Die Schwedin Liv Strömquist ist eine der bekanntesten feministischen Comiczeichnerinnen. Nach ihrem Studium der Politikwissenschaften zeichnete sie regelmässig für verschiedene schwedische Magazine und Zeitungen. In ihrem ersten Comic «Der Ursprung der Welt» beschäftigt sie sich mit der Tabuisierung der Menstruation und der Vulva – von der Bibel bis zur heutigen Popkultur und Werbung. Der Nachfolger «Der Ursprung der Liebe» zeigt Beziehungsformen und -muster von der Prüderie des 19. Jahrhunderts über nordische Göttinnen bis heute.  In «I'm every woman» beschäftigte sich Strömquist mit dem Mythos des männlichen Genies und zeigt die Geschichte aus weiblicher Perspektive.

Das «Imperium der Bilder» beschrieb die Philosophin Susan Bordo bereits 2003. Ihre Theorie wurde in den letzten Jahren immer mehr zur Realität: Wir posten unseren Alltag auf Instagram und ertrinken auf Social Media in einer Bilderflut. Wir erfahren unser eigenes und das Leben der anderen durch Bilder. Wie hat sich unser Schönheitsempfinden dadurch verändert? Wäre Marilyn Monroes Karriere anders verlaufen, wenn sie ihre Fotos selber gemacht hätte und nicht von einem männlichen Fotografen zum Sexsymbol gemacht worden wäre? Was haben die Kaiserin Sissi und Kim Kardashian gemeinsam? Diesen Fragen widmet sich die schwedische Illustratorin Liv Strömquist in fünf Essays in ihrer neuen Graphic Novel «Im Spiegelsaal».

Wer muss dein Buch dringend lesen?

Ich denke eigentlich nicht so viel darüber nach, für wen ich meine Bücher mache. Sondern eher darüber, warum mich der Inhalt interessiert. Was ich selber noch nicht weiss und worüber ich gerne mehr wissen möchte. Dann wird es spannend für mich.

Illustration: Liv Strömquist

Welches war der Schlüsselmoment für dein Buch «Im Spiegelsaal»?

Wir leben in einer Gesellschaft, die total von Selfies und Fotos dominiert wird. Wir alle werden täglich damit bombardiert, wir erleben unsere eigene Welt und die unserer Freund:innen durch Fotos – nicht mehr so sehr durch Erzählungen. Das trifft vor allem auf Frauen zu: Wir machen Fotos von uns selber und kontrollieren dadurch das Bild, das andere von uns haben. Wir werden aber auch beurteilt, man kann Bilder liken oder nicht, und je nachdem, wie viele Likes du auf Instagram für ein Bild kriegst, macht dich das traurig oder nicht. Das ist ein relativ neues Phänomen. Ich wollte das unbedingt analysieren: Was passiert hier eigentlich genau? Was macht das mit uns? Wie werden wir davon beeinflusst?

Von deinen Büchern dürften sich vor allem Frauen angesprochen fühlen. Lesen dich auch Männer?

Tatsächlich ist es so, dass bei meinen Lesungen viele Männer anwesend sind. Daher gehe ich davon aus, dass sie auch meine Bücher lesen. Und das freut mich natürlich!

Liv Strömquist
Wir machen Fotos von uns selber und kontrollieren dadurch das Bild, das andere von uns haben.

Wann bist du zur Feministin geworden?

Ich kann das eigentlich auf einen einzigen Tag zurückführen. Als ich jünger war, war das Thema Feminismus nicht so angesagt wie heute. Ich bin ja ein Kind der 1980er, damals hiess es immer: Wir haben ja schon so viel erreicht, es gibt eigentlich nichts mehr zu tun. Es gab keine gesellschaftliche feministische Debatte, so viel/weit ich mich erinnere. Als ich 17 war, besuchte ich meine Schwester in Stockholm, und wir hörten damals viel Punk, viel alternative Musik. Wir gingen in ein Café und hörten uns einen Vortrag einer Frau an, die über die Ungleichheit in Beziehungen von  jungen Paaren recherchiert hatte. Sie sagte: «Lasst uns unsere feministische Brille anziehen und uns die Welt einmal aus dieser Perspektive anschauen.» Das war das erste Mal, dass ich diesen Ausdruck überhaupt hörte, und ich wurde neugierig. Ihr Vortrag hat mich total inspiriert. Ich habe erkannt, was mich eigentlich schon lange störte – wofür ich aber bisher schlicht keine Worte hatte: das Patriarchat! Endlich hatte ich einen Ausdruck dafür. Meine Schwester und ich wurden quasi von dieser Minute an zu Feministinnen. Ich ging zurück nach Hause und lieh mir sämtliche feministischen Standardwerke aus der Bibliothek aus. Dieses Erlebnis war wirklich eine Erleuchtung für mich.

Was braucht es für eine feministische Weltrevolution?

In den letzten Jahren gab es ja Gott sei Dank eine grosse Erstarkung der feministischen Bewegung. Im Gegensatz etwa zu den 1970er-Jahren wird die Bewegung heute aber teilweise stark von grossen Firmen missbraucht: Es gibt plötzlich «GRLPWR»-Shirts, die in armen Ländern hergestellt werden. Viele Werbesujets, die Empowerment bewerben sollen, sind noch immer voller sexistischer Bilder. Es sind noch immer die gleichen Firmen, die Frauen einreden, sie sind zu dick und hässlich. Oder es heisst, dass Frauen nun auch in die Armee müssen. Damit stützt man ein System, gegen das der Feminismus ja eigentlich ankämpfen will. Aber darüber legt der Kapitalismus einfach eine rosa Decke, und nun heisst es: Wow, wir Frauen können auch einen Kampfjet fliegen und Länder bombardieren, so cool! Das ist doch einfach falsch. Für mich liegt die Herausforderung darin, das zu überwinden. Feminismus darf nicht vom Kapitalismus angeeignet werden.

Was hast du im Schreibprozess gelernt?

Ich lerne immer sehr viel, wenn ich ein Buch schreibe. Weil ich mich komplett in ein Thema hineingeben kann, das mich interessiert und über das ich vorher noch nichts wusste. Und ich werde dadurch immer wieder überrascht. Für meine Bücher suche ich mir deshalb auch immer Themen aus, die nicht so offensichtlich sind. Wenn ich aber fertig bin damit, dann denke ich lustigerweise nicht mehr so viel darüber nach. Das Schreiben ist fast wie ein Reinigungsprozess: Nach dem Schreiben ist das Thema aus meinem System draussen und zwischen zwei Buchdeckeln.

Illustration: Liv Strömquist
Liv Strömquist
Feminismus darf nicht vom Kapitalismus angeeignet werden.

Was ist das schönste Kompliment, das du für dein Buch erhalten hast?

Mich freut es immer, wenn mir die Leute sagen, dass sie meine Bücher lustig finden. Das ist das wichtigste für mich. Oder wenn ich höre, dass sie durch die Lektüre ihre eigenen Ansichten überdenken, eine neue Perspektive gewonnen haben.

Und die schlimmste Beleidigung?

Haha, das kam bisher praktisch noch nie vor. Die schlimmste Kritik zu meinen Büchern kommt von mir selber. Ich denke so oft schon beim Schreiben darüber nach, was jemand am Buch auszusetzen haben könnte. Aber in der Realität ist das bisher zum Glück noch nie eingetroffen.

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Über welche weiteren Themen möchtest du schreiben?

Ich habe gerade mein neues Buch fertiggestellt. Es geht um Astrologie!

Oh, da hast du einen Nerv getroffen.

Haha, ja, das glaube ich auch. Es geht um die Geschichte der Astrologie. Ich habe mich darüber immer ein bisschen lustig gemacht, auch auf meinem Instagram-Account. Es sind 12 Kapitel, für jedes Sternzeichen gibt es eins. Und ich erkläre ein bisschen, wie das alles zustande gekommen ist, dass wir heute einen solchen Hype erleben. Und am Ende gibt es sogar noch einen Abschnitt darüber, welche Sternzeichen besonders gut zusammenpassen. Es wird auch ein bisschen gemein. Meine Mutter sagte zu mir: «Du musst auch etwas Nettes über die einzelnen Sternzeichen schreiben!» Und ich entgegnete: «Sicher nicht, das ist doch nicht lustig!» Aber klar: Das ist alles mit einem Augenzwinkern zu verstehen.

«Im Spiegelsaal», 2021, avant-verlag