Wir fragen Männer, was sonst nur Frauen gefragt werden. Wir wollen damit einen Dialog über Stereotypen in Gang setzen, zum Nachdenken und Schmunzeln anregen, aber auch Toxizität entlarven.

Prof. Dr. med. Michael Müller ist Chefarzt für Gynäkologie am Inselspital Bern. In den Männerfragen erklärt er, ob Frauenärzte den Job wählen, weil sie eine Partnerin suchen ,und was er macht, wenn er sich vor Menstruationsschmerzen am liebsten im Bett eingraben würde.

Der weibliche Körper ist doch von der Medizin schon genug erforscht. Was finden Sie am Beruf des Gynäkologen spannend?

Die Forschung ist das eine, die Behandlung am Menschen das andere. Und die fasziniert mich am meisten, abgesehen davon, dass der menschliche Körper etwas Faszinierendes ist, das ich unabhängig vom Geschlecht verstehen will.

Aber warum ausgerechnet der weibliche Körper?

Mein Fach heisst ja Gynäkologie und Geburtshilfe. Für mich widerspiegelt dieser Bereich das Leben. Ich habe Kontakt mit Patientinnen, wenn sie gebären und wenn sie krank werden. Besonders schön finde ich, dass ich in meinem fortgeschrittenen Alter die Töchter von Patientinnen behandle, bei deren Geburt ich teilweise dabei war.

So beziehungsorientiert! Die unerforschten Männer wären doch sicher viel interessanter gewesen.

Es gibt kein medizinisches Fach, bei dem man Männer so lange begleiten könnte.

Fühlen Sie sich denn als Mann nicht benachteiligt, dass es kein Pendant zum Frauenarzt gibt?

Ich glaube nicht, dass es da eine Benachteiligung gibt. Dort verteilen sich die Themen auf Spezialisten.

Es gibt kein medizinisches Fach, bei dem man Männer so lange begleiten könnte.

Finden Sie den Begriff «Frauenarzt» nicht etwas veraltet angesichts der heutigen Geschlechtervielfalt?

Absolut, absolut! Ich habe das einmal mit einer Person besprochen, die  Gender-Dysphorie hat. So bezeichnet man medizinisch Menschen, die sich als trans oder nonbinär identifizieren. Ich habe die Person gefragt, wie man die Frauenklinik denn nennen soll. Es gibt kein Wort, man findet es einfach nicht. Insofern muss man den Begriff Frau einfach inklusiv denken. Bei uns in der Frauenklinik haben wir Patient*innen, die sich in völlig unterschiedlichen Geschlechtsidentitäten verorten.

Fühlen Sie sich manchmal unterqualifiziert für einen so weiblichen Beruf?

Ich glaube nicht.

Weshalb?

Ich wüsste nicht, inwiefern mich mein Geschlecht unter- oder überqualifizieren sollte. Zum einen ist es wichtig, dass man die nötigen Kenntnisse hat. Diese habe ich mir in den letzten Jahren angeeignet. Das andere sind Empathie und Verständnis, die es braucht. Das ist unabhängig vom Geschlecht.

Die Stelle am Inselspital haben Sie aber nur bekommen, weil das Inselspital einen Quotenmann brauchte.

Das ist wenig wahrscheinlich, in meinem Fach ist eher das Gegenteil der Fall: Bei gleich qualifizierten Personen bevorzugen wir in der Regel das weibliche Geschlecht.

Sie beschäftigen sich mit den starken Frauen anstatt den schönen Männern. Geben Sie es zu, damit wollen Sie doch vor allem Ihr Ego pushen.

Das ist eine spannende Frage. Die schönen Männer … Wenn wir umgekehrt denken, würde ich mich nicht als plastischen Chirurgen für Männer sehen und wüsste nicht, was Schönheit mit meinem Beruf zu tun hat. Ich habe effektiv mit starken Persönlichkeiten zu tun. Diese Persönlichkeiten empfinde ich als schön.

Naja, in meinem Umfeld fragt man sich schon, weshalb ein Mann einen Frauenberuf ergreift. Da heisst es schnell, ein männlicher Frauenarzt sucht doch eine Partnerin.

Also wenn es darum geht, kommt man auch als Zahnärztin, Augenarzt oder HNO-Spezialistin Menschen sehr nahe. Dort gäbe es genügend Möglichkeiten, falls das ein Motiv wäre. Dass man Frauenarzt wird, um eine Partnerin zu finden, davon habe ich noch nie gehört. Meine Frau ist zwar auch Frauenärztin …

(Redakteurin unterbricht ihn, indem sie anfängt zu lachen)

… aber ich habe sie nicht als Patientin kennengelernt, sondern als Frauenärztin.

Wie geht es Ihnen damit, dass Sie dem schwächeren Geschlecht angehören?

Damit habe ich keine Probleme. Es kommt immer darauf an, wie man es nimmt. Vor kurzem gab es einen Bericht, dass es bei Operationen, die von weiblichen Chirurginnen durchgeführt werden, weniger Komplikationen gibt.

Ich habe schon alles gesehen. Männer, die sehr unterstützend sind, Männer, die aggressiv werden und sich gegen uns stellen, Männer, die ohnmächtig werden oder plötzlich den Gebärsaal verlassen.

Wie erklären Sie sich das?

Zuerst einmal: Es gibt keine Operationen ohne Komplikationen. Das Ergebnis der Studie lässt sich auf zwei Arten erklären. Die erste Erklärung ist die statistische: Dass es zufällig war, dass es bei Frauen weniger Komplikationen gab und dass man bei weiteren Forschungen zum Resultat käme, dass es bei Männern weniger Komplikationen gäbe.

War denn die Studie nicht repräsentativ?

Doch, natürlich. Die zweite Erklärung ist eine geschlechterbezogene: Frauen operieren sorgfältiger, sind weniger grob und haben deswegen weniger Komplikationen.

Wie verhalten sich Männer eigentlich im Gebärsaal?

Ich habe schon alles gesehen. Männer, die sehr unterstützend sind, Männer, die aggressiv werden und sich gegen uns stellen, Männer, die ohnmächtig werden oder plötzlich den Gebärsaal verlassen. Und: Ich habe auch schon einige Geburten erlebt, bei denen Frauen bei anderen Frauen dabei waren. Da gab es keine Unterschiede im Verhalten.

(Strahlt.) Touché für diese Diversifizierung! Eines Ihrer Spezialgebiete ist ja die Endometriose. Braucht es noch mehr Menschen, die zu diesem Spitzenthema forschen?

Unbedingt! Ich forsche seit 30 Jahren zu Endometriose. Als ich in San Francisco damit begann, war es ein Thema, das niemanden interessierte. Jetzt endlich kommt es langsam. Es gibt noch so viel, das wir nicht begreifen und nicht wissen. Beispielsweise wissen wir immer noch nicht, weshalb Endometriose bei zwei Dritteln der Betroffenen stabil bleibt und weshalb sie bei einem Drittel fortschreitet. Wir müssen forschen, und vor allem sollten wir Gelder für diese Forschung erhalten.

Wie bitte? Es ist schwierig, Forschungsgelder für ein Frauenthema zu bekommen?

Ich nehme jeweils Prostata-Karzinome als Beispiel: Da es früher mehr Männer in der Politik und in anderen Entschedungsgremien gab, gab es Gelder für Prostata-Karzinome. Wären Frauen in diesen Gremien vertreten gewesen, gäbe es heute sicher mehr Gelder für Endometriose. Oder, anders  gesagt: Wäre Endometriose ein Krebs, an dem Männer sterben, hätten wir uns schon längst damit beschäftigt. Nur ist Endometriose eine gutartige Krankheit, die sich wie eine bösartige verhält. Sie ist von aussen unsichtbar, aber sie verändert das Leben von Frauen ungemein.

Wäre Endometriose ein Krebs, an dem Männer sterben, hätten wir uns schon längst damit beschäftigt.

Wie gehen Sie mit Ihren monatlichen Stimmungsschwankungen um?

Wenn ich merke, dass ich meine monatlichen und auch täglichen Schwankungen habe (lächelt), versuche ich sie zu dämpfen.

Was tun Sie gegen PMS?

Dann nehme ich Mönchspfeffer (lächelt). Sport hilft auch, sich abzulenken. Obwohl es bei mir ja keine PMS sind, sondern einfach Stimmungsschwankungen, die ich damit ausgleiche.

Wie bleiben Sie professionell, wenn Sie sich am liebsten im Bett eingraben würden vor lauter Menstruations- oder Endometrioseschmerzen?

Bei Frauen mit Endometriose suchen wir optimale Therapiebehandlungen. Aber wenn selbst medikamentöse Hilfe die Schmerzen nicht lindert, dann ist es manchmal nicht mehr möglich zu arbeiten.

Wie haben Sie es geschafft, Beruf und Familie zu vereinbaren?

Ich habe meine beruflichen Ziele immer klar definiert. Mit meiner Frau habe ich besprochen, ob das zusammenpasst. Das haben wir uns am Anfang genau überlegt. Es war klar, dass die Familie an erster Stelle steht, aber der Beruf kam für mich unmittelbar danach. Das habe ich dementsprechend kommuniziert und habe deswegen immer die Unterstützung bekommen, die ich gebraucht habe.

Sie müssen eine sehr grosszügige Partnerin haben, die Sie dabei unterstützt, sich beruflich so zu verwirklichen.

Das ist so! Und vor allem war sie eine grosse Unterstützung.

Wie halten Sie sich selbst fit für die Arbeit?

Nächste Frage.

(Lacht.) Gut, dann die letzte Frage: Was ist Ihr Schönheitsgeheimnis?

Zufriedenheit. Wenn man akzeptiert, was man hat, strahlt man eine innere Schönheit aus. Das ist das beste Schönheitsgeheimnis.