Frauen, die einen Militärwagen aufhalten. Ein Bahngleis voller Menschen, die nur noch wegwollen. Das sind die Sujets, welche die in Lviv lebende, unter dem Pseudonym Kinder Album bekannte, ukrainische Künstlerin seit wenigen Tagen malt. Sie selbst hat das Land nicht verlassen und erklärt, wieso: «Ich liebe meine Heimatstadt, und momentan gibt es noch keine Bombenanschläge in Lviv. Nur die Nahrungsmittelversorgung wird langsam schwierig.» Viele Flüchtlinge aus dem Osten der Ukraine seien nun auch in Lviv. «Ich habe einen 13-jährigen Sohn und möchte, dass er so lange wie möglich in seiner gewohnten Umgebung, in seinem Zimmer von seinen Büchern und Spielsachen umgeben sein kann», sagt die 39-jährige Künstlerin. Obwohl Kinder Album noch in Sicherheit ist, habe sie den Appetit und den Schlaf verloren. Sie sei konstant unter Stress. «Das Malen hilft mir, die Emotionen zu verarbeiten», sagt sie.

Foto: Lesia Khomenko

Ähnlich ergeht es Lesia Khomenko. Die 40-jährige Künstlerin ist am 25. Februar aus Kyiv in die westukrainische Stadt Ivano-Frankivsk geflogen, wo sie mit ihrer Familie bei Freunden Unterschlupf gefunden hat. «Ich will die Ukraine in diesem historischen und sehr tragischen Moment nicht verlassen. Ich weiss, dass ich anderen hier helfen kann», sagt sie. In Ivano-Frankivsk hat sie sich mit Leuten der lokalen Kunstinstitution Asortymentna Kimnata getroffen und einen Ort für vertriebene Künstler:innen eingerichtet. «Wir wollen Künstler:innen unterstützen, die in der Ukraine bleiben. Wir wollen institutionelle Beziehungen aufbauen, denn ich glaube, dass Institutionen eine Gesellschaft zusammenhalten», sagt sie.

Lesia Khomenko
Wir sind nun Evakuierte, ohne eigenes Hab und Gut, ohne eigene Bleibe. Es ist hart. Es ist schwierig, über die Vergangenheit, sowie über die Zukunft nachzudenken.

Während Lesia Khomenko anderen Künstler:innen hilft, näht ihre Schwester, die sonst Fashion Designerin ist, nun Schlafsäcke für die ukrainische Armee. Khomenko versucht in dieser schwierigen Zeit den Fokus nicht zu verlieren. «Wir sind nun Evakuierte, ohne eigenes Hab und Gut, ohne eigene Bleibe. Es ist hart. Es ist schwierig, über die Vergangenheit, sowie über die Zukunft nachzudenken», sagt Khomenko. Kunst zu praktizieren schaffe eine Distanz und helfe ihr, die Realität zu dekonstruieren.

Foto: Lesia Khomenko in der Unterkunft


Auch Masha Faurshou kann nicht untätig bleiben. Die Kunsthändlerin ist ursprünglich aus der ukrainischen Stadt Dnipro und lebt in Dänemark, wo sie die Galerie Sabsay gegründet hat. Aus der Ferne versucht sie, so weit sie kann, Künstler:innen in der Heimat zu helfen. Momentan verkauft sie Werke der ukrainischen Künstler:innen Kinder Album, Nikita Shalenny und Julia Beliaeva, die sie bereits im Inventar in Kopenhagen besitzt. Normalerweise hat eine Galerie eine Marge von 50 Prozent. Die Erlöse gehen nun vollumfänglich an die Kunstschaffenden. «Einige von ihnen wollen jedoch die Hälfte der ukrainischen Armee spenden», sagt sie während des Video-Interviews. Des weiteren hat Faurshou die 33-jährige Künstlerin Julia Beliaeva bei sich aufgenommen. «Sie ist zusammen mit ihrem Sohn aus Kyiv geflohen und am Montag bei uns angekommen. Ihren Mann musste sie zurücklassen. «Wir sind die einzigen Leute, die sie in der westlichen Welt kennt.»

Künstlerin Julia Beliaeva

Auch mit NFTs Geld für die Ukraine sammeln

Mit ihren Werken möchten sie die Welt auch auf die Geschehnisse aufmerksam machen. Da das Verschicken von Werken aus der Ukraine momentan praktisch unmöglich ist, hat Kinder Album nun begonnen, ihre Kunst als NFTs anzubieten: «Ich habe gemerkt, dass es via NFTs einfacher ist, Menschen aus der ganzen Welt zu erreichen, welche die Ukraine unterstützen wollen.»  Sie hat die Bilder als digitale Version auf die NFT-Plattform OpenSea gestellt. Mit dem Erlös will sie sich und ihre Initiativen in der Ukraine finanzieren.

Werk: Kinder Album «My soul is on fire»

Weltweit ist das Volumen der NFT rückgängig: Der Handel ist seit November um über die Hälfte gefallen. Die Preise sind ebenfalls im Sinkflug. Trotzdem: Kinder Album ist nicht die einzige Kunstschaffende, welche auf die digitalen Möglichkeiten setzt. Mehrere Künstler:innen der NFT-Community haben Projekte lanciert, um der Ukraine zu helfen. Die New Yorkerin Olive Allen hat ihren russischen Pass vor der russischen Botschaft verbrannt und das Video dieser Aktion als NFT angeboten. Hinter der Käuferin steckt Pussy-Riot-Aktivistin Nadya Tolokonnikova. Art for Ukraine ist ein Projekt, bei dem Künstler:innen Werke als NFT spenden, welche auf der energiesparsamen Tezos-Blockchain geschürft wurden. Die Erlöse gehen hier an sieben Hilfsorganisationen in der Ukraine.

Bild: Olive Allen brennender Pass 

Nebst den Künstler:innen engagieren sich auch die NFT-Plattformen: Superare hat eine eigene Seite für die Werke aufgeschaltet, bei denen ein grosser Teil des Erlöses an die Ukraine geht. Und der ehemalige Boxer Wladimir Klitschko hat in Zusammenarbeit mit dem New Yorker Künstler WhIsBe NFTs veröffentlicht, deren Erlös an UNICEF und an das Rote Kreuz Ukraine gehen soll.

Masha Faurshou
Wenn wir den Schrecken, die Wut darstellen dürfen, dann ist das demokratisch. Kunst ist Demokratie, Kunst ist Freiheit des Denkens.

«Wir müssen agieren. Nur so können wir die aktuelle Situation überwinden», betont Masha Faurshou. Soeben wurde sie von einem Museum aus Österreich kontaktiert, das Julia Beliaeva und ihrem Sohn eine Kunstresidenz anbieten will, nachdem die Museumsleitung Mashas Aufruf auf Instagram gesehen hatte. Das macht ihr Hoffnung.

Auf die Frage, wie Kunst die Demokratie fördert, antwortet sie: «Wenn wir den Schrecken, die Wut darstellen dürfen, dann ist das demokratisch. Kunst ist Demokratie, Kunst ist Freiheit des Denkens und fördert einen intimen Dialog mit dem Betrachtenden.»