«Hast du eine dritte Säule?», fragen mich immer wieder Bekannte. «Ja. Sie darbt aber vor sich hin und wird nicht richtig gefüttert», antworte ich jeweils. Als Reaktion auf meine Gegenfrage gibt es im besten Fall ein «Dito», im schlechtesten ein «Nein». Ich führe diese Gespräche so seit Jahren mit anderen Frauen. Es läuft immer gleich ab. Aufs Thema Anlegen – sei es in der dritten Säule oder sonst wo – kommen wir gar nicht erst. Das Thema ist an dieser Stelle erledigt.

Lange dachte ich, das liege daran, dass ich in Kreisen verkehre, die sich um Geld, Investieren und Vorsorge keine Gedanken machen. Dass wir jung und wild sind und uns um solche Dinge noch nicht kümmern wollen. YOLO, wie wir Millennials sagen.

Inzwischen sehe ich das anders. Meine Lebensrealität ist alles andere als YOLO. Mein Umfeld und ich gehen auf die 40 zu. Wir haben Partner:innen, Jobs, Kinder. Das Leben hat sich verändert. Erhalten geblieben sind uns die vor sich hin darbenden dritten Säulen und fehlende Investitionen.

Zwei Drittel der Frauen mit Kindern könnten ihren Lebensunterhalt nicht alleine bestreiten.

Mütter bleiben arm

Aber warum nur? Weil wir Frauen sind. Und Spoiler: Das wird wohl auch so bleiben, wenn sich nicht grundlegend etwas ändert. Für Mütter gibt es dafür sogar praktisch eine Garantie. Das zeigt eine jüngst erschienene Studie zum Thema Frauen und Vorsorge von geschlechtergerechter.ch. Nur knapp die Hälfte der Frauen mit Kindern sorgt mit einer Säule 3a vor. Bei den Vätern sind es immerhin 64 Prozent. Bei der Säule 3b ist es noch krasser: Während ein Drittel der Männer dort fürs Alter spart, ist es bei den Frauen nur ein Fünftel.

Der Grund dafür ist simpel: Frauen, allen voran den Müttern, fehlt das Geld. Zwei Drittel der Frauen mit Kindern könnten ihren Lebensunterhalt nicht alleine bestreiten. Sie sind abhängig von ihrem Partner. «Child Penalty» nennt sich dieses Phänomen. Und es ist – wen überraschts – in der Schweiz sehr ausgeprägt. 68 Prozent weniger verdienen Frauen hierzulande nach der Geburt ihres ersten Kindes. Dieser Zustand hält nicht nur für ein, zwei Jahre an, sondern besteht langfristig. Teilweise sogar bis zum Ende der beruflichen Laufbahn. Je mehr Kinder eine Familie hat, umso grösser und langanhaltender ist dieser Effekt.

Hauptursache für diesen finanziellen Einbruch ist die Teilzeitarbeit. Acht von zehn Müttern in der Schweiz arbeiten Teilzeit, die Hälfte von ihnen in einem Pensum von weniger als 50 Prozent. Das ist auch der Grund, warum Männer diese Child Penalty so gut wie gar nicht kennen. Die meisten von ihnen arbeiten nämlich auch als Väter munter hochprozentig weiter.

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Männer kümmern sich um Finanzen, Frauen um die Familie

Dass Männer und Frauen in die klassische Rollenverteilung rutschen, sobald Kinder kommen, hat auf der einen Seite strukturelle Gründe: Frauen verdienen immer noch weniger als Männer. Der Gender Pay Gap beträgt in der Schweiz fast 18 Prozent. Dass Frauen also mit weniger Lohn in die Ernährerinnenrolle schlüpfen, ist wenig realistisch. Die familienergänzende Betreuung ist teuer. Nicht alle können es sich leisten, hochprozentig zu arbeiten und ihre Kinder ausser Haus betreuen zu lassen. Subventionen gibt es längst nicht überall. Und schliesslich werden verheiratete Doppelverdiener in unserem System nach wie vor durch hohe Steuern abgestraft.

Auf der anderen Seite gibt es aber auch noch die traditionellen Rollenbilder. Sie leben mit der Geburt eines Kindes wieder auf. Beispielsweise das Bild der liebenden, von Natur aus fürsorglichen Mutter, die sich kümmert. Und das des starken Vaters, der das Geld heimbringt und die Familie ernährt. Diese Bilder existieren nicht nur in unseren Köpfen, sie sind Realität. Das belegt die Statistik: Frauen leisten deutlich mehr Care- und Hausarbeit als Männer – auch wenn sie berufstätig sind. Ganze 50 Prozent mehr waren es im Jahr 2020. Die Männer kümmern sich auf der anderen Seite um die finanziellen Angelegenheiten. Während er also Börsenkurse studiert und Rechnungen zahlt, kocht sie das Abendessen für die Kinder und macht die Wäsche. Und so erstaunt es nicht, dass eine Mehrheit der Frauen (53 Prozent!) ihr geringes Erspartes lieber auf einem Bankkonto liegen und schrumpfen lässt, statt es gewinnbringend zu investieren. Einfach, weil sie es sich nicht zutrauen und glauben, ihnen fehlten Wissen und Kompetenz für Finanzgeschäfte.

Fakt ist: Die traditionellen Rollenbilder und Familienmodelle sorgen dafür, dass Frauen weniger Geld haben. Sie machen uns teilweise sogar arm.

Traditionelle Rollenmodelle machen uns Frauen arm

Ich will hier keine Debatte über Familienmodelle lostreten. Ich höre auch schon all die Stimmen, die sagen: Jede Familie muss für sich eine Lösung finden. Wenn eine Frau mehr Zeit mit den Kindern verbringen will, ist das ihr Recht. Frauen haben alle Möglichkeiten, sie müssen sie nur nutzen … Ich weiss.

Aber Fakt ist: Die traditionellen Rollenbilder und Familienmodelle sorgen dafür, dass Frauen weniger Geld haben. Sie machen uns teilweise sogar arm. Mütter haben langfristige Lohneinbussen von 68 Prozent. Sie haben doppelt so häufig Beitragslücken in ihrer zweiten Säule wie Väter. Frauen in der Schweiz bekommen 37 Prozent weniger Rente und sind deutlich mehr von Altersarmut betroffen als Männer. In der Pensionskasse beträgt die Lücke sogar über 60 Prozent.

Männer, nutzt eure Möglichkeiten und eure Macht

Darum, an alle Frauen – und an alle Männer: Rechnet! Und liebe Männer, weil wir ja alle wissen, dass Zahlen auch total euer Ding sind :-) – rechnet für einmal nicht nur für euch, sondern kalkuliert auch mal bei euren Partnerinnen, Schwestern, Müttern und Töchtern mit. Und wenn ihr richtig rechnet, dann bleibt euch unterm Strich eigentlich nur etwas übrig: Seid endlich solidarisch! Macht euch stark für echte Gleichstellung.

Wie? Reduziert eure Arbeitspensen. Und wenn es nicht geht, fragt immer wieder, ob es nicht doch möglich ist. Ihr kennt das Prinzip: Die Nachfrage steuert das Angebot. Übernehmt Care- und Hausarbeit, nicht einmal die Woche, sondern jeden Tag, ganz selbstverständlich. Bezieht euren Vaterschaftsurlaub und verlängert ihn. Nutzt eure politischen Möglichkeiten und setzt euch ein für Elternzeit, bezahlbare familienergänzende Betreuung, die Individualbesteuerung, faire Rentensysteme, angemessene Löhne und Lohngleichheit.

Und für alle, die glauben, das brauchts alles nicht mehr: Schaut einfach die Zahlen an.