein zu dir. Fangen wir ganz easy an: Auf deiner Website sind die «latest news» von 2017, als du zu Radio Energy zurückgekehrt bist. Schämst du dich dafür, was seither passiert ist?

Nein, gar nicht. Es ist einfach so viel passiert, dass ich gar keine Zeit hatte, die Website zu aktualisieren. Und ich finde mich selbst auch nicht wichtig genug, um den Leuten ständig zu sagen, was ich gerade so mache. Ausserdem ist Instagram viel unkomplizierter als eine Website.

Jontsch
Morgensendungen zu moderieren ist ein bisschen wie Spitzensport: Du stehst jede Nacht um halb drei auf und gehst arbeiten, musst immer topmotiviert und kreativ sein.

Ziemlich bescheiden für einen Mann. Was ist denn seither so passiert bei dir?

Wie du ja weisst, ging ich 2017 zurück zu Radio Energy und habe im Wechsel mit Roman Kilchsperger die Morgenshow moderiert. Dann passierte Covid, und damit begann für mich quasi eine neue Zeitrechnung. Ich habe praktisch Knall auf Fall entschieden, das Radio zu verlassen. Morgensendungen zu moderieren ist ein bisschen wie Spitzensport: Du stehst jede Nacht um halb drei auf und gehst arbeiten, musst immer topmotiviert und kreativ sein. Ich hatte das dringende Bedürfnis, herunterzufahren, und zog mich darum ein paar Monate in meine Wohnung in Klosters zurück. In dieser Zeit entstand zusammen mit meinem Geschäftspartner die Idee für das Restaurant «Gondelgärtli» in Zürich, das bis heute tatsächlich sehr gut läuft.

Auf Instagram postest du ja …

… hast du mich auch gestalkt?

Logo. Jedenfalls postest du dort Fotos von dir mit deiner Harley Davidson, du bist seit Jahren begeisterter Fahrer. Bist du schon in der Midlife-Crisis angekommen?

Haha. Dann wäre ich damals mit 33 in dieser Krise angekommen? Ja, kann sein. Bei mir passierte immer alles etwas früher – ich mache ja Radio, seit ich 13 bin. Damals habe ich meine erste Sendung bei Radio LoRa moderiert, später sass ich bei Patricia Boser in der Sendung und habe dadurch bereits früh die wichtigen Leute der Szene kennengelernt. Mit 14 habe ich mich übrigens bei Radio 24 beworben, weil ich dachte, ich sei schon total bereit für eine eigene Sendung.

Ganz schön selbstbewusst.

Ja, ich habe dort tatsächlich jeden zweiten Tag angerufen und ging denen wohl einfach irgendwann so auf die Nerven, dass sie mich tatsächlich zum Vorstellungsgespräch für eine Jugendsendung eingeladen haben, die eigentlich erst ab 16 war. Aber zurück zu deiner Frage: Ich liebe einfach Motorräder. Ich finde, das ist etwas vom Geilsten: Eine Stunde Töfffahren ist für mich wie Ferien. Mit Harley Davidson konnte ich eine super Partnerschaft machen, sie schenkten mir eine Zeit lang jedes Jahr eines der neuesten Modelle. Darum ist das für mich weniger Midlife-Crisis, ich würde es eher als Lebensgefühl beschreiben, das mir Spass macht und sehr viel gibt. Aber ich bin ja jetzt 41, ein bisschen Midlife-Crisis ist eigentlich auch ganz okay.

Jontsch
Ich bin jetzt seit zehn Jahren Single, hatte aber sensationelle, schwierige, interessante, liebevolle und herausfordernde Beziehungen.

Was ist mit Familie? Du bist ja schon fast zu alt, um Vater zu werden.

Ich mag solche Stigmata nicht. Alle Menschen sollen ihr Leben so leben können, wie es für sie stimmt – so wurde ich auch erzogen. (Schweift ab und schwadroniert darüber, dass Toleranz für alle Menschen gilt, unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht und Religion und darüber, wie gut er es findet, dass die Frauen für ihre Rechte auf die Strasse gehen.)

Du musst jetzt nicht meiner Frage ausweichen.

Haha, stimmt. Gut: Ich bin jetzt seit zehn Jahren Single, hatte aber sensationelle, schwierige, interessante, liebevolle und herausfordernde Beziehungen. Bisher hat es sich für mich jedoch einfach nicht ergeben, über Kinder nachzudenken. Aber wenn die richtige Frau vor mir steht, dann macht es vielleicht plötzlich «klick».

Naja, mit 41 macht es eher «ticktack».

Jaaa, schon gut. Ich weiss, worauf du hinaus willst. Jedenfalls: Ich bin komplett offen, ich kann mir auch vorstellen, mit 50 noch Vater zu werden. Oder auch nicht! Ich habe Nichten und Neffen, die ich über alles liebe. Und ich war noch nie einer, der etwas hinterherrennt, das er nicht hat.

Du bist nach jüdischer Tradition aufgewachsen. Bist du eigentlich beschnitten?

Ja. Ich würde gern sagen: since day one, aber es ist seit Tag acht meines Lebens. Dann wird man nach jüdischer Tradition beschnitten. Gegenfrage!

Ausnahmsweise.

Was gefällt dir denn besser? Beschnitten oder unbeschnitten?

Ich habe da keine Präferenz. Mir gefällt das Design generell, egal in welcher Ausführung.

Schöne Antwort.

Wenn du erlaubst, stelle ich jetzt wieder die Fragen: Du machst Radio und TV, seit du sehr jung bist, hast mehrere Sendungskonzepte selber entwickelt. Woher kommt dieser Geltungsdrang?

Wahrscheinlich von meiner Familie väterlicherseits. Mein Urgrossvater war schon ein Showman, er war bekannt für seine Pranks!

Jontsch
Mir ging es immer vor allem darum, eine Verbindung mit dem Publikum aufzubauen. Und nicht darum, zu zeigen, dass ich der Geilste bin.

Wie sah denn in den 1930er-Jahren bitte ein Prank aus?

Ich kannte ihn noch und kann mich gut an eine Geschichte erinnern, die er immer wieder erzählt hat: An einem Bahnhof sah er den Hut und die Trillerpfeife eines Kondukteurs auf einer Bank liegen, riss sie an sich und pfiff – und der Zug fuhr davon. Und wenn er an Familienfeiern jeweils das Gefühl hatte, er bekomme nicht genug Aufmerksamkeit, hat er so getan, als würde er zusammenbrechen. Damit ihn alle anschauen. Er war aber auch total klug, er konnte zum Beispiel die ganze Bibel auswendig. Ich selber kann aber im Fall  auch gut an einem Tisch mit zehn Leuten sitzen und derjenige sein, der am wenigsten sagt. Ich kann gut zuhören.

Dieses Vermächtnis hat dir aber sicher geholfen, wenn du im Stade de Suisse vor 40’000 Menschen stehst oder im Hallenstadion die Energy Star Night moderiert hast.

Genau, dann ist der Entertainer-Knopf an, du musst einfach liefern. Aber: Mir ging es immer vor allem darum, eine Verbindung mit dem Publikum aufzubauen. Und nicht darum, zu zeigen, dass ich der Geilste bin.

Warst du vor solchen Auftritten jeweils nervös?

Klar. Wenn du nicht nervös bist in diesen Momenten, dann bist du im falschen Job. Du darfst nicht so nervös sein, dass du gehemmt bist, aber es muss auf jeden Fall kribbeln.

Heute bist du unter anderem als Berater für junge Moderator:innen tätig. Kannst du jetzt endlich deine dominante Seite ausleben?

Die habe ich nicht. Wobei, ein bisschen vielleicht: Wenn ich mich angegriffen fühle, kommt die Seite ein bisschen zum Vorschein. Dann muss ich zeigen, dass ich stärker bin.

Also hast du typisch männliche Ego-Probleme?

Weiss nicht. Das müsste ich meine Psychologin fragen.

Hast du denn eine?

Ääähm nein. Aber ich müsste mir wieder eine suchen. Ich war früher als Kind oft bei Psycholog:innen – ich war ein ziemlich aggressives Kind, vielleicht kommt diese Dominanz noch von dort. Aber ich finde grundsätzlich, dass eine Therapie jedem Menschen guttun würde.

Wie viele Pussypics bekommst du pro Woche durchschnittlich zugeschickt?

Ich habe tatsächlich auch schon welche bekommen.

Jontsch
Ich muss Frauen zum Glück zu gar nichts zwingen, und das würde ich auch um Gottes Willen nie tun.

Unaufgefordert?

Hmm, ich habe sicherlich auch schon welche angefordert, aus jugendlicher Dummheit heraus. Ohne Nachfrage solche Bilder zugeschickt zu bekommen, das kennt ihr Frauen sicher besser als wir Männer. Aber ich wurde auch schon aufgefordert, Dickpicks zu schicken. Ich habe das aber nie gemacht. Das ist etwas so Intimes, das möchte ich eigentlich nicht via WhatsApp teilen.

Es erstaunt mich allerdings, dass du überhaupt dazu aufgefordert wirst. Du musst Frauen ja schon zwingen, wenn es ums Küssen geht. Zum Beispiel an der Energy Star Night 2018, als du die Ex-Miss-Schweiz Jastina Doreen Riederer vor laufender Kamera geknutscht hast. Sie war sichtlich überrascht und vor allem 16 Jahre jünger als du – ihr damaliger Partner hat sich daraufhin von ihr getrennt.

(Grinst schon beim Stellen der Frage, verdreht die Augen und versteckt sein Gesicht in seinem Pullover.) Dazu habe ich soo viele Fragen bekommen: War das echt? Inszeniert? Das lasse ich jetzt mal offen. Aber ich kann sagen: Ich muss Frauen zum Glück zu gar nichts zwingen, und das würde ich auch um Gottes Willen nie tun. Aber ich struggle mit einem anderen Thema ein bisschen.

Womit denn?

Stell dir vor: Wenn ich jetzt hier mit dir spreche, und es gibt ein Knistern zwischen uns (rückt mit seinem Barstuhl ein bisschen näher), und irgendwann möchte ich dich einfach packen und küssen …

Also jetzt?

Nein, Miriam, ich habe gesagt: Stell es dir vor!

Ja, aber spielt sich diese fiktive Situation während eines Interviews, also in einem beruflichen Kontext, ab oder wie?

Nein, sicher nicht! (Lacht.)

Du musst gar nicht lachen! Ich kenne viele Journalistinnen, denen solche Dinge passieren. Sagt dir #MediaToo etwas?

Ja klar, aber so habe ich es nicht gemeint. Also, nochmal: Stell dir vor, wir sind in einer Bar, es ist Samstagabend, und beide sind irgendwann ein bisschen betrunken. Und ich würde dich einfach packen und küssen. Was ist dann? Es kann sein, dass du total beeindruckt bist von meinem Mut und das vielleicht sogar sexy findest. Aber es kann genauso gut sein, dass ich eine Ohrfeige kassiere. Und damit kämpfe ich: Ich weiss nicht mehr genau, wie ich mich verhalten soll in solchen Situationen.

Soll ich dir einen Zaubertrick verraten?

Ja, bitte.

Jontsch
Nicht nur, aber auch im Rahmen von #MediaToo habe ich mein Verhalten reflektiert. Ich habe ganz sicher früher Dinge gesagt oder getan, die nicht in Ordnung waren.

Du könntest zum Beispiel fragen, ob du die Person küssen darfst. Ich persönlich finde das sogar sehr heiss.

Darf ich dich küssen?

Es war ja klar, dass diese Frage kommt.

(Kichert.) Nein, ich meine: «Darf ich dich küssen?», diese Frage findest du sexy?

Ja, sehr. Aber es gibt auch Frauen, die das total lahm finden. Da sind alle anders. Und für diese Diskussionen gibt es in der Gesellschaft ja erst seit kurzem überhaupt einen Raum, was wichtig ist. Aber spannend ist es allemal: Gibt es denn etwas, das du heute nicht mehr machen würdest?

Ganz ehrlich: Nicht nur, aber auch im Rahmen von #MediaToo, das du vorher angesprochen hast, habe ich mein Verhalten reflektiert. Ich habe ganz sicher früher Dinge gesagt oder getan, die nicht in Ordnung waren. Aus meiner Sicht war zwar nie etwas dabei, was total übergriffig war. Aber dumme Sprüche, die verletzend oder grenzüberschreitend sind, habe ich wahrscheinlich gemacht. Und dafür schäme ich mich heute schon ein wenig.

So einsichtig?

Ja, das war aber auch ein Prozess für mich. Und dafür hat es viele, viele Gespräche gebraucht, die ich mit Frauen im Laufe der letzten Jahre führen durfte. Wie gesagt, ich höre sehr gerne zu und habe dadurch sicherlich viel gelernt. Falls es Frauen gibt, die unangenehme Erlebnisse hatten mit mir, so hoffe ich, dass sie es mir sagen. Auch, wenn es bereits länger her ist.

Zum Abschluss noch etwas Lockeres: Denkst du, dein herziges Gesicht hat dir bei deiner Karriere geholfen?

(Macht Hundeaugen.) Findest du, ich habe ein herziges Gesicht?

Ach komm schon. Fischst du jetzt nach Komplimenten?

Nein! Aber findest du wirklich?

Meine Güte. Ja, Jontsch, ich finde, du hast ein herziges Gesicht.

(Lächelt, wird plötzlich ganz leise.) Danke. Das ist ein sehr schönes Kompliment, und es freut mich gerade sehr. Aber nein, das hat mir tatsächlich noch nie jemand gesagt.

Du hast es geschafft: Wir sind am Ende angekommen. Das Interview war gar nicht so schlimm, oder?

Gar nicht! (Lächelt immer noch)