In den letzten Wochen mäanderte immer wieder das gleiche Bild durch meine Social-Feeds: Das Bild eines kreisrunden Stickers mit dem Aufdruck eines männlichen Nippels. Und auch die Captions dazu ähnelten sich wie ein Nippel dem anderen. Die geneigte Leserin solle mit den legalen männlichen Nippel doch bitte ihre illegalen weiblichen Nippel überkleben, wenn sie diese denn aus irgendeinem Grund in den sozialen Medien offenbaren wolle.

Hintergrund der Geschichte ist, dass weibliche Nacktheit im Allgemeinen und weibliche Nippel im Spezifischen gesellschaftlich ganz anders behandelt werden als ihr männliches Äquivalent. Während Männern Obenohne in der Öffentlichkeit weitgehend erlaubt ist, ist es für Frauen vielerorts stark tabuisiert oder gar illegal. Die Filmemacherin Lisa Esco startete 2012 in New York die Kampagne #Freethenipple, um auf diese unterschiedlichen Massstäbe von Nacktheit aufmerksam zu machen. Bilder, die im Rahmen der Kampagne entstanden, wurden jedoch konsequent von allen sozialen Medien der damaligen Zeit getilgt. Die Begründung: Verletzung der Richtlinien.

Nackt ist nicht gleich nackt

So kam ich erstmals mit dem Begriff des «Biased Banning» in Berührung, welcher aktuell wieder in aller Munde ist - daher wohl der Nippelkleber. Der Begriff beschreibt das Phänomen, dass die Zensur von Inhalten in den sozialen Medien bestimmten - sexistischen, rassistischen, homophoben, ableistischen etc. -  Mustern folgt, welche objektiv mit dem eigentlichen Inhalt nichts zu tun haben.

Ein paar Beispiele gefällig?

Silikonbrüste in winzigen Bikini Oberteilen sind ok, während stillende Mütter zensiert werden. Accounts von Body Positivity- oder LGBTQI-Aktivist:innen werden häufig komplett deaktiviert, während Accounts wie «Best Butts», welche ausschliesslich Frauenärsche in Tangas zeigen, weiter existieren dürfen.

Rosanna Grüter
Silikonbrüste in winzigen Bikini Oberteilen sind ok, während stillende Mütter zensiert werden. Accounts von LGBTQI-Aktivist:innen werden häufig komplett deaktiviert, während Accounts wie «Best Butts», welche ausschliesslich Frauenärsche in Tangas zeigen, weiter existieren dürfen.

Heimliche Zensur - Shadow Banning

Die Fotos von schwarzen Plus-Size Models wie Nyome Nicholas-Williams werden als  «gegen die Nacktheits-Richtlinien verstossend» eingestuft und gelöscht. Notabene Bilder, die viel weniger Haut zeigen als das durchschnittliche Kardashian-Selfie. Gleichzeitig geben weisse, schlanke Influencerinnen wie Gina Martin zu Protokoll, dass sie das erste Mal überhaupt zensiert worden seien in dem Augenblick, in dem sie die Ungleichbehandlung von Nyome Nicholas-Williams auf ihrem Kanal zum Thema machten.

Nyome Nicholas-Williams, Quelle: Instagram
Best Butt's, Quelle: Instagram

Besonders perfide ist dabei die Praxis des Shadow-Banning: Dabei werden Inhalte nicht offiziell gelöscht, sondern vor anderen Nutzer:innen «nur» verborgen. Story Views werden bei einer bestimmten Höhe gedeckelt, Reels und Bilder werden auf Startseiten nicht angezeigt und bei der Suche nach Hashtags nicht gefunden. Dies alles, ohne dass die zensierte Person von den Plattformbetreibern darauf aufmerksam gemacht wird. Entsprechend kann natürlich auch kein Einspruch gegen ungerechtfertigte, «gebiaste» Zensur erhoben werden.

Rosanna Grüter
Besonders perfide ist dabei die Praxis des Shadow-Banning: Dabei werden Inhalte nicht offiziell gelöscht, sondern vor anderen Nutzer:innen «nur» verborgen.

Der Grund für Biased Banning liegt vor allem im Naturell der Algorithmen sozialer Medien. Diese werden einerseits hauptsächlich von einer nicht sehr diversen Gruppe von Menschen an einem einzigen Ort auf der Welt programmiert - von weissen, heterosexuellen Männern im kalifornischen Silicon Valley. Die Weltsicht dieser homogenen Gruppe von Programmierern setzt sich in den von ihnen fabrizierten Algorithmen fort, ohne dass dahinter zwingend böse Absicht stecken muss. Hier habe ich über dieses Thema bereits einmal geschrieben. Andererseits gewinnen Algorithmen die Informationen, auf deren Basis sie sich selbständig weiterentwickeln, aus einer imperfekten Welt. Vorurteile, Ungerechtigkeiten und Gewalt, welche in der real-analogen Welt existieren, setzen sich also in der digitalen Welt fort und beeinflussen rückwirkend wiederum die analoge Welt. Ein Teufelskreis, der Instagram und Co. zumindest teilweise aus der Verantwortung entlässt. Aber eben nur teilweise.

Der Profit steuert die Zensur

Was wir nicht vergessen dürfen: Letztlich wollen die Betreiberfirmen sozialer Medien - an vorderster Front der Facebook-Mutterkonzern «Meta», dem auch Instagram und Whatsapp gehört - Geld verdienen. Das Wirtschaftsmagazin Forbes beschreibt den Zusammenhang zwischen Biased Banning und dieser Profitorientierung folgendermassen:

«Users who do not generate engagement or profit are not valued and become less visible. Consequently, algorithms also drive users toward certain “preferred” content and away from unfamiliar content, all informed by the data learned by the platform’s AI.» Kurz zusammengefasst: Nutzer:innen, die wenig Interaktionen oder Profit generieren, werden weniger sichtbar. Und alle Nutzer:innen werden in Richtung “bevorzugten” Inhalten gesteuert.

Dass Biased Banning zumindest teilweise im Interesse von Facebook, Instagram und Co., begründet liegt, legt eine kürzlich erschienene Studie des feministischen Magazins «Saltyworld» in Kollaboration mit der University of Michigan nahe. Sie beweist einen statistischen signifikanten Zusammenhang zwischen der Zugehörigkeit zu einer Minorität (z.B. Trans, LGBTQI*, PoC etc.) und Zensur auf Instagram und Facebook.

Quelle: instagram.com/erikalust
Quelle: instagram.com/erikalust

Nach intensiver Medienberichterstattung über die Studienresultate stimmte der Meta-Konzern zunächst einem Austausch mit den Urheber:innen zu, brach später jedoch jeden Kontakt ab.

«Facebook agreed to meet with Salty in effort to improve inclusivity policies on Facebook platforms (...). Prior to finalizing details of the meeting, Facebook ceased communication with Salty.»

Rosanna Grüter
Was kein Geld bringt, muss weichen. Was «anders» erscheint, hat keinen Platz. Schöne genormte Silicon Valley Welt.

Eine einst hoffnungsvoll als «Demokratisierung von Öffentlichkeit» bezeichnete gesellschaftliche Entwicklung - man erinnere sich an Bewegungen wie #blacklivesmatter oder #metoo! - hat sich mittlerweile in etwas ganz anderes gewandelt: Die patriarchale Kapitalisierung von Raum im Internet. Was kein Geld bringt, muss weichen. Was «anders» erscheint, hat keinen Platz. Schöne neue, genormte Welt aus den Köpfen des Silicon Valleys!

Hast du Biased Banning erlebt? Hier geht’s zur neuen Studien-Umfrage von «Saltyworld»: https://tinyurl.com/29e76hw3