Im Mai 2018 wurde in den USA eine Studie veröffentlicht, die aufrüttelt: Bücher von Autorinnen gehen im Schnitt für 45 Prozent weniger Geld über den Ladentisch als diejenigen von Männern. Über zwei Millionen Titel wurden für die Studie untersucht. Frauen, so die Studienautor:innen, schrieben vor allem Literatur in Genres wie Romantik. Die Preise für diese Bücher seien tendenziell niedriger, auch bei Werken von Männern. Doch auch unter Berücksichtigung solcher Faktoren werden Bücher von Frauen noch immer günstiger verkauft.

Preisüberwachung bei Büchern kein Thema

In der Schweiz fehlen solche Zahlen, konkrete Erhebungen zu Preisunterschieden zwischen Autoren und Autorinnen gibt es keine. Fragt man bei den hiesigen Grossverlagen nach, heisst es, das Geschlecht beeinflusse den Ladenpreis nicht: «Bei uns richtet sich der Preis eines Buches nach dem Inhalt», sagt Aline Wüst vom Echtzeit Verlag. Entscheidend dabei seien Format, Art des Einbands und die Anzahl Abbildungen. Nicht aber das Geschlecht der Person, die das Buch geschrieben hat. Auch bei den Budgets für Veranstaltungen wie Lesungen gebe es keine geschlechtsspezifischen Unterschiede, sagt Kerstin Beaujean vom Diogenes Verlag. Man strebe zudem ein Gleichgewicht an im Sortiment: «Wir haben schon immer darauf geachtet, Autorinnen aufzubauen. Etwa Donna Leon, Ingrid Noll, Simone Lappert und Seraina Kobler

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Der Gender Gap bei Buchpreisen ist in der Schweiz auch beim Preisüberwacher kein Thema: «Seit der Abschaffung der Buchpreisbindung gilt in der Schweiz grundsätzlich der Wettbewerb», erklärt Rudolf Lanz. Er ist Rechtsanwalt und Leiter Recht und Information Preisüberwachung beim Eidgenössischen Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung WBF. «Wir sind bisher mit dieser Thematik nicht konfrontiert worden. Entsprechend ist das Thema bei uns auch nicht auf dem Radar, und wir haben auch keine Zahlen dazu.», erklärt er. Die wettbewerbsrechtlich ausgerichtete Preisüberwachung könnte laut Lanz aufgrund der Abschaffung der Buchpreisbindung allerdings auch nicht direkt intervenieren.

Gleichstellung? Weit gefehlt!

Bevor ein Buch von einer Autorin allerdings im Laden steht und zu einem niedrigeren Preis als eins von einem Mann verkauft werden kann, gibt es lange vorher zahlreiche Hürden. Und für Frauen sind sie besonders hoch. Damit kennt sich Nicole Pfister Fetz aus. Sie ist Geschäftsleiterin des Verbands Autorinnen und Autoren Schweiz A*dS. Im Frühling 2022 zählte der Berufsverband 1012 Mitglieder, davon 487 Frauen. Also knapp die Hälfte. Das Osservatorio dell’Associazione Italiana Editori in Italien, das eine ähnliche Funktion hat, zählte 2017 lediglich 38 Prozent Autorinnen. Als Pfister Fetz die Geschäftsleitung des A*dS übernahm, sei sie überzeugt gewesen, dass die Gleichstellung in der Literatur praktisch erreicht sei. Heute, 15 Jahre später, muss sie zugeben: Sie lag falsch.

Konkrete Zahlen zu den Geschlechterverhältnissen im Schweizer Kulturbetrieb gebe es generell noch zu wenige. Die fehlende Gleichstellung fängt aber bereits bei der sogenannten «Bindestrich-Literatur» an: «Bücher von Frauen werden Frauen-Literatur genannt. Bücher von queeren Frauen nennt man Lesben-Literatur. Und so weiter. Damit werden diese Werke marginalisiert und verschwinden in einer Schublade. Nur Männer machen echte Literatur», erklärt Pfister Fetz. Das ist, gelinde gesagt, unfair: Veröffentlichungen von Frauen machen seit Jahren etwa 40 Prozent der Neuerscheinungen in der deutschsprachigen Schweiz aus.

Nicole Pfister Fetz, A*dS
Bücher von Frauen werden Frauen-Literatur genannt. Bücher von queeren Frauen nennt man Lesben-Literatur. Und so weiter.

Einkommen reicht nicht für Pensionskasse

Wie sieht es mit den finanziellen Verhältnissen der Autorinnen aus? Schon die Schriftstellerin Virginia Woolf schrieb 1929 in ihrem Essay «A Room of One’s Own» darüber, dass eine Frau eigenes Geld und einen eigenen Raum braucht, um schreiben zu können. Bittersüss, dass sich später herausstellte: Selbst Woolf hatte Bedienstete und lebte nicht nur von der Literatur, sondern vor allem in ihrem späteren Leben hauptsächlich von einer Erbschaft. Davon können viele Schriftstellerinnen nur träumen.

Der Verein Suisseculture Sociale fand 2021 in einer Studie heraus: Mehr als die Hälfte der Kulturschaffenden in der Schweiz verdienen jährlich gerade einmal 40’000 Franken oder weniger. Darin enthalten sind der Brotjob sowie die unzähligen – oft unbezahlten – Arbeitsstunden für die kulturelle Arbeit. 2021 erfasste Suisseculture Sociale die Literaturbranche nicht spezifisch in der Studie, 2016 allerdings schon: 70 Prozent der männlichen Mitglieder gaben damals Literatur als Haupterwerb an, aber nur 44 Prozent der Frauen. Sie verdienten zudem deutlich weniger: Bloss acht Prozent der Autorinnen verdienen mit Literatur mehr als 21’150 Franken pro Jahr. Dieser Betrag reicht nicht einmal für den Eintritt in eine Pensionskasse. Bei den Männern waren es immerhin 30 Prozent, die so viel oder mehr verdienten.

«Gerade weil es so wenige konkrete Zahlen und Studien zu den Geschlechterverhältnissen in der Kultur gibt, ist es schwierig, konkrete Gründe für diese Unterschiede zu benennen», so Pfister Fetz. Ein paar Anhaltspunkte bietet eine gross angelegte Studie der Universität Basel für Pro Helvetia von 2021. Sie belegt, dass Frauen in der Kulturbranche generell untervertreten sind und weniger verdienen als Männer. Die Autor:innen spüren zudem einen Wandel: Es gibt immer mehr Netzwerke von Frauen für Frauen, etwa «Helvetia rockt» in der Musikbranche oder das literarische Kollektiv «RAUF» bestehend aus sieben jungen Autorinnen. Das Bewusstsein für Ungleichverhältnisse scheint zuzunehmen, es arbeiten mehr Frauen in leitenden Positionen in Verlagen, und Jurys für Preise oder Stipendien sind ausgeglichener besetzt.

Nicole Pfister Fetz, A*dS
Gerade weil es so wenige konkrete Zahlen und Studien zu den Geschlechterverhältnissen in der Kultur gibt, ist es schwierig, Gründe für diese Unterschiede zu benennen

Vereinbarkeit? Fehlanzeige!

Was die Zusammensetzung der Jurys angeht, erzählt Nicole Pfister Fetz von einer interessanten Beobachtung: Es spiele im Prinzip keine grosse Rolle, wie viele Frauen in der Jury sitzen. Viel wichtiger sei, ob auf der Bewerbung der Name einer Frau oder der eines Mannes zu lesen sei: «Anonyme Einreichungen werden erstaunlicherweise viel fairer und ausgeglichener behandelt. Frauen erhalten mehr Preise und Stipendien, wenn die Anträge ohne Namen eingereicht werden.» Erhalten Frauen dann mal ein Stipendium für einen Auslandsaufenthalt, wartet hier die nächste Hürde: Oft sind diese Angebote nicht auf Menschen mit Kindern ausgelegt.

Das kritisiert auch Anja Nora Schulthess, freie Autorin aus Luzern: «Natürlich ist es cool, wenn du drei Monate nach Chicago kannst zum Schreiben. Aber wer passt dann auf meine Kinder auf?», erzählt die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern. Pfister Fetz bestätigt dies: «Die Angebote, sich ohne finanzielle Sorgen zum Schreiben zurückziehen zu können, müssen viel zugänglicher gestaltet werden.» Schulthess hat sich übrigens zusammen mit anderen Schriftstellerinnen einen Plan überlegt: «Eigentlich müssten wir alle unsere Anträge einreichen mit dem Vermerk, dass wir zwar geeignet wären, aber den Aufenthalt nicht antreten können – weil wir Kinder haben. Vielleicht würde eine Masse von solchen Anträgen etwas bei den Verantwortlichen bewirken.» Klingt nach einem guten Plan. Aber auch nach einem kleinen Tropfen auf dem bekannten heissen Stein. Für echte Gleichstellung müssen sich die Strukturen des Literaturbetriebs ändern.

Entscheidend für den Erfolg eines Buches und somit auch über die finanziellen Einkünfte der Autor:innen sind unter anderem  die Literaturkritiken. Auch hier gibt es eine Lücke bei den Geschlechtern: «Es schreiben noch immer vor allem Männer über Literatur, und sehr oft schreiben sie über Bücher von anderen Männern», sagt Pfister Fetz. Auch Literaturkritikerinnen schreiben öfter über Bücher von Männern als über solche von Frauen. Das ergaben quantitative Studien aus Österreich und Deutschland, die seit 2018 erhoben werden. In der Schweiz sieht es laut Pfister Fetz wohl nicht viel anders aus.

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Forderungskatalog soll helfen

Es liegt also noch einiges im Argen in der Literaturbranche. Was sich konkret ändern muss, hat das Schweizer Symposium «Frauen im Literaturbetrieb» (FIL) in einem Forderungskatalog zusammengefasst und im Juni an einer Tagung präsentiert. An der Tagung im nächsten Jahr wird eine Bestandesaufnahme gemacht. FIL fordert unter anderem mehr Diversität im Literaturbetrieb, spezifische Förderung für Autorinnen, die Care-Arbeit leisten, und bessere Honorare – ohne Gender Gap. Ob Frauen etwa für die Moderation von Lesungen tatsächlich weniger Honorare erhalten als ihre Kollegen, auch das lässt sich empirisch nicht belegen. Auch, weil gerade im Kulturbetrieb noch immer wenig über Geld gesprochen wird. Eine ungefähre Vorstellung liefert Anja Nora Schulthess. Sie rechnet vor: «Wenn ich für einen Job von Luzern nach Basel fahren muss, brauche ich einen Babysitter für den Abend. Und vielleicht muss ich auch noch das Abendessen selber bezahlen». Von einem Honorar von 300 Franken bleiben für die Autorin so vielleicht noch 100 Franken übrig.

Fest steht, dass schon lange nicht mehr so viele Bücher von Frauen in den Läden standen und gefeiert wurden wie momentan. Auf 13 von 20 Plätzen der Belletristik-Bestsellerliste stehen aktuell Werke von Autorinnen. Auch Nicole Pfister Fetz zeigt sich hoffnungsvoll: «Ja, es ist vieles noch nicht so, wie es sein sollte. Es braucht noch viel Effort, aber es wird besser.»