Es ist der Höhepunkt von Minervas bisheriger Karriere. Heute Abend wird sie an der Preisverleihung des Ballon d’Or vor einem riesigen Fernsehpublikum als weltbeste Fussballerin geehrt. Aber es ist nicht nur für sie selbst ein Höhepunkt, sondern auch ein historischer Moment für den gesamten Frauenfussball. Noch nie in seiner über sechzigjährigen Geschichte wurde die Trophäe an eine Frau verliehen.

Minerva freut sich sehr darauf, mit Paolo Mancini, dem überragenden Stürmer von Juventus Turin, sowie Diego Almeida, dem Nachwuchsballkünstler aus Brasilien, auf der Bühne zu stehen. Der Ballon d’Or ist die absolute Krönung für jeden Fussballer und sogar noch prestigeträchtiger als die von der FIFA vergebene offizielle Auszeichnung zum Weltfussballer des Jahres. Franz Beckenbauer errang den Pokal 1972, Michel Platini in den achtziger Jahren dreimal in Folge und auch Lionel Messi gehört zu den Mehrfachgewinnern.

Auf dem Flug nach Paris lässt Minerva die Stationen ihrer Karriere nochmals Revue passieren. Sie denkt an all die Trainings bei Eisregen und Schnee, die vielen Niederlagen, die sie in ihrer Zeit beim FC Oslo einstecken musste, und nicht zuletzt an die über die Jahre immer wieder auftauchende zweifelnde Frage, ob Fussball für sie als Mädchen das Richtige sei. Nun hat sich all das gelohnt.

Das Kleid, das sie heute Abend trägt, ist von Dior und wurde ihr eigens für den Anlass zur Verfügung gestellt. Es gefällt ihr, dass sie die Welt für einmal nicht im Fussballtrikot, sondern in dieser herrlich schimmernden, goldenen Robe sieht, die ihre weiblichen Rundungen zur Geltung bringt. Minerva ist nicht nur eine erfolgreiche Fussballerin, sondern auch eine schöne Frau, und darauf ist sie stolz.

Als sie fertig frisiert und geschminkt hinter der Bühne steht und auf ihren Auftritt wartet, ist sie etwas nervös. Sie ist es zwar gewohnt, vor Publikum zu spielen, aber so ein Live-Fernsehauftritt ist nochmals eine andere Geschichte. Seit Tagen überlegt sie fieberhaft, welche Fragen ihr der Moderator stellen könnte, und hofft, dass keine allzu politischen dabei sind. Grosse Reden sind nicht unbedingt ihr Ding.

Endlich ist es soweit: Der Vorhang geht auf und Minerva tritt ins gleissende Scheinwerferlicht. Sie sieht kaum etwas, hört aber den tosenden Applaus der Zuschauer und winkt ihnen zu. Sie nimmt den Ballon d’Or in beide Hände, küsst ihn und stemmt ihn über den Kopf. An diesen Moment wird sie sich ein Leben lang erinnern. Langsam verebbt das Klatschen und sie erhält über den Knopf in ihrem Ohr die Regieanweisung, sich zum Moderator zu bewegen. Dort angekommen, begrüsst sie dieser und meint, wie schon für die anderen Preisträger, habe er auch für sie etwas Kleines vorbereitet. Seine unvermittelte Frage trifft sie wie eine Ohrfeige und reisst sie aus ihrem Traum: «Kannst Du twerken?»

Anmerkung der Redaktion: Twerken ist ein sexuell provokativer Tanzstil, bei dem die Hüfte ruckartig bewegt und das Gesäss zum Schwingen und Zucken gebracht wird