Manchmal wünsche ich mir, ein Mann zu sein. Nicht, dass ich am Freud'schen Penisneid leiden würde. Aber das Leben als Mann dünkt mich um einiges leichter zu sein, gerade für eine Frau wie mich: Chronisch antiautoritär, wahnsinnig schnell und ausserdem in Konversationen ein Platzreh (ist das tatsächlich die weibliche Form von Platzhirsch? Echt jetzt? Da fängt es ja schon an!), stosse ich in meinem Leben häufig auf Hindernisse, die einem Mann mit ähnlichen Charakterzügen wohl erspart blieben. Oder mehr noch: ihm diverse Vorteile verschaffen würden. Ich hiesse Rocco, wäre ein unerträglicher Macho und ausserdem absurd erfolgreich. Aber das ist ein Thema für einen anderen Tag.

Fakt ist: Männer geniessen Privilegien, die uns Frauen nicht zuteilwerden. Mehr Lohn für gleiche Arbeit zum Beispiel, sich auf dem Nachhauseweg nicht ängstlich über die Schulter schauen zu müssen oder als Alpha zu gelten, während man uns Frauen als Bitch tituliert.

Solche geschlechtsbasierten Vorteile werden unter «Male Privilege» zusammengefasst, auf Deutsch: männliches Privileg. Der Begriff wurde in den letzten Jahren öffentlich intensiv diskutiert, sowohl medial als auch im akademisch-feministischen Diskurs. Und auch in unsere Alltagssprache hat er  Einzug gehalten, wenigstens in meiner linken, queerfeministischen Bubble.

Männer denken nur deshalb, dass es uns Frauen doch eigentlich ganz gut geht, weil sie selbst nicht systematisch benachteiligt werden.

In den letzten Wochen wurde mir jedoch in verschiedenen Gesprächen mit Aussenstehenden immer wieder vor Augen geführt, wie wenig sich die meisten Männer unter «Male Privilege» vorstellen können. Insbesondere dann, wenn damit mehr gemeint ist als nur etwas vermeintlich Simples wie: «Du musst auf dem Nachhauseweg weniger Angst haben als ich.»

Ich möchte euch darum an dieser Stelle von denjenigen männlichen Privilegien erzählen, die mir im Dialog mit Männern über diese Thematik am meisten begegnen, denn: Ja, auch Gespräche über männliche Privilegien sind auf der Männerseite oft von unterbewussten Privilegien geprägt. Brainfuck! Ich hoffe, euch damit etwas Munition für ähnliche Gespräche in eurem Leben zu liefern.

Ready? Let’s go!

  1. Das Privileg zu glauben, Feminismus brauche es nicht (mehr)

Dieses Argument habt ihr sicher alle schon gehört, oder? Ich antworte darauf jeweils mit der Frage: «Weisst du denn überhaupt, was Feminismus genau ist?» Die meisten wissen es nicht, und dann erschlage ich sie mit folgendem Monolog:

Erstens: «Feminismus» bezeichnet gemäss Duden «(...) verschiedene Strömungen, die sich für die Gleichberechtigung, Selbstbestimmung und Freiheit aller Geschlechter, v. a. von Frauen, und gegen Sexismus einsetzen, beispielsweise durch das Anstreben einer grundlegenden Veränderung gesellschaftlicher Normen (...).»

Zweitens: Warum möchtest du mit mir über Feminismus streiten, ohne überhaupt zu wissen, was der Begriff bedeutet? Das ist ziemlich ignorant von dir, mein Freund – ein bisschen so, als wollte man mit Einstein über Gravitation diskutieren, ohne das Einmaleins gelernt zu haben. Mach dich erstmal schlau, ich schick dir eine Literaturliste.

Drittens: Dass du trotzdem streiten willst, zeugt von deiner tief verwurzelten Indifferenz gegenüber den Problemen, die Weiblichkeit so mit sich bringt. Oder einfacher: Männer denken nur deshalb, dass es uns Frauen doch eigentlich ganz gut geht, weil sie selbst nicht systematisch benachteiligt werden. Davon auf die Nichtexistenz von Sexismus ganz allgemein zu schliessen – und damit gleichzeitig auf die Überflüssigkeit von Feminismus –, ist nicht nur methodologisch äusserst fragwürdig, sondern auch unlogisch. Ich als weisse Person glaube schliesslich auch nicht, dass Rassismus ganz allgemein nicht existiert, nur weil ich ihn selber nicht erlebe.

2. Das Privileg der Objektivität

Als Antwort auf mein feministisches Engagement muss ich mir häufig von Männern sagen lassen, ich äussere mich zu emotional über feministische Themen – vor allem auf Social Media. Ich sei nicht objektiv, zu wütend und ergo destruktiv in meiner Kommunikation, sagen sie. Kurz: Meine Betroffenheit sei kontraproduktiv, dem Verständnis für meinen Punkt abträglich. Passiert euch das auch? Dann habe ich einen Konter für euch parat:

Wir Frauen machen unser ganzes Leben lang Zweite, nur weil wir Frauen sind – und zwar seit ein paar Zehntausend Jahren. Und trotzdem reden wir noch! Stellt euch vor, es wäre umgekehrt: Männer würden längst schiessen.

Sexistisch behandelt zu werden macht im Fall wütend, Homie. Und zwar zu Recht! Wut ist die einzig angemessene Reaktion darauf, aufgrund meines Geschlechts weniger zu verdienen, sexuell belästigt zu werden oder ständig jüngere Männer als Chef zu haben, die weniger Berufserfahrung und eine schlechtere Ausbildung haben als ich.

Wir Frauen machen unser ganzes Leben lang Zweite, nur weil wir Frauen sind – und zwar seit ein paar Zehntausend Jahren. Und trotzdem reden wir noch! Stellt euch vor, es wäre umgekehrt: Männer würden längst schiessen. Sonst noch was zum Thema Destruktivität?

Meines Wissens nach hat ausserdem noch nie in der Geschichte der Menschheit eine privilegierte Gruppe ihre Macht freiwillig mit einer weniger privilegierten Gruppe geteilt. Wut ist – und war schon immer! – die Triebfeder jeglicher gesellschaftlicher Veränderung. Stell dir vor, meine Mutter wäre nicht wütend gewesen, als sie noch nicht abstimmen durfte: Ich dürfte es noch immer nicht.

«Objektivität» ist in diesem Zusammenhang nur ein anderes Wort für das Privileg, persönlich nicht betroffen zu sein.

Im Moment werden Männer noch immer überproportional häufig in Leitungspositionen befördert – und zwar auch dann, wenn es besser qualifizierte Bewerberinnen gäbe.

3. Das Privileg, sich nicht für privilegiert zu halten

Hier möchte ich mit einer Anekdote beginnen. Kürzlich sass ich mit zwei Freunden beim Frühstück (die ich übrigens beide sehr schätze!), und der eine erzählte einen Schwank aus seinem Leben. Die Geschichte handelte davon, wie er vor einigen Jahren einmal um ein Haar fast in die Geschäftsleitung des (global tätigen und äusserst renommierten) Unternehmens befördert worden wäre, in dem er damals arbeitete – und das, obwohl ihm der Job gar nicht sooo viel Spass gemacht hätte. Er habe sich dann zum Glück noch rechtzeitig abgeseilt und sei heute froh, dass er sich damals nicht von jugendlichem Übermut und einem schnurrenden Ego karrieremässig auf die falsche Spur habe bringen lassen.

Ich habe es mir verkniffen, aber eigentlich hätte ich sagen sollen: «Holy fuck, deine Probleme möchte ich haben, mein Freund!»

Versteht mich nicht falsch: Ich kann absolut nachvollziehen, was er gemeint hat. Auch ich habe mich schon für den Weg des geringsten Widerstands entschieden und es nachher bereut. Was mich an der Aussage allerdings störte, war der latent mitschwingende Unterton von Selbstverständlichkeit. Der unerschütterliche Glaube daran, dass ihm diese Beförderung alleinig auf Basis seiner extraordinären Fähigkeiten angeboten wurde und nicht auch darum, weil er 1.86 Meter gross ist, gutaussehend, rhetorisch begabt und mit einer Bassstimme gesegnet, die den Zuhörenden natürlichen Respekt abverlangt. Kurz: Weil er ein Mann ist.

Dabei sind Männer (nicht unbedingt er – aber Männer generell) in der Regel doch sehr schnell damit, «Quote! Ungerechtigkeit!» zu heepen. Allerdings vor allem dann, wenn es sich vermeintlich umgekehrt verhält: Wenn eine Frau also den Job bekommt, den sie gerne gehabt hätten. Dann denken die Jungs, dass die Konkurrentin eigentlich viel weniger könne als sie selbst, aber halt grad Frauenförderung angesagt sei im betreffenden Unternehmen. Oder noch schlimmer: Weil eine Quote etabliert wurde! Eine unfaire und sinnlose Quote sei das, sagen sie dann, denn: Geschlecht sollte doch keine Rolle spielen, die beste Person sollte den Job bekommen! Sexistisch sei das, jawohl!

Dass das Geschlecht keine Rolle spielen sollte, damit bin ich durchaus einverstanden. Nur: So läuft es eben nicht! Im Moment werden Männer noch immer überproportional häufig in Leitungspositionen befördert – und zwar auch dann, wenn es besser qualifizierte Bewerberinnen gäbe. Man schaue sich exemplarisch die Teppichetagen dieses Landes an oder das Verhältnis von Medizin-Absolventinnen und Chefärzten.  Oder man konsultiere die unzähligen Studien, die zum Thema «Glass Ceiling» bereits gemacht wurden und von denen viele den gleichen Zusammenhang belegen: Dass Frauen zum Beispiel viel eher in Chefpositionen befördert werden, wenn der Faktor «Geschlecht» in der Bewerbung nicht ersichtlich ist – wenn also nur auf Basis der Qualifikationen entschieden wird.

Das ist vermutlich das allergrösste männliche Privileg von allen: Sie dürfen Menschen sein, während wir für immer Frauen bleiben müssen.

De facto werden wir Frauen nur höchst selten aufgrund dessen gefördert, dass wir Frauen sind, im Gegenteil: Männer bekommen den Job wegen ihres Geschlechts! Frauenquoten sind ein Tool im Kampf gegen die faktische Männerquote, die an vielen Orten immer noch existiert.

Nur: Das ist Männern nicht bewusst, denn sie geniessen das Privileg, sich nicht für privilegiert halten zu müssen. Wenn Männer etwas erreichen, dann immer aus eigener Kraft, denken sie. Wenn wir Frauen uns hingegen erdreisten, mit ihnen um ihren Job (oder ganz generell um ihren Stellenwert in der Gesellschaft) zu konkurrieren, dann wurden wir natürlich bevorzugt. Anders lässt sich ja kaum erklären, dass wir in fast allem mindestens gleich gut sind – oder?!

Und das ist vermutlich das allergrösste männliche Privileg von allen: Sie dürfen Menschen sein, während wir für immer Frauen bleiben müssen.