Nachdem Anuschka Roshani ihren Erfahrungsbericht im «Spiegel» veröffentlichte, waren wir auf der elleXX-Redaktion schockiert – jedoch nicht überrascht. Seit Jahren hört man immer wieder von Machtmissbrauch und Machogetue innerhalb der Medienszene. Egal, ob junge Praktikantin oder erfahrene Journalistin: Jede hat eine eigene Geschichte oder kennt zumindest eine von einer Kollegin. Dass der Journalismus ein Sexismusproblem hat, ist also nichts Neues und wurde bereits 2019 von der «Tages-Anzeiger»-Journalistin Simone Rau im Rahmen ihrer #MediaToo-Recherche aufgedeckt, die auch der aktuellen Bewegung ihren Namen gibt. 2020 folgte der sogenannte Frauenbrief, in dem 78 Tamedia-Journalistinnen Sexismus im Unternehmen anprangerten und Veränderungen forderten. Gebracht hat er offenbar noch nicht viel.

Überrascht waren wir also nicht. Aber zutiefst beeindruckt von einer Frau, die den Mut gefunden hat, mit ihrem Namen hinzustehen und zu erzählen, wie sie jahrelang ein toxisches und zutiefst problematisches Arbeitsumfeld ausgehalten und toleriert hat. Mehr noch: Angeblich hat auch Roshani selbst derbe Sprüche geklopft, wie aus dem offenen Brief des ehemaligen «Magazin»-Chefredaktors Finn Canonica hervorgeht. Verschiedene Medien versuchten in der vergangenen Woche herauszufinden, was denn nun wirklich geschehen war, und stilisierten die Geschichte einmal mehr zu einer Schlammschlacht zwischen zwei Individuen hoch. Zielführend ist das gewiss nicht. Und auch nicht besonders aussagekräftig: Es liessen sich sowohl ehemalige «Magazin»-Mitarbeitende finden, die Roshanis These stützen – aber eben auch solche, die das Gegenteil aussagten. Ein roughes Klima zumindest gestand Canonica Roshani in seinem offenen Brief – vielleicht nicht ganz bewusst – zu.

Miriam Suter
Ein kurzes Strohfeuer mit öffentlichem Aufschrei bringt also herzlich wenig, wenn sich die Strukturen, die übergriffiges Verhalten begünstigen, nicht ändern. Und von ihnen sind wir alle Teil.

Tamedia habe ein Sexismusproblem, hiess es vielerorts. Und: Das stimmt. Aber nicht nur das Verlagshaus des «Magazins», auch die SRG hatte 2020 mit den Vorwürfen gegen den RTS-Starmoderator Darius Rochebin ihren Skandal, Ringier 2017 ebenso, als «gruusige» Geschichten rund um Werner de Schepper laut wurden. Beide Fälle wurden intern abgeklärt, beide Männer haben heute noch immer oder wieder einen Job in der Medienbranche, de Schepper gar in leitender Funktion. Ein kurzes Strohfeuer mit öffentlichem Aufschrei bringt also herzlich wenig, wenn sich die Strukturen, die übergriffiges Verhalten begünstigen, nicht ändern. Und von ihnen sind wir alle Teil.

Unser Instagram-Post, in dem wir unsere eigenen Erfahrungen mit Sexismus teilten und nach weiteren Geschichten fragten, wurde weit über hundert Mal kommentiert, auch via private Nachrichten gingen unzählige Meldungen ein. Dass ein solcher Damm brechen würde, hätten wir nicht erwartet. Es macht aber offensichtlich: Betroffene sind bereit, zu reden und ihre Erfahrungen zu teilen. Sie alle haben eine Geschichte und genug vom Schweigen. Sie wollen, dass sich endlich etwas ändert.

Sich mit Einzelfällen aufhalten bringt nichts

Es ist beeindruckend zu sehen, wie viel in Bewegung geraten ist. Trotzdem dürfen wir uns jetzt nicht wieder nur an Einzelfällen festbeissen. Sonst verpassen wir, über Strukturelles zu sprechen. Die Medienbranche wurde jahrelang von machoiden Männern geprägt, vulgäre bis frauenverachtende Sprache und Verhalten wurden und werden vielerorts toleriert, toughes Auftreten goutiert. Und es herrschen grosser Konkurrenzdruck und Abhängigkeiten. Die Jobs sind rar, die guten besonders. Gerade im Falle des «Magazins» wird diese Problematik deutlich: Welche:r Journalist:in willl schon nicht zum prestigeträchtigen «Tagi-Magi»? Solche Traumjobs sind derart selten, dass man auch einen übergriffigen Chef aushält, um die Stelle zu behalten.

Miriam Suter
Wir sollten #MediaToo zum Anlass nehmen, wirklich nachhaltig über das Arbeitsklima im Journalismus zu sprechen und an Verbesserungen zu arbeiten.

Hinzu kommt, dass sich übergriffiges Verhalten sehr oft über Jahre unbemerkt einschleichen kann. Man gewöhnt sich vielleicht zuerst an einen Blick, der etwas zu lange im Ausschnitt hängen bleibt. Dann an die blöden Sprüche. Und schliesslich traut man sich nicht mehr, etwas zu sagen, wenn man plötzlich eine Hand am Hintern hat. «Warum hast du denn nichts gesagt?» beantwortet sich zudem ganz von selbst, wenn einem die Unterstützung aus dem Team fehlt – weil sich schon alle an übergriffiges Verhalten gewöhnt haben. Oder wenn man mit einem «Tu doch nicht so empfindlich» abgespiesen wird. Dabei sind Frauen alles andere als empfindlich. Im Gegenteil: Sie müssen einiges aushalten. Studien und Umfragen zeigen immer wieder: Jede zweite Journalistin wird bei der Arbeit belästigt, Berufseinsteigerinnen sind besonders gefährdet. Dass sich Beobachter:innen einschalten und helfen, wird durch eine solche Arbeitskultur übrigens genauso unterbunden wie der Mut von Männern, die von Übergriffen betroffen sind und sich wehren wollen. Selbstverständlich gibt es diese Fälle auch.

Wir sollten #MediaToo zum Anlass nehmen, wirklich nachhaltig über das Arbeitsklima im Journalismus zu sprechen und an Verbesserungen zu arbeiten. Es ist in den letzten Jahren bereits einiges passiert, um die Medienwelt gleichberechtigter zu gestalten: Bei 20 Minuten gibt es das Social Responsibility Board, das unter anderem das generische Maskulinum abschaffte. Die Initiative EqualVoice bei Ringier macht Frauen in der Berichterstattung sichtbarer. Mit Priska Amstutz amtet eine sehr engagierte Chefredaktorin beim Tages-Anzeiger und auch 20 Minuten hat mit Desirée Pomper eine wegweisende Chefin gefunden. Frauen an der Spitze sind zwar kein Garant, aber ein Hoffnungsschimmer dafür, dass sich machoides Klima nachhaltig verändert. Und bei SRF hat SRG-Direktorin Nathalie Wappler offenbar intern sehr gut auf die Vorwürfe von unserer Gründerin Patrizia Laeri reagiert.

Was es nun braucht:

Damit sexistisches und übergriffiges Verhalten adäquat bekämpft werden kann, braucht es HR-Mitarbeitende, die entsprechend sensibilisiert und allenfalls weitergebildet werden. Es braucht klare Anlaufstellen für Betroffene, die so niederschwellig wie möglich angegangen werden können. Und die entsprechenden Informationen müssen für die Mitarbeitenden so klar kommuniziert werden und so einfach zu finden sein wie das Tool, mit dem man seine Ferientage eintragen kann. Es braucht eine wertschätzende Unternehmenskultur und Chefinnen oder Chefs, die ihre Angestellten schützen, ein Vertrauensverhältnis zu ihnen aufbauen, ihre Anliegen ernst nehmen und Unterstützung bieten. Und es braucht eine Kultur, die Mut macht und nicht Furcht schürt. Eine Kultur, in der man füreinander einsteht, statt sich gegenseitig mit spitzen Bemerkungen und derben Witzen herabzuwürdigen.

Die schlechte Nachricht: Unsere Redaktionen sind noch viel zu wenig Safe Spaces für uns Angestellte. Die gute Nachricht: Wir alle können Teil einer positiven Veränderung sein. Jetzt ist die Zeit dafür.