Klären wir zuerst mal den Begriff «woke». Er stammt ursprünglich aus dem afroamerikanischen Kontext und bedeutet im Kern, wachsam zu sein gegenüber Ungerechtigkeiten und Diskriminierung, und zwar typischerweise in Abhängigkeit von individuellen Merkmalen wie Rasse, Geschlecht, Gender, sexuelle Ausrichtung und so weiter.

Ursprünglich war der Begriff eine Selbstbezeichnung von Menschen, die sich über diese Achtsamkeit definierten. Inzwischen lehnen ihn viele von ihnen aber ab. Denn immer häufiger wird «woke» von Konservativen verwendet, um damit so ziemlich alles zu beschimpfen, was ihnen gegen den Strich geht. In der Folge beschuldigen mittlerweile die ursprünglich selbsternannten «Woken» alle, die den Begriff verwenden, der Komplizenschaft mit der Rechten. Ihr seht: Es ist kompliziert.

Auf der Suche nach neuer Polemik haben konservative Stimmen aus Wirtschaft und Politik ESG als Schlachtfeld für ihren Anti-Wokeness-Kreuzzug entdeckt. Und das ist smart, denn die «woke» Bewegung geniesst nur sehr beschränkt Rückhalt in der breiten Bevölkerung. Anti-woke-Rhetorik ist deshalb zu einem passablen Mittel geworden, um Kund:innen oder Wähler:innenstimmen zu gewinnen.

Nun zu ESG: Die Abkürzung bedeutet, dass Investitionen neben finanziellen immer auch unter ökologischen (E für environmental) und sozialen (S für social) Gesichtspunkten sowie unter Berücksichtigung der guten Unternehmensführung (G für Governance) getätigt werden.

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Nur, was hat das mit «Wokeness» zu tun? Kann man mit gutem Gewissen behaupten, es gehe bei ESG in irgendeiner Art und Weise um ideologische Fragen, mit denen sich die «Woken» auseinandersetzen?

Bei der Umweltdimension ist die Antwort relativ einfach. Natürlich sollten intelligente Investor:innen bei Anlageentscheidungen den Klimawandel im Auge behalten. Dazu braucht es keine Ideologie. Das hat auch nichts mit Gerechtigkeit zu tun. Sobald ich mein Geld mit der Hoffnung auf Gewinn anlege, ist es in meinem ureigenen Interesse, keine Unternehmen im Portfolio zu haben, die mit ihren Emissionen zu einer 4-Grad-plus-Welt beitragen. Was nützt mir ein nominal hohes Vermögen, wenn die Welt, in der ich dereinst davon zehren will, wahlweise überflutet ist oder von Dürren geplagt wird, riesige Flüchtlingsströme zu bewältigen hat und von blutigen Konflikten um immer knapper werdende Rohstoffe gebeutelt ist? Sich über diese Fragen Gedanken zu machen, ist eine Frage von gesundem Menschenverstand und bedarf keinerlei «Wokeness».

Dorothea Baur
Sobald ich mein Geld mit der Hoffnung auf Gewinn anlege, ist es in meinem ureigenen Interesse, keine Unternehmen im Portfolio zu haben, die mit ihren Emissionen zu einer 4-Grad-plus-Welt beitragen. Was nützt mir ein nominal hohes Vermögen, wenn die Welt, in der ich dereinst davon zehren will, wahlweise überflutet ist oder von Dürren geplagt wird.


Bei der sozialen Dimension ist die Sache ein bisschen komplexer. Natürlich will ich keine Unternehmen unterstützen, die Kinder- oder Zwangsarbeit zulassen, die Gewerkschaften verbieten oder Hungerlöhne zahlen. Ob diese Themen aber relevant für den Wert meiner Aktien sind, ist eine andere Frage. Es mag wohl Unternehmen geben, die mit unmoralischen Praktiken hohe Gewinne erzielen, ohne dafür bestraft zu werden. Aber im Kern geht es in der sozialen Dimension von ESG um Menschenrechte. Und gegen Menschenrechtsverletzungen zu sein, ist nicht «woke»; es ist keine wie auch immer geartete Ideologie und auch kein Bekenntnis zu einer Revolution. Nein, diese Themen sind seit Jahrzehnten Bestandteil der UNO- und vieler weiterer Konventionen. UNO, das sind die Vereinten Nationen. Faktisch fast alle Nationen der Welt. Nix «woke». Globaler Konsens.

Dorothea Baur
Sich über diese Fragen Gedanken zu machen, ist eine Frage von gesundem Menschenverstand und bedarf keinerlei «Wokeness».

Auch bei G wie Governance braucht es keinen besonders ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, geschweige denn das Bedürfnis, strukturelle Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft zu überwinden, um bei Investitionen Themen wie die Vergütungen von Verwaltungsrät:innen und Geschäftsleitungsmitgliedern zu berücksichtigen. Wenn die Boni in keinem Verhältnis zur Leistung stehen, dann ist das nicht in meinem Interesse als Anlegerin. Dasselbe gilt, wenn ein Unternehmen wegen Verwicklung in Korruption zu Millionenbussen verdonnert wird. Diese Ausgaben schmälern den Gewinn. Und an dem bin ich als Aktionärin beteiligt. Meine Fantasie reicht beim besten Willen auch hier nicht aus, einen Bezug zu «Wokeness» herzustellen.

Wie kommen nun aber konservative Kreise darauf, ESG als «woke» zu bezeichnen? Ganz einfach: Der oben beschriebene gesunde Menschen- und Anleger:innenverstand bedroht ihre Geschäftsinteressen. Viele, die ESG kritisieren, haben Verbindungen zur Erdöl- und Kohleindustrie. Sie sind bisher gut damit gefahren, ihre Geschäfte ohne Rücksicht auf Umwelt und Gesellschaft zu tätigen. Alles hat wunderbar gepasst, sie standen auf der Sonnenseite des Lebens, durch Klimaanlagen gekühlt natürlich. Nun fürchten sie sich vor «stranded assets», wenn Öl und Kohle eines Tages nicht mehr aus dem Boden geholt werden dürfen.

Dorothea Baur
Wie kommen nun aber konservative Kreise darauf, ESG als «woke» zu bezeichnen? Ganz einfach: Der oben beschriebene gesunde Menschen- und Anleger:innenverstand bedroht ihre Geschäftsinteressen. Viele, die ESG kritisieren, haben Verbindungen zur Erdöl- und Kohleindustrie. Sie sind bisher gut damit gefahren, ihre Geschäfte ohne Rücksicht auf Umwelt und Gesellschaft zu tätigen.



Andere wiederum haben politische Ambitionen. So zum Beispiel der ehemalige US-Vizepräsident Michael Pence. Die «woke» Bewegung fällt bei immer mehr Menschen in Ungnade. Sie hat sich durch ihr oft selbstgerechtes, missionarisches Auftreten viel Goodwill verspielt. ESG als «woke» zu verunglimpfen, ist eine geschickte Wahlkampftaktik von Pence.

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Und nicht zuletzt geht es auch um gekränkte Egos. Zum Beispiel dasjenige von Elon Musk. Musk begann seinen Kreuzzug gegen «woke ESG» just in dem Moment, als Tesla aus einem bedeutenden ESG-Index ausgeschlossen wurde, unter anderem wegen schlechter Arbeitsbedingungen und Todesfällen im Zusammenhang mit dem Tesla-Fahrassistenten.  

Die individuelle Motivation der «ESG-woke-bashing»-Fraktion ist unterschiedlich. Allen gemein ist, dass sie offensichtlich keine rationalen Argumente gegen ein letztlich sehr nüchternes Konzept wie ESG finden. Lieber machen sie ESG lächerlich und stellen es als ideologische Gefahr dar, indem sie es als «woke» bezeichnen.

Und was können wir tun? Unser Job ist es, uns nicht von diesem Geplänkel ablenken zu lassen, sondern uns immer wieder darauf zu besinnen, dass wir mit unserem Portfolio ein Bild von der Zukunft dieser Welt zeichnen können, so wie wir sie uns wünschen. Wenn Umweltschutz, soziale Gerechtigkeit und Integrität dazu gehören, bleiben wir bei ESG. Egal, ob «woke» oder nicht.