Die «MachoKolumne» war nicht meine Idee, sie wurde mir zugeteilt. Mir gefällt der Name. Er fällt auf, und Aufmerksamkeit für wichtige Themen zu generieren, war das Ziel. Doch gleichzeitig breitete sich innerlich eine leichte Unruhe aus, als ich ihn zum ersten Mal sah. Ich, ein Macho, passt das? Unter einem Macho verstehe ich einen hypermaskulinen Muskelprotz, der Frauen verachtet und stolz darauf ist. Ich bin nicht stolz auf mein Mannsein, dafür habe ich etwa so viel geleistet wie für meinen Schweizer Pass. Nichts.

Das Bild, das ich von Machos habe, steht diametral zu meinem Selbstbild vom kleinen schmächtigen Spätentwickler, der ich war. Dass sich diese Wahrnehmung vor allem aus meiner Kindheit ergibt und auf rein äusserliche Merkmale Bezug nimmt, legt nahe, dass diese Betrachtung zu kurz greift. Vom kleinen Jungen ist heute nicht mehr viel übrig. Also, wie viel Macho steckt in mir? Wie gehe ich damit um? Wäre es nicht an der Zeit, Maskulinität generell neu zu definieren?

Unser Verhalten ist kein unveränderbarer Zustand

Letztens stiess ich beim Scrollen in den sozialen Medien auf ein Zitat: «To mature is to accept that you have been toxic as well.» Will heissen: «Erwachsen zu werden bedeutet, zu akzeptieren, dass auch du toxisch warst.» Auch wenn ich Pauschalisierungen und Schlagworten gegenüber kritisch eingestellt bin, so drückt das Zitat etwas Wichtiges aus: Für mich steht Macho als Synonym für toxische Männlichkeit, und diese ist weit verbreitet. Wir wachsen unter Einflüssen auf, die uns nahelegen, dass dieses Verhalten in unterschiedlich ausgeprägten Dimensionen einfach zur Gesellschaft gehört: Sei es im Deutsch-Rap, der fiktionalen Welt von Film und Fernsehen, in der ein starker Mann alle Probleme löst, oder der Realität – eine vordefinierte Form der Maskulinität wurde mir zeitlebens aufs Auge gedrückt.

Stefan Glantschnig
Und dort liegt eines der Probleme begraben, dass, wer sich nicht von dieser Extremform angesprochen fühlt, sich oft nicht als Teil des Problems – oder der möglichen Lösung – betrachtet. Die Ausrede, dass ich ja nicht so bin, liegt nahe.

Umso wichtiger ist die Aussage des Zitats, dass dieses Verhalten kein unveränderbarer Zustand ist und ich die Wahl habe, mich anders zu verhalten. Ich bewege mich auf einem Männlichkeitsspektrum mit vielfältigen Ausprägungen. Etymologisch betrachtet ist ein Macho ein sich betont männlich gebärdender Mann, der typisch männliche Eigenschaften wie Kraft, Härte und Dominanz zur Schau stellt. Ist also «typisch männlich» dermassen einseitig und negativ? Ich denke wieder an Klein-Stefan und finde mich in diesen Eigenschaften nicht wieder. Wen ich erkenne, ist ein Widerling wie Andrew Tate, der mit seinem Frauenhass 4,4 Millionen Follower auf den sozialen Medien (vor seiner Sperrung) hinter sich schart. Und dort liegt eines der Probleme begraben, dass, wer sich nicht von dieser Extremform angesprochen fühlt, sich oft nicht als Teil des Problems – oder der möglichen Lösung – betrachtet. Die Ausrede, dass ich ja nicht so bin, liegt nahe.

Damit machen wir es uns aber zu einfach. Denn neben physischen Gradmessern und offensichtlich frauenhassendem Verhalten gibt es eine ganze Reihe an Merkmalen, anhand derer beispielsweise Mosher und Sirkin vor rund drei Jahrzehnten die Macho-Persönlichkeit anhand von drei Dimensionen messbar gemacht haben. Diese definiert sich über sexuelle Gefühlskälte gegenüber Frauen, über die Überzeugung, dass Gewalt männlich ist sowie dass Gefahr und risikofreudiges Verhalten aufregend sind. Bei Letzterem ergibt die Suche nach dem Macho in mir Sinn – geboren aus der Unsicherheit und dem Streben nach dem mir angedachten Platz in der Gesellschaft als Mann.

Im Minnie-Mouse-Shirt zum Fussballtraining und die Reaktionen darauf

Ich denke zurück an mein erstes Fussballtraining, als ich fünf Jahre alt war. Jedes Kind der 1980er- und 90er-Jahre kennt es: Hast du Geschwister, dann findest du dich früher oder später in ihren Kleidern wieder. Ich habe eine ältere Schwester, und diese vererbte mir ein Minnie-Mouse-Shirt, das ich mochte. Ich ziehe meine Mutter heute noch damit auf, was sie sich dabei überlegt hat, mich in diesem Shirt (ich habe es an diesem Tag selbst gewählt) ins erste Fussballtraining zotteln zu lassen. Ihre Antwort: «Nichts, wieso auch?» Und dafür sollte ich ihr eigentlich ein Kränzchen winden. Es war ihr schlicht egal, in welcher Kleidung ihr Kind wegging, solange es sich wohlfühlte. Die Reaktionen meiner Fussball-Kollegen fielen indes anders aus, und im nächsten Training trug ich ein Trikot.

Stefan Glantschnig
Ich orientierte mich also zeitlebens an Dingen, die mich scheinbar härter machen, als ich bin.

Es sollte nicht das einzige Mal bleiben, dass ich mich dem männlichen Stereotyp und dem damit verbundenen Verhalten angepasst habe. Einerseits fing ich sicher früher und intensiver an, Alkohol zu trinken, als andere. In meiner Sekundarschule war Trinkfestigkeit ein Zeichen von Stärke. Andererseits hörte ich – ob aus diesem Grund oder nicht – meistens am liebsten die härteren Musik-Genres. In der Pubertät war es kein Rock, sondern Metal. Wenn andere Charts hörten, frönte ich dem Techno. Ich war auch der erste meines Freundeskreises, der sich tätowieren liess. Und irgendwann während des Gymnasiums schwor ich meiner schmächtigen Statur ab, indem ich regelmässig den Fitnessraum besuchte. Ich orientierte mich also zeitlebens an Dingen, die mich scheinbar härter machen, als ich bin.

15 Prozent verniedlichter Macho

Meine Freundin und ich erstellten kürzlich zum Spass gegenseitig psychosoziale Kuchendiagramme mit Eigenschaften des/der jeweils anderen. Jeder Eigenschaft wiesen wir einen Prozentsatz zu. Und da erneut: 15 Prozent Macholi! Meine Reaktion reichte von Verwunderung, was denn ein Macholi sei – klingt irgendwie nach dem Michelin-Männchen –, bis zu latentem Aufbegehren: Ein Macho, und dann noch verniedlicht! Was sie damit meinte, ist, dass ich mich durchaus manchmal wie ein Bock verhalte, was jedoch ok ist, weil es weit entfernt ist von Frauenhass und Gewalt. Meine initiale Reaktion ist für mich ein wichtiger Punkt, weshalb wir Männer noch einen längeren Weg vor uns haben.

Ich fühlte mich oft und fühle mich teilweise immer noch angegriffen, wenn meine Männlichkeit und ihre Auswirkung zur Sprache kommen. Und so geht es vielen Männern bei feministischen Themen: Sie nehmen die Kritik persönlich, anstatt das strukturelle Problem dahinter zu sehen. Das macht es schwierig, uns einzubeziehen. Es geht ja nicht darum, dass Männer nicht mehr Männer sein können, sondern um eine Anpassung des Verständnisses, was als typisch männlich angesehen wird.

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Ich habe gelernt, andere Qualitäten zu schätzen und zu pflegen

In diesem Fall hat meine Freundin mir eigentlich ein grosses Kompliment gemacht. Mit der Verniedlichung hat sie mir attestiert, dass meine Arbeit am Selbst Früchte trägt und wahrnehmbar ist. Und wenn ich mal wieder lauthals meine Meinung kundtue und recht haben möchte, dann sehe ich vor meinem geistigen Auge das Michelin-Männchen, den Macholi, und muss grinsen. Schon alleine deshalb, weil das Männchen eigentlich Bibendum heisst und symbolisch passend eine kombinierte Kreation aus einem vielschichtigen Stapel Autoreifen und einem biertrinkenden Bayern ist. Das hilft, um gedanklich auch mal einen Schritt rückwärts zu gehen.

Was ich in diesem Prozess auch gelernt habe, ist, meine anderen Qualitäten zu schätzen und zu pflegen. Ich war als Kind zwar physisch unterlegen, aber nicht mental. Leise war ich schon gar nicht. Diese Fähigkeiten habe ich genutzt, um mich in Konflikten zu behaupten, und ich scheue auch heute kaum einen verbalen Schlagabtausch. Eigentlich eine stereotyp weibliche Fertigkeit zum Ausgleich der Physis, die jedoch auch bei Männern weit verbreitet und eben wichtig ist, um untereinander den Dialog zu fördern und nicht die Gewalt.

Tränen auf der Tanzfläche

Vor einem Monat gingen wir in Berlin ins Sisyphos. Die Stimmung war gut, ein schöner Nachmittag, und ich lernte einen Typen kennen. Wir waren uns auf Anhieb sympathisch, alberten ein bisschen auf der Tanzfläche rum, bis er anfing, mit seinen Räubergeschichten und Frauen anzugeben. Nicht von der schlimmen Sorte, aber unnötig. Als er monierte, dass Schweizerinnen sich schon ein wenig zierten, brachte ich ihn mit «Vielleicht sind deine Flirtskills einfach scheisse!» zum Verstummen. Mit diesem wenig konstruktiven Kommentar, anstatt nüchtern auf sein Verhalten hinzuweisen, verabschiedete ich mich aufs Klo mit der Absicht, nicht direkt zurückzukehren.

Eine Weile später traf ich ihn wieder. Wir freuten uns beide, und von dieser Gockel-Energie war nichts mehr übrig. Wir rauchten etwas abseits eine Zigarette, und ich sagte ihm, dass ich sein Verhalten etwas unnötig fand und er mich nicht mit sowas zu beeindrucken brauche. Er stimmte mir zu und erzählte mir unter Tränen, dass er eine schlimme Zeit mit einer Frau hinter sich habe und es ihm nicht gutgehe. Er schämte sich, doch ich nahm ihn in den Arm und sagte, dass Weinen doch völlig in Ordnung und kein Zeichen von Schwäche sei. In dem Moment verstand ich sein Verhalten von zuvor. Und ich bin froh, konnten wir das Gespräch noch führen, das wir zuvor verpasst hatten.

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Fakt ist, dass ich selbst angefangen habe, mit meinen Baustellen aufzuräumen, als ich mir Verletzlichkeit und Ängste wieder zugestanden habe. Ich weiss, dass ich früher exakt gleich auf emotionale Unsicherheiten reagiert habe wie er, gerade wenn es um Frauen ging. Flucht nach vorne. Geweint habe ich selten. Zwei der drei Dimensionen von Mosher und Sirkin, die sexuelle Gefühlskälte gegenüber Frauen und die Gewalt, liegen nicht weit entfernt, wenn auf Unsicherheit gereizt oder mit Exzess reagiert wird, anstatt den Ängsten Raum zu geben und sie zu bearbeiten. Der Psychologe Ahmat Mansour beobachtet den Konflikt mit dem eigenen Rollenbild oft bei jungen Männern aus dem arabischen patriarchalen Raum, was dann in schockierenden Eskalationen wie der Silvesternacht 2015/16 in Köln gipfeln kann.

Stefan Glantschnig
Der «Mann» ist im Findungsprozess, und manch einer, inklusive mir, tut sich zeitweilig schwer damit, sich zu orientieren und seinen Platz zu finden – denn das geschieht nicht von heute auf morgen.

Uns steht viel Spielraum zur Verfügung, um ein vielfältigeres männliches Verhalten zu finden

Die Ursachen für das eigene Verhalten zu erkennen, zu akzeptieren und etwas ändern zu wollen, ist gar nicht so leicht. Der «Mann» ist im Findungsprozess, und manch einer, inklusive mir, tut sich zeitweilig  schwer damit, sich zu orientieren und seinen Platz zu finden – denn das geschieht nicht von heute auf morgen. In der Komfortzone zu bleiben, ist halt einfacher. Da nimmt man auch eine konstante innere Unruhe in Kauf. Wohin ich auch schaue, sehe ich das gleiche Bild. Macho-Züge sind auch unter den aufgeklärten und «woken» Zeitgenossen weit verbreitet. Rollenbilder ändern sich erst nachhaltig, wenn genügend Männer aktiv ein anderes Verhalten vorleben.

Stefan Glantschnig
Als ich bei der Recherche auf einen Algorithmus stiess, der typische Verbindungen zum Wort Macho anzeigt, reichte die Bandbreite von Bundesliga, Mann, argentinisch und cool bis hin zu heiraten, weinen, zärtlich und sensibel. Wenn ein Algorithmus schon versteht, wie vielseitig «typisch männlich» sein könnte, dann ist es für dich einfach: Sei mutig, werde Macholi!

Es steckt also ein Macho in mir, aber ich habe angefangen, mich diesem Verhalten und meinen Problemen zu stellen, um mich besser einordnen zu können. Und das ist wichtig. Denn das andere Ende des Macho-Spektrums, der frauenhassende Vollpfosten, ist keine Option, und ihm möchte ich mit einer neuen Definition von Männlichkeit die Stirn bieten. Den Männern möchte ich ans Herz legen, dass uns viel Spielraum zur Verfügung steht, um ein vielfältigeres «typisch männliches» Verhalten zu definieren. Als ich bei der Recherche auf einen Algorithmus stiess, der typische Verbindungen zum Wort «Macho» anzeigt, reichte die Bandbreite von Bundesliga, Mann, argentinisch und cool bis hin zu heiraten, weinen, zärtlich und sensibel. Wenn ein Algorithmus schon versteht, wie vielseitig «typisch männlich» sein könnte, dann ist es für dich einfach: Sei mutig, werde Macholi!