In meiner Kindheit hatte ich viele verschiedene Nannies, die mich und meine kleine Schwester betreuten, während meine Eltern ihrer Arbeit in der Fabrik nachgingen. Eine Nanny mochte ich besonders gerne. Sie tröstete uns morgens immer liebevoll, wenn wir merkten, dass unsere Eltern weg waren. An eine andere erinnere ich mich eher weniger gern, da sie uns immer böse Blicke zuwarf, wenn wir etwas lauter wurden. Zu welchen Bedingungen die Nannies arbeiteten und ob sie versichert waren, fragte ich mich damals nicht.

In der Zwischenzeit bin ich dem Thema auf den Grund gegangen. Das Arbeitsgesetz in der Schweiz schützt Hausangestellte nicht. Seit 2011 haben sie zwar Anrecht auf einen verbindlichen Mindestlohn, aber nicht auf geregelte Arbeitszeiten, Ruhezeiten oder Gesundheitsschutz.

Laut der internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sind mehr als ein Drittel aller 76 Millionen Hausangestellten gesetzlich nicht geschützt. Das sind knapp 57 Millionen Frauen weltweit.

Im Juni 2017 hat der Bundesrat beschlossen den Sektor der Hausangestellten durch kantonale Normalarbeitsverträge zu regulieren. Dies genüge aber nicht, kritisiert die Gewerkschaft Unia. Mit dem NAV-Modell seien die Kantone nämlich nicht dazu verpflichtet, die vom Bund vorgeschlagenen Regelungen umzusetzen. Zudem könnten Arbeitgeber:innen mit einem persönlichen Arbeitsvertrag von den Regelungen abweichen. Die Hausangestellten sind in der Schweiz also nach wie vor ungeschützt.

Für 50 Euro illegal in die Schweiz vermittelt

Ich entscheide mich, direkt mit einer Hausangestellten zu sprechen und vereinbare ein Treffen. Nennen wir sie Edita. Eigentlich wollte ich sie persönlich treffen, doch sie musste in der letzten Minute zurück nach Albanien. Wir vereinbaren stattdessen einen Video-Call und ich warte gespannt an meinem Schreibtisch.

Edita ist 43 Jahre alt, stammt aus Albanien und arbeitet illegal als Hausangestellte in einem Schweizer Privathaushalt. Mit ihrem albanischen Pass hat sie das Recht, bis zu drei Monate als Besucherin in der Schweiz zu leben.

Sie arbeitet bei einer Familie in einer Gemeinde mit gut 30’000 Einwohner:innen. Da Edita weiterhin bei dieser Familie arbeiten möchte, will sie ihren Namen nicht öffentlich machen.

Mein Handy klingelt. Edita ruft mich via Whatsapp an. Ich nehme den Anruf entgegen und blicke in ein verpixeltes Bild, erkenne aber ihr freundliches Gesicht. Edita sitzt vor einem dunkelblauen Vorhang im Süden Albaniens. Ihre gebleichten Haare trägt sie als Dutt. “Wir hatten gestern Abend einen heftigen Sturm, darum funktioniert das Internet vielleicht nicht so gut”, teilt sie mir mit.

Ich weiss nicht, was mich geritten hat, dass ich ihnen vertraut habe. 50 Euro habe ich gezahlt und dafür haben sie mir eine Familie in der Schweiz vermittelt.

Edita hatte 20 Jahre lang bei der Polizei als Kriminologin gearbeitet, danach ist sie in die Frühpension gegangen. “Arzije, ich konnte nicht mehr. Es war ein sehr harter Job”, teilt sie mir mit einem müden Blick mit. Als Frührentnerin langweilt sie sich jedoch ohne Job. Sie weiss nicht, was sie mit ihrer Zeit anfangen soll. “Meine älteste Tochter hat deshalb eine Agentur kontaktiert, die Babysitter einstellt. Wir hatten nur über Telefon Kontakt mit ihnen. Ich weiss nicht, was mich geritten hat, dass ich ihnen vertraut habe. 50 Euro habe ich gezahlt und dafür haben sie mir eine Familie in der Schweiz vermittelt.”

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Hausangestellte - ein blinder Datenfleck

Unter welchen Bedingungen Hausangestellte wie Edita in der Schweiz arbeiten, darüber finden sich kaum Statistiken. Laut Samuel Burri, Branchenverantwortlicher der Unia, gibt es keinen zuverlässigen Überblick. Die Sammelkategorie “Hauswirtschaft” vermische verschiedene Unterkategorien wie Reinigung, Senior*innen Betreuung, Kinderbetreuung etc.

Auch die Anstellungsverhältnisse seien sehr unterschiedlich und unübersichtlich. Viele Personen werden direkt angestellt. Das heisst ohne Vermittlung oder Verleih. “Weder Arbeitsinspektorat noch Gewerkschaft kommen an diese Leute heran und wenn man es versuchen würde, wäre es Hausfriedensbruch. Es ist also unmöglich, die Anzahl der Hausangestellten zu messen. Dies erschwert es, Regulative zu erstellen und dort, wo es sie gibt, zu vollziehen”, meint Burri.

Samuel Burri, Unia
Weder Arbeitsinspektorat noch Gewerkschaft kommen an diese Leute heran. Wenn man es versuchen würde, wäre es Hausfriedensbruch. Es ist also unmöglich, die Zahl der Hausangestellten zu messen.

Zudem ist der größte Teil der Haushaltshilfen schwarz angestellt. Ein weiterer Faktor, der realitätsnahe Statistiken über die Arbeitsbedingungen der Hausangestellten erschwert.

600 Franken Monatslohn

Auch Edita arbeitet schwarz. Drei Tage nach dem Telefongespräch mit der Agentur steigt Edita in einen kleinen Bus mit 8 Plätzen und fährt in die Schweiz. Edita war es nicht gewohnt, Hausarbeiten zu verrichten. Sie hatte selbst eine Haushaltshilfe, die das bei ihr zu Hause übernahm und ihre Schwiegermutter passte auf ihre Kinder auf. “Von einem Tag auf den anderen war ich selbst eine Hausangestellte, dabei hatte ich keine Ahnung, was ich da machte”, sagt sie lachend. In der Schweiz angekommen, trifft Edita auf eine fünfköpfige Familie. Grossmutter, Grossvater, Vater, Mutter und ein dreimonatiges Baby. “Auf das Baby aufzupassen hat mir gar nichts ausgemacht. Ich vermisse den Kleinen”, sagt sie mir mit Tränen im Gesicht.

Edita kochte darauf drei Monate lang sechs Tage in der Woche und hütete das Baby. Von acht Uhr morgens bis zehn Uhr abends. “Ich werde im März zurückkehren und wieder dort arbeiten. Ich freue mich sehr auf den Kleinen”, erzählt sie weiter. Edita bekommt von der Familie 600 Franken im Monat und manchmal ein bisschen Taschengeld, wenn sie ins Einkaufszentrum geht. Die Agentur in Albanien würde ihr bei Problemen nicht weiterhelfen. Sie ist auf sich alleine gestellt. Versichert ist sie nicht.

Solche Bedingungen seien laut Burri unfair und würden Hausangestellte Übergriffen ausliefern. “Hausangestellte sind als Arbeitnehmer:innen doppelt verletzbar. Erstens stehen sie in einem abhängigen Arbeitsverhältnis, zweitens in einem nicht-öffentlichen Raum und drittens sind es oft Frauen mit Migrationshintergrund oder Migrationsvordergrund, die diese Arbeit ausführen. Problematisch dabei ist die sprachliche Barriere oder die fehlenden Informationen über ihre Rechte.”

Die ILO berichtet, dass sich die Arbeitsbedingungen der Hausangestellten gerade auch während der Corona-Krise weiterhin verschlimmert haben. Vor der Pandemie hätte sich die  Situation der Angestellten sichtbar verbessert, doch nun zeige sich ein Rückschritt.

Wehrlos in Privathaushalten

“Sie waren sehr gut zu mir”, versichert Edita. “Sie haben mir das ganze Haus anvertraut. Wer macht das schon?” Als ich ihr erzähle, dass eine Hausangestellte ohne Berufserfahrung in der Schweiz einen Bruttomindestlohn von 18.20 CHF in der Stunde bekommt, verstummt sie und macht grosse Augen.

Weisst du, dass die Pension in Albanien nicht genügt, um zu überleben? Die Familie meinte, wenn ihr Baby alt genug wäre, könnte ich einen Antrag stellen für eine Arbeitsbewilligung in der Schweiz.

“Das fühlt sich ziemlich übel an, wenn ich dich das so sagen höre. Das ist ein sehr grosser Unterschied. Weisst du, dass die Pension in Albanien nicht genügt, um zu überleben? Die Familie meinte, wenn ihr Baby alt genug wäre, könnte ich einen Antrag stellen für eine Arbeitsbewilligung und das Bleiberecht in der Schweiz. Jetzt sei dies noch zu schwierig für sie”, teilt mir Edita hoffnungsvoll mit.

Die Realität ist oft eine andere. Hausangestellte arbeiten zumeist jahrelang illegal, ohne geregelte Arbeits-, Ruhezeiten und Gesundheitsschutz. Wehren tun sich die wenigsten.

Nur vereinzelt dringen Missbrauchsfälle von Hausangestellten auch in der Schweiz ans Licht. 2021 wird publik, dass pakistanische Diplomaten in Genf zwanzig Jahre lang philippinische Angestellte missbraucht haben sollen. Sie hätten teilweise ohne Bezahlung gearbeitet. Die philippinischen Angestellten schliessen sich zusammen und erstatten bei der Staatsanwaltschaft Anzeige.

Careinfo.ch berichtet von einer Care-Migrantin, die im Kanton Solothurn vor Gericht geht und von ihrer Arbeitgeberin eine Lohnachzahlung fordert für unvergütete Nachteinsätze und Präsenzzeit sowie nicht gewährte Freizeit und Feiertage.

Die Klägerin erhält Ende Januar 2020 vollumfänglich Recht.

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Nun ist das Parlament gefragt

Eine Petition möchte die Hausangestellten deshalb künftig besser schützen. Die Arbeit in Privathaushalten soll dem Arbeitsgesetz unterstellt werden, damit die Arbeitsbedingungen geregelt werden können. An der vergangenen Frauensession vom Oktober ist die entsprechende Petition “Unterstellung der Arbeit in Privathaushalten unter das Arbeitsgesetz” von der Mehrheit angenommen worden. Nun wird sie an das Parlament weitergegeben.

Damit sind noch nicht alle Probleme gelöst. Burri aber meint: “Es wäre durchaus ein massiver Fortschritt. Die Hausangestellten könnten viel mehr fordern, wenn es um die Arbeitszeit und den Gesundheitsschutz geht. Die Frage zum Vollzug stellt sich aber immer noch.” Es wird in der Praxis nicht einfach sein, diesem Recht Geltung zu verschaffen. “Was in diesen vier Wänden in einem Privathaushalt im Vorort passiert, erfährt niemand. Da muss man ein gesamtgesellschaftliches Bewusstsein schaffen, aufklären sowie ausbilden. Einerseits die Angestellten und andererseits die Kontrollinstanzen. Wie das Arbeitsinspektorat oder Personen bei der Gewerkschaft”, fügt der Arbeitsexperte an. Denkbar wären ähnliche Strukturen wie bei der Arbeit mit älteren Menschen. Da seien mehrere Stellen involviert: Hausärzt:innnen, Spitex, usw.. Diese seien durchaus in der Lage, festzustellen, dass in diesen Haushalten etwas nicht gut laufe.

Ich verabschiede mich unterdessen von Edita und verspreche ihr, sie in Albanien zu besuchen.