Bekenntnisse eines Rappers: An seine Texte hat Tommy Vercetti einen extremen Anspruch – und trotzdem passen Vokabular und Aussagen nicht immer zu seinem inneren Feministen, der er glaubt zu sein. Lies, warum er fette Goldketten mag und eigentlich lieber Simon genannt werden will.

Bist du eigentlich schon Vater?

Ja, ich habe zwei Kinder.

Ist das deine wahre Lebensaufgabe, die absolute Erfüllung deiner Männlichkeit?

Ich glaube tatsächlich, ja, das ist so. Ich bin wirklich ein sehr männlich männlicher Mann. Im negativen Sinn.

Echt? Weshalb?

Weil ich einerseits so sozialisiert wurde, ganz traditionell. Und dann kam das Rap-Ding dazu, das ich extrem faszinierend finde, das aber auch sehr krasse Stereotypen bedient und sehr problematische Männlichkeitsideale bespielt. Und dann trifft dich das Vatersein schon krass.

Inwiefern?

Indem ich erfahren durfte, dass Vatersein das intensivste Gefühl ist, das es gibt. Ich habe realisiert, dass ich mit 35 Jahren in meinem Leben zum ersten Mal so etwas Intensives fühle. Damit will ich mich überhaupt nicht in ein gutes Licht stellen, aber wenn man sich um die Kinder kümmert und sorgt, merkt man: Das ist der härteste Job ist, den es gibt. Und manchmal frage ich mich, wie es möglich sein kann, dass Männer früher nach Hause kamen und sagten: «Schatz, ich habe den ganzen Tag gearbeitet, ich bin so müde.» Unglaublich.

Sagst du das also nie?

Ich weiss nicht, wie das bei euch ist, aber bei uns ist das so: Man kommt dann mit der Partnerin in einen lustigen Streit rein, zum Beispiel darüber, wer in einer Woche mehr arbeiten darf. Weil das natürlich entspannender ist, als sich um die Kinder zu kümmern.

Warum eigentlich Tommy Vercetti? Hast du eine gespaltene Persönlichkeit?

Nein, gar nicht. Der Künstlername ist eine Figur aus einem Playstation-Game. Tommy Vercetti ist ein Kleinkrimineller, der sich hoch arbeitet. 90 Prozent der Rapper-Namen kommen aus dummen pubertären Situation, hehe, darüber muss man lachen können, um das zu erzählen. (Das tut er.)

Oder das ist jetzt deine Story und eigentlich dein Aufbau einer alternativen Identität, um den echten Simon Küffer zu verstecken oder gar grösser zu machen?

(Nickt.) Vielleicht … (Lacht amüsiert.)

Tommy Vercetti
Ich habe realisiert, dass ich mit 35 Jahren in meinem Leben zum ersten Mal so etwas Intensives fühle.

Oder umgekehrt: Simon Küffer ist ein Gelehrter, einer, der forscht und eine Dissertation über Geld und seine Bilder schreibt, einer der bürgerlicher und angepasster ist als sein Alter Ego.

Ich weiss eben gar nicht genau, was was ist. Die beiden Namen entsprechen nicht zwei Personen oder verschiedenen Lebensweisen – das praktische Leben lässt es gar nicht zu, das zu trennen. Als Rapper wird mir vorgeworfen, zu intellektuell zu sein, und als Wissenschaftler wird mir vorgeworfen, ich sei zu wenig neutral und zu polemisch. Mein Job als Rapper war mein längster und stabilster bisher – ich wollte aber auch im Brotjob etwas Sinnvolles machen und hatte schlichtweg Glück, dass das geklappt hat.

Ist Vercetti eine Tussi?

Zunehmend. Ich war es wohl lang zu wenig und habe dann auch immer Kritik bekommen, dass ich mich katastrophal anziehe und zu wenig überlege, wie ich aus dem Haus gehe. Und so habe ich mich zu einem minimalen Tussi entwickelt.

Tommy – oder soll ich jetzt Simon sagen? Hörst du auf beide Namen?

Ja, leider.

Also was soll ich sagen? Simon?

Ja, das wäre mir lieber.

Interessant. Inwiefern spielt dein Rapper-Ich denn eine Rolle, wenn du neue Leute triffst?

Es gibt drei Möglichkeiten, wenn ich jemanden treffe: Entweder die Person verachtet, was ich mache. Oder aber sie hat keine Ahnung, wer ich bin. Die dritte Möglichkeit: Sie findet gut, was ich mache. Wenn du mir gegenübersitzt, gehe ich zuerst davon aus, dass du verachtest, was ich mache, und im besten Fall hast du keine Ahnung. Das ist das realistische Selbstverständnis eines Schweizer Rappers.

Wenn du rappst, übst du da deine Moves vor dem Spiegel vorher?

Auch viel zu wenig. Ich bin ja in verschiedenen Kollektiven unterwegs, und es gab immer wieder vernünftige Stimmen, die sagten: «Komm, lass uns das mal üben.» Aber nein, das machen wir auch nicht, vielleicht sind wir da schlicht zu unprofessionell. Üben heisst für uns, wenigstens die Texte auswendig zu können, aber selbst daran scheitern wir ab und zu.

Was ist dein wichtigstes Bühnenaccessoire? Dieser Polo-Sport-Pulli, den du trägst?

Ja, schöne Pullis mag ich, obwohl es meist zu heiss darunter ist.

Aber warum trägst du so kapitalistische Symbole und solche Marken auf deiner Brust?

Ich mag diese Rapper-Ästhetik, ich würde auch Schmuck tragen, wenn ich es mir leisten könnte.

Willst du mal meinen anprobieren?

Ja, dein Armband, diese fette Goldkette ist schon geil. Aber eben, wenn ich solche Sachen tragen würde, dann müsste es schon echt sein, und dann bekäme ich wahrscheinlich massive Beziehungsprobleme, wenn ich soviel Geld dafür ausgeben würde.

Hattest du schon einmal das Gefühl, du wirst nur gebucht, weil du ein Mann bist?

Das ist eine gute Frage, die kann man auf zwei verschiedene Arten drehen. Unbewusst ganz sicher – bewusst vielleicht ein bis zweimal. Es gab sicher Situationen, da wurde ich angefragt, weil sie jemanden aus der Rap-Szene wollten, aber keinen, der zu krass ist, keinen «Barbaren».

Hast du auch schon überlegt, dass du ein einziger Bluff bist?

Manchmal profitiere ich davon, dass ich mich zwischen den Welten bewege: als Linker bei den Rappern, bei den Rappern als Linker. Aber wenn man sich das länger überlegt, ist das auch etwas demütigend: Eigentlich ist man immer halbarschig gefragt.

Schreibst du deine Texte eigentlich selber?

(Lacht!) Ja, tatsächlich.

Jetzt kann man auf die eigenen Texte stolz sein oder sich dafür schämen.

Ja, das ist eine grosse Schwierigkeit beim Rap. Man hat einen extremen Authentizitätsanspruch, der im Konflikt dazu steht, dass es eine literarische Kunstform ist. Darum ist es auch ein Muss, die Texte selber zu schreiben. Aber dieser Anspruch an mich selbst verändert sich langsam auch. Viele sagen, ich solle für andere schreiben. Wegen meiner Stimme, die sagen, ich habe eine mühsame Stimme.

Tommy Vercetti
Es gab sicher Situationen, da wurde ich angefragt, weil sie jemanden aus der Rap-Szene wollten, aber keinen, der zu krass ist, keinen «Barbaren».

Du hast immerhin mit deiner Stimme Karriere gemacht.

Stimmt. Dann müssen die Texte wahrscheinlich sehr gut sein.

Aber du lässt sie von einer Frau gegenlesen?

Das sollte ich zu 300 Prozent, aber nein, leider noch nicht. Ich glaube, darunter leidet der Rap etwas: Wir sollten generell mehr gegenlesen.

Apropos: Welche Farbe hat dein liebster Nagellack?

Ich habe ein grosses Problem, ich kaue meine Nägel.

Aber du könntest ja Gellack auftragen?

Ich habe so einen dummen Aberglauben, dass ich das brauche. Ich mache das ja immer dann, wenn ich an etwas herumhirne, und ich glaube, dann funktioniert mein Hirn besser …

Du brauchst eine Ersatzhandlung!

(Lacht laut.) Ich sollte anfangen zu rauchen, das wäre die perfekte Lösung.

Du bist auch Klassenkämpfer, früher – oder noch immer? – Kommunist. Passt das zu einem Mann, so engagierte politische Partizipation?

Das ist eine sehr sehr gute Frage. (Überlegt lange, stockt.) Ich glaube, Männlichkeit in der Politik hat schon etwas hart Kontraproduktives. Ich muss aber sagen, ich habe mich immerhin aus der Realpoltik herausgehalten, ich hatte nie Machtambitionen. Aber das ist eine sehr berechtigte Frage, die du mir da stellst.

Bezeichnest du dich als links, weil das bei den Frauen besser ankommt?

Das hat man mir vor ein paar Tagen vorgeworfen. Aber ich finde das eine realitätsfremde Vorstellung, wenn man wirklich denkt, in der heutigen Zeit komme man bei den Frauen besser an, wenn man sehr weit aussen links ist. Im Gegenteil, ich habe mir damit massiv viel verspielt. Findest du das wichtig, meine politische Haltung?

Tommy Vercetti
Ich glaube, Männlichkeit in der Politik hat schon etwas hart Kontraproduktives.

Mir ist der Mensch wichtiger als seine politische Haltung. Wie gehst du mit Kritik um, nimmst du das persönlich, wie die meisten Männer?

Ja, ich glaube schon, leider. Du erwischt mich mit diesem Interview in einem weirden selbstkritischen Moment, der auf eine Art demütigend ist, weil meine ganze Identität darauf aufbaut, dass ich weiss, was Sache ist. Ich informiere mich, versuche zu begreifen, und dann ist Kritik schon demütigend, wenn ich anerkennen muss, dass sie richtig ist. Wahrscheinlich nimmt es jeder Mensch erst einmal persönlich, und je selbstsicherer man ist, je  weniger man Kritik gewohnt ist, desto persönlicher nimmt man sie. Ich musste mir angewöhnen, Kritik ein paar Tage sacken zu lassen, damit ich nicht zu impulsiv und selbstgerecht darauf reagiere.

Bist du Feminist?

Hey (hält inne, – sucht Worte …), ich probiere wirklich, einer zu sein. (Sinniert.) Ich habe viele Sachen zumindest im Kopf begriffen, aber es gibt viele Leute die sagen, ich sei keiner.

Warum sagen sie das?

Wegen meiner Rap-Texte.

Was schreibst du da, was nicht passt?

Es geht um das Vokabular und um Aussagen, die man in Battle-Rap-Kontexten macht. Der andere Teil ist aus dem politischen Aspekt heraus, da ich mich sehr stark links positioniere und mich zu wenig reflektiert und solidarisch äussere. Und das ist wohl eine Kritik, die wahr ist.

(Wir schauen uns in die Augen, nippen am Ginger Beer. Stille.)

Bekenntnisse eine Rappers. (Wir lachen beide.)

Ich muss wirklich sagen, es gibt keinen grösseren blinden Fleck, als ein Mann zu sein.

Das wäre jetzt doch ein guter Rap.

Wenn man sich als Mann so proaktiv äussert, hat's für mich immer den Anschein, sich damit beliebt machen zu wollen, es stinkt doch nach Opportunismus.

Was machst du für deine männliche Gesundheit?

(Bläst Luft durch die Zähne.) Männliche Gesundheit, was ist das? Ich mache Liegestützen, Rumpfbeugen und esse zu viel Protein.

In Pulverform?

Leider zu viel tierisch. Ich lebe klar zu ungesund.

Aber du rauchst zum Glück noch nicht.

Nein, weder Alkohol, Rauchen noch Drogen, aber ich habe ein massives Schokoladenproblem. Und ich bewege mich klar zu wenig.

Tommy Vercetti
Ich muss wirklich sagen, es gibt keinen grösseren blinden Fleck, als ein Mann zu sein.

Wie gehst du damit um, wenn du deine Tage hast?

(Jetzt wechselt er die Sitzposition …) Ist das jetzt im übertragenen Sinn gemeint? Ja, ich weiss nicht. Ich würde ja unzweifelbar sagen, Männer sind auch einem Rhythmus ausgesetzt, den man sicher spürt, den man aber nicht an eine offensichtliche Gesetzmässigkeit binden kann.

Blame it on the moon?

Ja, das wäre ja schon das Einfachste.

Der weibliche Zyklus richtet sich ja auch nach dem Mond.

Und du denkst, der männliche auch?

Könnte ja sein.

Hm, ich weiss nicht, ich gehe nicht so gut mit meinem Körper um. Ich versuche zwar von derjenigen Person, die ich am Morgen bin, zu derjenigen am Abend zu kommunizieren, und ihr eine Nachricht zu senden. Dann schreibe ich da morgens auf den Zettel, iss am Abend keine Schoggi. Mein Leben ist voller Zettel.

Wie oft pro Jahr gehst du zum Fettabsaugen?

Ich war noch nie, ist mir zu teuer.

Porsche oder Lamborghini?

Ouuuuu. Also du meinst, wenn ich mir das leisten könnte. Ich würde ganz klar einen Ferrari wählen, so ein älteres Modell, ich kann mich total für Sachen begeistern, die überhaupt nicht in meinem finanziellen Range sind, geschweige denn zu meiner Gesinnung passen: schöne Uhren, schöne Autos … Ich musste mal für meine wissenschaftliche Arbeit einen Rolls Royce googeln, und habe herausgefunden, dass der nur 20’000 Franken kostet, und dachte, scheisse, der ist ja gar nicht so teuer.

Wieviel kostet dein Friseur?

Darf ich darüber sprechen? Sagen wir, offiziell zahle ich 30 Franken.

Für diese Frisur? (Journalistin staunt.)

Hintenrum hat es einen Fade (zeigt mir, wo das Haar ein paar Millimeter kürzer ist als an anderen Stellen). Ich trage sie zwar sehr kurz, aber alles muss sauber sein, vor allem die Ränder. Aber meine Partnerin bemerkt es auch gar nicht, wenn ich wieder schneiden war.

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Was ist deine grösste Starallüre?

Shit. Muss ich da ehrlich antworten … Ach, du erwischst mich wirklich in einem schlimmen Moment. Meine grösste Allüre ist wahrscheinlich, wichtig genommen zu werden. Aber im klassischen Sinne sind wir nahezu allürenfrei – ich vergesse allerdings oft die Namen von Menschen wieder, und das finde ich respektlos von mir. Aber ja, man will schon angehört und wichtig genommen werden.

Von Money Talkerin zu Money Talker: Wie findest du eigentlich elleXX?

Der erste Impuls von mir ist natürlich, euch gegenüber sofort systemkritisch zu sein, aber das finde ich überhaupt nicht zielführend, und man macht es sich viel zu einfach damit. Ich finde es wirklich super und unglaublich wichtig, was ihr macht. Eure Arbeit hat sogar einen klassenkämpferischen Aspekt, wie du auch in deiner Winterrede erwähnst, dass sich alle möglichen Frauen aus allen Schichten an euch wenden. Meine einzige Kritik ist: Ihr könntet diesen Frauen auch ein paar kollektive Lösungen ans Herz legen – schlicht und einfach bei den Tipps beim Lohn, könnte man auch sagen, man könnte Mitglied einer Gewerkschaft werden, da würden sich Menschen sicherer fühlen, wenn sie gemeinsam Probleme lösen können.

Das nehmen wir gerne auf, guter Input! Danke Simon für das offene Gespräch!