"Um 8 Uhr 30 ein Board Meeting ansetzen, kann auch nur einer, der an seniler Bettflucht leidet." Walder ist denkbar schlecht gelaunt, als er kurz nach sieben am Bahnhof in Bern auf die Einfahrt des Zuges nach Zürich wartet. Der amtierende Verwaltungsratspräsident Steck dagegen ist bekannt dafür, dass er gerne Frühsport treibt und anschliessend voller Tatendrang Sitzungen leitet.

"Und dies im Januar, wenn es morgens bis um 8 stockdunkel ist." Es beginnt zu nieseln. Walder schlägt den Kragen seines Kaschmirmantels hoch.

Nicht einmal der kleine Kaffeestand, an dem Walder sonst seinen doppelten Espresso trinkt, ist geöffnet. Dennoch stehen sich auf dem Perron erstaunlich viele Fahrgäste die Füsse platt.

"Offenbar fährt man um diese Uhrzeit zur Arbeit." Walder klopft sich im Stillen auf die Schulter. Von wenigen Ausnahmen wie der heutigen abgesehen, erlauben ihm seine Verwaltungsratsmandate, sich die Zeit selbst einzuteilen.

Als der Zug endlich einfährt, merkt Walder, dass sich die geübten Pendler ihre Füsse an strategisch geschickten Stellen des Perrons platt standen: Im Sektor, in dem die 1. Klasse-Wagen zum Stehen kommen und dort, wo ungefähr die Türen sind. Walder dagegen muss nun noch im Stechschritt drei 2. Klasse-Wagen passieren. Als er einsteigt, sind praktisch alle Sitzplätze bereits besetzt. Jedenfalls alle in Fahrtrichtung, am Fenster und mit Tisch.

Unterdrückt keuchend lässt sich Walder auf den letzten in einem Viererabteil am Gang gelegenen Sitz fallen. Hinter seinen Schläfen beginnt es zu pochen. Gestern war das Weihnachtsessen des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes und nun spürt Walder, dass er besser auf das fünfte Glas Rotwein verzichtet hätte.

"Was soll's. In diesem Gedränge kann ich ohnehin keine vertraulichen Unterlagen studieren." Walder beschliesst, sich für einmal nicht auf die Sitzung vorzubereiten und stattdessen ein Stündchen zu schlafen. Ausser der Wahl des neuen Geschäftsführers der Voltera AG hat Steck nichts Wichtiges traktandiert, daran erinnert sich Walder, bevor er eindöst.

Als der Zug im Zürcher Hauptbahnhof einfährt, beginnt es zu schneien. Leise fluchend bahnt sich Walder seinen Weg durch die Menge und in Richtung Tram Nr. 13. Ein Blick auf die grosse Uhr über dem Treffpunkt verrät ihm, dass er keine Zeit für einen Kaffee mehr hat.

Am Empfang der Voltera AG lässt er sich von Frau Stocker den Mantel abnehmen und zum Lift führen. Im Sitzungszimmer angekommen muss er feststellen, dass weder Steck noch die anderen VR-Mitglieder bereits eingetroffen sind. "Na, typisch, die anderen in aller Herrgottsfrühe aus dem Bett scheuchen und selbst bis kurz vor dem Meeting in der Sauna sitzen." denkt Walder, während er die Beine der offenbar neuen Assistentin mustert, welche gerade die Traktandenlisten und weitere Unterlagen um den grossen Sitzungstisch verteilt.

"Können Sie mir einen Espresso bringen?" brummt Walder als er seine Aktentasche auf einen freien Stuhl stellt. "Einen doppelten" fügt er, ohne aufzublicken, hinzu.

"Gerne." Schon ist die Assistentin aus dem Zimmer verschwunden.

Ein paar Minuten später steht endlich der lang ersehnte Kaffee vor Walder, der diesen mit gierigen Schlückchen leert.

Kurz darauf treffen die übrigen VR-Mitglieder und zuletzt ein frischgeduschter, energetischer Steck ein, der sofort die Sitzung eröffnet. Pünktlich, zum Ärgernis von Walder.

Walder hat sich richtig erinnert, das erste Traktandum ist die Wahl des neuen Geschäftsführers der Voltera AG. Steck will, dass sich dieser selbst vorstellt, anstatt lange Worte zu machen, wie er sagt. Er wählt die Nummer des Empfangs und weist Frau Stocker mit einem "Wir wären soweit." an.

Als kurze Zeit später die Tür aufgeht, erscheint die Assistentin und setzt sich neben Steck, um sogleich mit ihrer Vorstellung zu beginnen.