Vergangene Woche kippte der Oberste Gerichtshof in den USA die Rechtsprechung «Roe vs. Wade». Sie erlaubte bisher Schwangerschaftsabbrüche in jedem Bundesstaat und ist im Sommer 2022, nach fast einem halben Jahrhundert, wieder Geschichte. De facto wird ein Abbruch künftig in vielen Staaten verboten. Der mehrheitlich konservativ besetzte Gerichtshof treibt damit Frauen, die eine Schwangerschaft abbrechen möchten, in die Illegalität und in die Armut.

Abtreibungen zu verbieten, heisst nicht, dass sie nicht mehr stattfinden. Sie werden trotzdem, aber mit dubiosen, lebensgefährlichen Methoden umgesetzt – der Kleiderbügel erinnert als Symbol an feministischen Demos daran. Frauen in den USA müssen in Zukunft in andere Bundesstaaten reisen, um einen sicheren Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen. Viele können sich das nicht leisten, weil sie sowieso schon zu wenig Geld zum Leben haben. Und die Kinder von Frauen, die eine Schwangerschaft nicht beenden konnten, leben später eher in Armut, wie unser kürzlich veröffentlichter Artikel über die Turnaway-Studie aufzeigte.

Auch Schweizer Konservative nehmen sich den Entscheid des Supreme Courts zum Vorbild. Zurzeit arbeiten die beiden SVP-Nationalrät:innen Yvette Estermann und Erich von Siebenthal an der sogenannten Herzschlag-Initiative, analog zum «Heartbeat Law» im Bundesstaat Texas. Diese Initiative will die Frist für einen Schwangerschaftsabbruch radikal verkürzen: Abtreibungen sollen verboten werden, sobald das Herz des Fötus pocht. Das ist ungefähr ab der sechsten Woche einer Schwangerschaft der Fall. In dieser Zeit wissen viele noch gar nicht, dass sie schwanger sind. Die Frist, überhaupt eine Entscheidung treffen zu können, würde verfallen.

Das Recht über den eigenen Körper ist eine unabdingbare Errungenschaft

Estermann hat zusammen mit der SVP-Nationalrätin Andrea Geissbühler zusätzlich zwei andere Initiativen ausgearbeitet, für die bereits Unterschriften gesammelt werden: die «Einmal-drüber-schlafen-Initiative» und die «Lebensfähige-Babys-retten-Initiative». Die erste will, dass man nach dem Beratungsgespräch für einen Schwangerschaftsabbruch eine weitere Nacht über den Entscheid schlafen muss. Diese Forderung ist realitätsfremd. Niemand steht am Morgen auf und entscheidet sich spontan, abzutreiben. Die zweite Initiative will die Frist für Spätabtreibungen unter gewissen Umständen verkürzen. Konservative machen sich also auch in der Schweiz bereit für eine Attacke auf den weiblichen Körper.

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Das Recht, über den eigenen Körper zu bestimmen, darf nicht eingeschränkt werden; es ist eine unabdingbare Errungenschaft der persönlichen Freiheit. Und es ist entscheidend für die selbstbestimmte Lebensweise einer Frau. Die Gründe, kein oder noch kein Kind zu wollen, sind so vielfältig wie ein Frauenleben selbst. Es gibt die 17-jährige Schwangere, die sich zu jung fühlt, um Mutter zu sein und noch in der Lehre ist. Die 21-Jährige, die kaum ihre Rechnungen bezahlen kann, geschweige denn ein Kind ernähren. Die 28-Jährige, die nach einem Übergriff schwanger wurde. Die 33-jährige Schwangere in einer gewaltvollen Beziehung, deren Freund droht, ihr und dem Kind etwas anzutun, wenn sie es bekommt. Die 40-Jährige, die sich während der Schwangerschaft mit einem Virus infizierte und in Todesgefahr schwebt. Und wer sich für Kinder entscheidet, steht auch vor Herausforderungen: Habe ich Menschen in meinem Leben, die mich bei der Betreuung und Erziehung unterstützen? Können wir uns eine Familie leisten? Kann ich als Alleinerziehende ohne Hilfe die Kosten für ein Kind schultern? Und wenn ich die Schwangerschaft abbrechen will: Wo bin ich medizinisch in sicheren, einfühlsamen Händen? Wer fängt mich auf, wenn es mir nach dem Eingriff nicht gutgeht? Mit wem kann ich darüber sprechen? Das alles steckt in der Frage: Bin ich bereit für dieses Kind oder nicht?

Das Recht, über den eigenen Körper zu bestimmen, darf nicht eingeschränkt werden; es ist eine unabdingbare Errungenschaft der persönlichen Freiheit.

Schwangerschaftsabbrüche brauchen eine sichere Umgebung

Wir leben in einer Welt, die nicht darauf ausgelegt ist, alle Lebensrealitäten aufzufangen. Schon heute nicht und noch weniger, wenn wir das Recht auf selbstbestimmte Abtreibungen verlieren. Die Strukturen für alleinerziehende Frauen, berufstätige Mütter und kinderreiche Familien sind dürftig. Wer sich für eine Abtreibung entschieden hat und später von Gewissensbissen geplagt wird, muss lange auf psycholgische Betreuung warten, weil die Praxen überlastet sind. Selbstredend sind es gerade die konservativen Kräfte, die sich seit Jahren vehement gegen mehr  Unterstützung und bessere Strukturen einsetzen, die nun das Recht auf Abtreibungen angreifen. Der Staat, so der Tenor, könne sich nicht um alles kümmern. Den Körper der Frau kontrollieren wollen sie aber doch.

Ganz wichtig: Die Möglichkeit, abtreiben zu können, schliesst die Möglichkeit nicht aus, das Kind zu behalten. Aber beides muss in einer sicheren Umgebung geschehen können. Dazu gehört auch die entsprechende Beratung und ein Gesundheitssystem, das die freie Wahl der Frau unterstützt. Was wir sicher nicht brauchen, sind noch mehr Einschränkungen und Vorgaben darüber, was wir mit unserem Körper tun dürfen und was nicht. Die aktuelle Weltlage zeigt einmal mehr, wie recht Simone de Beauvoir hatte, als sie sagte: «Vergiss nie, dass es nur einer politischen, wirtschaftlichen oder religiösen Krise bedarf, um die Rechte der Frau infrage zu stellen. Diese Rechte werden niemals vollständig erreicht – man muss sein ganzes Leben lang wachsam bleiben.»