Als Kind mochte ich Baby-Jesus lieber als den gekreuzigten Jesus. Baby-Jesus in der Krippe mit Mutter Maria und Vater Joseph gibt einfach die besseren Vibes als der abschreckende Anblick durchnagelter Hände und Füsse eines sterbenden Menschen. Jesus-krippenartig habe ich mir lange auch mein Leben vorgestellt – bis die Realität mein Bilderbuch-Familien-Idyll durchkreuzte.

«Eier werden ab jetzt nicht besser.» So hat mir mein Vater, Immunologe und Genetiker, in der typisch ehrlichen aber liebenswürdigen osteuropäischen Manier zu meinem 25. Geburtstag gratuliert. Ich habe mir das seit diesem Tag mit der Familienplanung also gründlich überlegt. Zahlreiche biologische und genetische Gründe sprechen dafür, dass es am vorteilhaftesten wäre, eine Familie zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr zu gründen.

Doch einer Familiengründung würde für mich eine Kapitulation vor dem frauenfeindlichen und morschen Schweizer Erwerbsersatz-, Steuer- und Vorsorgesystem bedeuten:

Die Mutter wird gesetzlich verpflichtet, nach einer Geburt die ersten acht der 14 Wochen Mutterschaftsurlaub (Urlaub, weil frau sich erholt, dänk!) Zuhause zu bleiben, um sich  "zu erholen". Wohingegen der Vater nur zwei Wochen – freiwillig – beziehen darf. Weil offenbar die ersten acht Wochen mit einem schreienden Neugeborenen als "Erholung" gelten. Ich frage zynisch: Hat denn ein Vater keine Verpflichtung, sich nach der Geburt  "zu erholen"?

In der Zeit der 14 Wochen Mutterschaftsurlaub kriegt die Mutter weniger Erwerbsersatz als ein Soldat. Und trotz der geringeren finanziellen Ersatzleistung gehen nur 18 Prozent der erwerbstätigen Mütter bereits nach 14 Wochen wieder arbeiten. Weil die 14 Wochen Zeit nicht reichen, vielleicht? Weil Familienarbeit kein Urlaub ist, vielleicht? Wenn eine Mutter sich länger "erholen" will, könne sie ja unbezahlt Urlaub nehmen, sagt unsere Gesellschaft. Aber eigentlich sagt unsere Gesellschaft, die Mutter solle den Preis für die Familiengründung zahlen. Würde es sich wenigstens lohnen? Jesus Maria, natürlich nicht.

Die fehlende Zeit am Arbeitsplatz heisst weniger Lohn, weniger Rente und weniger Sozialversicherungsleistungen. Nach einer Geburt ist der Lohn der Mutter um 20 Prozent tiefer als der des Vaters. Und just dann wird auch die Rollenverteilung zementiert: Im darauffolgenden Jahr sind es 39 Prozent und im übernächsten Jahr 40 Prozent. Beim dritten Kind gar 70 Prozent! Und auch das Schweizer Steuersystem leistet hier seinen Beitrag, indem es über die gemeinsame Veranlagung der Ehepaare das (Teilzeit-)Einkommen der Frauen zu einem viel höheren Steuersatz besteuert, als dies bei einer individuellen Veranlagung der Fall wäre. Spätestens dann merkt Mutter Maria, dass ihre Arbeit und ihr Lohn nicht gleich viel Wert sind, wie von Vater Joseph. Was solls. Ihr Lohn war ja sowieso nur dazu gedacht, den Krippenplatz zu bezahlen, für den kleinen Baby-Jesus. Wann hängen wir diese Heuchelei an den Nagel?

Mittlerweile habe ich mehr Sympathien für den gekreuzigten Jesus. Er ist in Wahrheit weniger abschreckend als Baby-Jesus, der Maria den Schweizer Erwerbsersatz-, Steuer- und Vorsorgebeschiss beschert.