Die Entscheidung ist gefallen: Ich wage den Sprung in die Selbstständigkeit. «Woohoo!», denke ich. «Wieso tut sie sich das so kurz nach ihrem Burnout an, und wie will sie dafür sorgen, dass sie nicht gleich wieder ausbrennt?», denken andere. Ganz unberechtigt ist die Frage nicht: Die Burnout-Rückfallquote liegt immerhin bei verrückten 50 bis 60 Prozent! Wir Überlebenden müssen also ähnlich aufpassen wie Suchtkranke.

Und ehrlich gesagt waren die letzten Monate seit meiner ersten Kolumne für ellexx schon ziemlich verrückt. Obwohl ich seit über einem Jahrzehnt in den Medien tätig bin, habe ich nicht damit gerechnet, dass ich mit ein paar Posts auf LinkedIn eine derartige Aufmerksamkeit auf mich ziehen würde. Ich schrieb doch nur ehrlich über meine Erfahrung als erwerbstätige Mutter eines Kleinkindes in einer leitenden Position in einem Grossunternehmen, die in einer Erschöpfungsdepression endete – so what?

Retrospektiv sehe ich ein, dass es nicht ganz alltäglich ist, offen darüber zu sprechen. Schon gar nicht auf LinkedIn. Allerdings redete ich zu diesem Zeitpunkt bereits seit zwei Jahren quasi über nichts anderes: in meinen Therapiesitzungen, mit anderen Burnout-Betroffenen und mit meinem privaten Umfeld. Ich erzählte es jeder Person, die es wissen wollte. Weil ich mich nicht mehr dafür schämte, nachdem ich mich intensiv mit den Gründen für mein Ausbrennen auseinandergesetzt hatte.

Die grosse Welle an Reaktionen überrollte mich unerwartet heftig. Ich merkte schnell, dass ich jetzt ganz genau aufpassen musste, was ich tue.

Vielleicht habe ich deshalb unterschätzt, wie gross das Tabu rund um das Thema Burnout in Zusammenhang mit der «Nicht-Vereinbarkeit» von Kind und Karriere noch ist. Die grosse Welle an Reaktionen überrollte mich unerwartet heftig. Ich merkte schnell, dass ich jetzt ganz genau aufpassen musste, was ich tue. Damit ich im Strudel zwischen hunderten privater Nachrichten von Betroffenen und den Reaktionen auf die folgenden Artikel im «Tages-Anzeiger» und «Blick» nicht gleich wieder ausbrenne.

Mit Leistung befriedigen viele von uns – darunter auch ich bisher – eines der menschlichen Grundbedürfnisse.

Denn es ist erwiesen, dass viele Burnout-Betroffene einen Hang zum Perfektionismus haben. Oft entstanden durch kindliche Prägungen, die man in Kürze so zusammenfassen kann: Für Leistung gibt es Anerkennung, Wertschätzung, Zuneigung, Liebe und damit das Gefühl der Zugehörigkeit. Mit Leistung befriedigen viele von uns, darunter auch ich bisher, also eines der menschlichen Grundbedürfnisse. Gepaart mit meiner Sozialisierung als Frau, in der ich gelernt habe, mich immer zuerst um andere zu kümmern, war und ist das eine ziemlich gefährliche Mischung. Was wäre besser dazu geeignet, Anerkennung und ein Gefühl von Zugehörigkeit zu erlangen, als Hunderten Frauen einzeln zur Seite zu stehen, die in privaten Nachrichten ihren Kummer und ihre Verzweiflung mit mir teilen? Eben.

Aber! Es gibt einen ziemlich grossen Unterschied zu meiner Zeit vor dem Burnout. Ist es euch aufgefallen? Nein? Dann wiederhole ich gerne nochmal den einen Satz, in dem der Hund begraben liegt: Ich merkte schnell, dass ich jetzt ganz genau aufpassen musste, was ich tue.

Dieses Bewusstsein ist neu und der Life Changer für mich. Während ich vor zwei Jahren die Signale meines Körpers rigoros wegschob – ich hatte ja schliesslich gerade keine Zeit dafür –, höre ich heute genau hin, wenn er mir etwas sagen will: «Keinen Appetit, Gedankenkreisen, Kopfweh, Verspannungen im Nacken, vermehrtes Herzklopfen oder schlechter Schlaf? Okay, ich habs verstanden, lieber Körper, Zeit, um schleunigst auf die Bremse zu treten! Danke für den Wink mit dem Zaunpfahl!»

Meine Reise durch die Erschöpfung und die Depression war zu schmerzhaft. Wenn möglich, möchte ich wirklich nie wieder an diesen dunklen Ort zurück.

Meine Liebsten, die sich wegen meiner Selbstständigkeit Sorgen machen, beruhige ich deshalb mit folgenden Worten: Ich habe mir zwei Jahre Zeit gelassen, um zu heilen. Um mich intensiv mit den Gründen zu beschäftigen, warum ich ausgebrannt bin. Ich habe mich meinen Ängsten gestellt und gelernt, auf die Signale meines Körpers zu hören. Und ich arbeite bis heute an meinen ungesunden Mustern und Prägungen. Ausserdem sind die Erfahrungen, die ich gemacht habe, die beste Abschreckung. Meine Reise durch die Erschöpfung und die Depression war zu schmerzhaft. Wenn möglich, möchte ich wirklich nie wieder an diesen dunklen Ort zurück.

Zu meiner heutigen Selfcare-Routine gehört deshalb, dass ich weiterhin regelmässig zu meiner Therapeutin gehe. Zusätzlich habe ich mir eine wunderbare Coach gesucht, die mich dabei unterstützt, den Fokus nicht zu verlieren und gesund zu priorisieren. Ich habe erkannt, dass ich lieber im Team agiere, statt als Einzelkämpferin «selbst» und «ständig» durch die Welt zu marschieren. Also habe ich eine Gruppe wunderbarer Frauen mit ähnlichen Werten und Visionen um mich herum geschart. Sie alle haben ihre eigenen Firmen oder sind gerade im Aufbau. Wir arbeiten gemeinsam an tollen Projekten und unterstützen uns sowohl mit beruflichem Rat als auch mit emotionalem Support. Und dann kommt noch hinzu, dass sich die Rahmenbedingungen in meinem Leben ziemlich verändert haben: Die Trennung vom Vater meiner Tochter und unsere 50:50-Aufteilung der Care-Aufgaben im Wechselmodell haben mir sehr viel Zeit geschenkt. Für meine Arbeit, meine Hobbys, meine Freund:innen – und für mich selbst.

Ich bin also zuversichtlich, meiner Vision folgen zu können und dabei gesund zu bleiben. Und ich freue mich sehr, dass ich weiterhin Kolumnen für ellexx schreiben und euch so auf diese Reise mitnehmen darf 💜.

Herzlichst,

Julia

Julia Panknin ist selbstständige Journalistin, Speakerin und Beraterin mit Fokus auf die Themen Parental Burnout sowie Vereinbarkeit von Kind und Karriere. Sie ist Mutter einer kleinen Tochter, deren Betreuung sie sich im Wechselmodell 50:50 mit dem Vater teilt. Zu ihrer Website: juliapanknin.com.

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