Von allen Seiten bombardiert mit Sonderangeboten und Schnäppchenpreisen, fiel auch ich zwar um ein Haar der kopflosen Kaufwut anheim - aber eben nur beinahe. Meine Rettung bestand 1. aus der wahrhaft miesen Selektion der Produkte, die man mir anzudrehen versuchte, sowie 2. der unterirdischen Qualität der Werbebotschaften.

Die Produkte, zu deren Kauf mich das Internet zu verleiten versuchte: Kleider, Make-Up, Diätmittel, Booty-Bootcamps, Anti-Aging-Cremes und Windeln. Ich: Eine Mittdreissigerin, die wohl Spass an schönen Klamotten hat, diese aber hauptsächlich Secondhand ersteht, glücklich kinderlos ist, noch ziemlich faltenfrei und mit meiner Figur ganz happy, vielen Dank. Interessiert an: Politik, DJ-Equipment, Musik, Feminismus, Literatur. Die Diskrepanz zwischen dem Bild von Rosanna Grüter, das mein Browser mir in den letzten Tagen zeichnete, und der echten Rosanna Grüter hätte grösser kaum sein können. Ich frage mich also: Habe ich dieses Jahr einfach atypische Dinge gegoogelt, oder ist das Bild der durchschnittlichen 37 jährigen Frau in den Köpfen der werbetreibenden und Algorithmen schreibenden Wirtschaft tatsächlich derart stereotyp? Und: bei welchen Frauen zieht diese Auswahl an vermeintlichen Schnäppchen? Ich für meinen Teil fühle mich davon eher beleidigt als zum Geld ausgeben animiert. Übersetzt man diese Produktauswahl nämlich mal ungeschönt auf Deutsch, so bedeutet sie doch: Mädel, deine Garderobe lässt zu wünschen übrig für eine Frau, die langsam sichtlich alt wird. Dein Arsch sah auf alle Fälle schon mal besser aus. Bist du wenigstens schwanger? Nicht? Also einfach nur fett? Schade. Willst du daran nicht vielleicht was ändern?

Für Werbeinhalte, die sich an ein weibliches Zielpublikum richten, wird weniger Zeit und Geld investiert als für solche an eine männliche Zielgruppe.

Womit wir bei der Tonalität von Werbebotschaften an uns Frauen wären. Verschiedene Studien - insbesondere aus den USA - kommen zum Schluss, dass für Werbeinhalte, die sich an ein weibliches Zielpublikum richten, weniger Zeit und Geld investiert wird als für solche an eine männliche Zielgruppe. Besonders gross ist dieser Unterschied, wenn es sich bei den beworbenen Produkten um “klassische Frauenprodukte” wie Reinigungsmittel oder Kosmetika handelt. Frei nach dem Motto: Frauen kaufen ja sowieso mit Begeisterung Windeln, da brauchen wir uns nicht gross zu bemühen. Sollen solche Produkte hingegen an Männer verkauft werden, dann wird richtig geklotzt. Die Kampagne von Pampers mit John Legend zum Vatertag ist da nur ein Beispiel von vielen. Im United Kingdom wurden Werbebotschaften, die mit Stereotypen versuchen, ihre Produkte an den Mann und an die Frau zu bringen, darum 2019 verboten. Eine entsprechende parlamentarische Motion wurde in der Schweiz im gleichen Jahr abgelehnt.

Rosanna Grüter
In Werbung für Frauen wird viel häufiger mit negativen Anreizen gearbeitet. Also nicht: «wir sehen dich und nehmen uns deiner Wünsche an, sondern: Baby, du könntest wirklich besser aussehen.»

Des weiteren wird in Werbung für Frauen viel häufiger mit negativen Anreizen gearbeitet. Also nicht: «wir sehen dich und nehmen uns deiner Wünsche an, sondern: Baby, du könntest wirklich besser aussehen.» So kommen beispielsweise Werbungen für Diätmittel in Medien, die sich an Frauen richten, mehr als zehn Mal häufiger vor als in solchen mit einem männlichen Zielpublikum.

Natürlich ist mir klar, dass kaum eine Frau nur aufgrund von Werbung eine Essstörung entwickelt - vor allem keine gestandene Frau wie ich. Für eine 15 Jährige auf Selbstfindung könnte das Bombardement mit dieser Art von Bildern und Botschaften unter Umständen jedoch verheerend sein.

Bevor mir jetzt jemand die Funktionsweise von Algorithmen erklärt: Wie eingangs erwähnt, könnte natürlich auch mein Klick-Verhalten im Internet für die misslungene Produktauswahl verantwortlich sein. Ein Blick in die Einstellung “personalisierte Werbung” bei Facebook offenbart aber, dass ich mich insbesondere für Alkohol (!) sowie die Zentralbibliothek Zürich (?) zu interessieren scheine. Das ist zwar auch nicht ganz akkurat, liegt aber ziemlich weit ab von Windeln und Wimperntusche.

Könnten also auch diese vermeintlich so objektiven Algorithmen gewissen Stereotypen aufsitzen? Immerhin werden sie - so wie Werbung übrigens auch - hauptsächlich von weissen, heterosexuellen, privilegierten cis-Männern gemacht. Und diese haben, wie wir alle, gewisse blinde Flecken, welche sich in den von ihnen fabrizierten Programmen fortsetzen.

Was macht der Algorithmus mit Fotos von Küchen: Diese werden automatisch mit dem Begriff “Frau” versehen, und zwar selbst dann, wenn auf dem Foto ein Mann in einer Küche zu sehen ist.

Bestes Beispiel: Der Google Bilderkennungs-Algorithmus. Dieser ist dafür zuständig, hochgeladene Fotos automatisch mit Schlagworten zu versehen, damit diese bei der Bildersuche gefunden werden können. Wenn ich z.B. ein Bild von einem Dackel hochlade, dann labelt er dieses automatisch mit dem Begriff “Hund”. Nun ist es den (weissen) Programmieren bei Google aber leider entgangen, ihren Algorithmus auch mit Bildern von nicht-weissen Menschen zu trainieren. In der Folge labelte er Fotos von PoCs mit den Begriffen  “Affe” und “Gorilla” anstatt mit “Mensch”. Selbiges gilt für Fotos von Küchen: Diese werden automatisch mit dem Begriff “Frau” versehen, und zwar selbst dann, wenn auf dem Foto ein Mann in einer Küche zu sehen ist. Und auch der Algorithmus, der bei Facebook und Instagram dafür zuständig ist, ein Bild im Newsfeed zu platzieren, hat offenbar sexistische Tendenzen: Forscher:innen fanden heraus, dass er Fotos mit viel nackter Haut prioritär behandelt - vor allem, wenn auf den Fotos Frauen zu sehen sind. Die Wahrscheinlichkeit, dass meine Follower ein Bild von mir sehen, ist als höher, wenn ich darauf wenig Kleider trage, als wenn ich darauf beim Auflegen zu sehen bin. Das finde ich wirklich tragisch, da es uns Frauen immer und wieder auf “unseren” Platz - nämlich in die Beauty-Ecke - verweist.

Es ist wirklich tragisch, dass die Werbewirtschaft und Tech-Konzerne uns Frauen immer und wieder auf “unseren” Platz - nämlich in die Beauty-Ecke - verweisen.

Über “meine” misslungenen Black Friday-Angebote kann ich hingegen nur noch müde lächeln. Wer eine so schemenhafte Vorstellung von seiner Zielgruppe hat, muss sich schliesslich nicht wundern, wenn er (oder sie, aber wohl seltener) keine Produkte verkauft - an mich nicht, und an andere Frauen wohl auch nicht. Selber Schuld.