Die Sonne scheint auf Martins Pult, als er seinen Kaffee neben das Telefon stellt und seinen Rechner hochfährt. Vergnügt pfeift er ein Liedchen vor sich hin und montiert sein Headset. Letzten Monat wurde er vom Geschäftsführer als produktivster und am Höchsten gerateter Kundenberater der Starsoft AG gelobt. Das hier ist zwar kein Job fürs Leben, aber Martin ist zufrieden und hat vor, seine Resultate diesen Monat noch zu toppen.

Er öffnet sein Postfach und sieht, dass ihm das Online Kundenberatungssystem 23 der Nachrichten zugeteilt hat, die seit gestern auf info@starsoft.com eingegangen sind. Martin klickt die erste an.

„Hallo Kundenservice. Was mache ich, wenn ich mein Passwort nicht mehr funktioniert? MfG, Peter Frick.“

Ein Selbstläufer für Martin. Er tippt geschwind seine Standardantwort, fügt seine Signatur hinzu und drückt auf Senden.

Die zweite Nachricht ist ebenfalls rasch beantwortet. Ein Kunde will wissen, wie die Installation des zweiten Moduls von CalendarPro funktioniert. Martin informiert ihn freundlich, wo die Online Installationsanleitung für CalendarPro zu finden ist, die Schritt für Schritt und in drei Sprachen erklärt, wie bei der Neuinstallation vorzugehen ist. Insert signature, send, done.

Die dritte Anfrage kommt von einem Kunden, der morgen früh eine Schulung für eine Buchhaltungs-Software gebucht hat und nun kurzfristig den Termin verschieben will. Martin bietet ihm einen Termin für nächste Woche an, erklärt ihm aber auch, dass ihm, weil seine Anfrage weniger als 48 Stunden vor der Schulung eingeht, 50% der Kosten belastet werden.

Als Martin seine dritte Antwort abgeschickt hat, sieht er, dass Peter Frick bereits geantwortet hat. Als er die Zeilen von Herrn Frick liest, ist er leicht irritiert. Dieser schreibt: „Meinen Sie, darauf bin ich nicht selbst schon gekommen? Ich bin ja nicht blöd. Funktioniert trotzdem nicht. Bitte umgehend antworten, brauche sofort Zugriff.“

Martin scrollt runter und schaut sich nochmals seine Antwort an Herrn Frick an. Er hatte diesem, wie er das bei allen Kunden tut, die ihr Passwort vergessen haben, mit freundlichen Worten einen sechsstelligen Aktivierungscode per Email geschickt, damit dieser sich ein neues Passwort definieren konnte. Weiter hatte er ihn höflich darauf hingewiesen, jeweils auch im Spam-Ordner nachzusehen, ob ihm das Online System eine Nachricht zugeschickt habe, da die automatisierten Nachrichten oft als Spam markiert würden.

Martin checkt das System und sieht, dass dieses gestern Abend bereits einen Aktivierungscode an Herrn Frick geschickt hatte. In seiner zweiten Antwort entschuldigt er sich bei Herrn Frick für die Umstände und weist diesen höflich darauf hin, dass es möglicherweise daran liege, dass er beim Aktivierungscode die Gross- und Kleinschreibung nicht beachtet habe.“

Kaum, dass er auf Senden gedrückt hat, erscheint die nächste Nachricht von Herrn Frick im Posteingang. „Und warum schreiben sie das nicht gleich? Beschäftigt Starsoft nur noch Anfänger?“ Martin ärgert sich zwar über den Ton, bleibt aber professionell und schreibt in seiner abschliessenden Antwort an Herrn Frick, dass es ihn freue, ihm nun doch noch habe helfen zu können.

Bevor Martin die vierte Nachricht bearbeiten kann, sieht er, dass sich der Kunde betreffend Schulungsterminverschiebung wieder gemeldet hat und zieht diesen aus Dringlichkeitsgründen vor. Als er dessen Zeilen liest, schüttelt er den Kopf: „Dass ich 50% der Kosten bezahlen muss, obwohl ich an der morgigen Schulung nicht teilnehme, ist eine Frechheit. Ich bin schon seit Jahren Kunde bei der Starsoft. Da kann ich ja wohl mit etwas Kulanz rechnen?“

Wieder bemüht sich Martin, freundlich zu bleiben, schreibt dem Kunden aber zurück, dass er bei seiner Anmeldung nochmals auf die 48-Stunden-Regel aufmerksam gemacht wurde und bittet ihn um Verständnis, dass der Starsoft durch zu kurzfristige Verschiebungen oder Absagen Kosten entstehen, die der Kunde zu tragen habe.

Umgehend kommt die wütende Antwort. „Haben sie nicht gelesen, dass ich Stammkunde bin? Verweisen sie mich an den Geschäftsführer oder ihren Vorgesetzten.“ Martin seufzt. Er hat diese Frage bereits verschiedene Male mit dem Geschäftsführer besprochen und weiss, dass dieser hier eine harte Linie fährt. Ebendies antwortet er – natürlich freundlich – auch dem aufgebrachten Kunden. Dessen Reaktion lässt nicht lange auf sich warten: „Auch lecken sie mich. Ich brauche keinen neuen Termin. Das war das letzte Mal, dass ich bei Starsoft bestellt habe.“

Als Martin einen Schluck Kaffee nehmen will, merkt er, dass dieser inzwischen kalt ist. Ein Blick auf die Uhr zeigt ihm, dass er bereits leicht über seiner Durchschnittsbearbeitungszeit pro Kunde liegt.

Überhaupt geht es den ganzen Tag und sogar die ganze Woche in diesem unerfreulichen Stil weiter. Was ist denn bloss los? Als Martin Ende Woche seine Zahlen checkt, stellt er fest, dass dies seine schwächste Woche überhaupt ist.

Deprimiert beschliesst er, sich noch eine Cola aus der Firmenkantine zu holen, bevor er Wochenende macht. Dort trifft er seine blendend gelaunte Kollegin Martina, die sich ebenfalls gerade ein Getränk aus dem Kühlschrank fischt. „Alles klar? Reif fürs Wochenende?“ ruft sie ihm fröhlich zu.

„Und wie. So eine miese Woche hatte ich noch nie. Keine Ahnung was im Moment mit den Kunden los ist.“

„Echt? Bei mir ist es genau umgekehrt. Ich hatte noch nie eine produktivere Woche und freue mich richtig auf die nächste.“

„Du Glückliche. Bei mir wird derzeit jede meiner Antworten hinterfragt und das in einem Ton, der mich total demotiviert.“

„Klingt vertraut, aber diese Woche ist anders. Ich werde von Anfang an respektiert und kann zügig und effizient arbeiten. Es macht wirklich Spass.“

„Mir vergeht der Spass gerade. Und vor allem frage ich mich, woran das auf einmal liegt.“

„Am Vollmond kann‘s nicht liegen, bei mir läuft es, wie gesagt, super. Anyway, hab trotzdem ein schönes und vor allem erholsames Wochenende.“

„Vielen Dank, das wünsche ich Dir auch.“ murmelt Martin, der nicht mehr richtig bei der Sache ist, weil ihm gerade eine Idee gekommen ist. Er hastet zurück in sein Büro.

Tatsächlich! Als er die aktuellste gesendete Nachricht anklickt, fällt es ihm wie Schuppen von den Augen: Statt seiner eigenen, fast identischen Signatur steht da: Martina Schneider, Customer Service Professional, Starsoft AG.

Martin scrollt weiter nach unten und sieht seinen Verdacht bestätigt. Seit Montag hat das System jedesmal, wenn er seine Signatur einfügte, versehentlich die seiner Namensvetterin Martina übernommen.

Rasch greift Martin zu Hörer und erwischt Martina gerade noch, bevor sie ihren Rechner herunterfährt. „Martina, ich glaube, ich weiss, weshalb ich eine so schlechte und Du eine so gute Woche hattest.“

„Sicher? Lass hören…“

„Das System hat unsere Signaturen vertauscht. Ich war die ganze Woche als Martina Schneider unterwegs und ich nehme an, Du als Martin.“

„Warte schnell, ich sehe nach…“ Martin hört Martina in die Tasten hämmern. „Du hast Recht, ich habe alle meine Emails als Martin Schneider verschickt… Das ist ja unglaublich.“

„Allerdings! Aber es besteht kein Zweifel. Das A hat diese Woche alles auf den Kopf gestellt. Das müssen wir am Montag sofort Preusser melden.“

„Ich weiss nicht recht… Der hat als Geschäftsführer bestimmt andere Prioritäten.“

„Der Fall ist derart offensichtlich, dass er Massnahmen gegen diese Diskriminierung ergreifen muss. Ich werde mit ihm sprechen, Du wirst schon sehen.“

„Wenn Du meinst. Also nochmals: ein schönes Wochenende, ich bin weg.“

„Tschau, Dir auch, bis Montag.“

Als Martin am Montag mit Preusser spricht, hat dieser wenig Gehör für Martins Theorie. Die ungleiche Behandlung muss auf Zufall beruhen. Die verkehrten Resultate von Martin und Martina machen ihn allerdings dann doch etwas stutzig. Und sofort erkennt er das Potential.

Martina, verunsichert, wie sie nun weiterarbeiten soll, geht am Montagmorgen direkt zu Martin ins Büro, um ihn zu fragen, ob er schon mit Preusser gesprochen habe. Als sie dort ankommt, sieht sie diesen gerade noch mit einem zufriedenen Lächeln um die Ecke biegen.

„Guten Morgen. Du konntest bereits mit Preusser reden?“

„Ja, er ist gerade zur Tür raus.“

„Und was hat er gemeint?“

„Er hat beschlossen, dass künftig alle Kundendienstmitarbeiter mit meiner Signatur unterzeichnen. Und wenn sich die Resultate damit so entwickeln, wie er sich das vorstellt, dann ist für uns alle ein Weihnachtsessen im Goldenen Sternen drin.“