Macht und Misogynie, Geld und Gier, Patriarchat und Privilegien: Wer die Antwort nicht scheut, darf unseren Kolumnisten alles fragen, Markus Theunert teilt, was er in 25 Jahren Beschäftigung mit Männern und Männlichkeit gelernt hat.

Heute mit der Frage von Rosula (67): Wie können Väter gute Vorbilder für ihre Söhne sein?

Liebe Rosula

Du stellst eine wichtige, aktuelle und komplexe Frage. In gewisser Weise ist die Antwort aber ganz einfach: Indem sie da sind.

Denn das Hauptproblem von Jungen besteht ja in den meisten Fällen nicht darin, dass ihre Väter ihnen «schlechte» Vorbilder wären, sie also aktiv und bewusst zu «toxischem» Verhalten anleiten (auch wenn das natürlich auch vorkommt). Das Hauptproblem sehe ich darin, dass die allermeisten Jungen keine alltagsnahen männlichen Bezugspersonen haben. So sind nach wie vor über 80 Prozent aller Väter kleiner Kinder Vollzeit erwerbstätig. Nur 5 von 100 Kindergärtner:innen sind Männer, nur 17 von 100 Primarlehrer:innen. Diese Abwesenheit von Männern im kindlichen Alltag verhindert, dass Jungen ganz selbstverständlich lernen, wie unterschiedlich Männer sind – und dass auch Putzen, Trösten, Basteln, Bügeln und Kochen «männlich» ist.

Markus Theunert
Die Abwesenheit von Männern im kindlichen Alltag verhindert, dass Jungen lernen, wie unterschiedlich Männer sind – und dass auch Putzen, Trösten, Basteln und Kochen männlich ist.

Dank der männer.ch-Geburtsvorbereitungskurse begegnen wir jährlich mehreren hundert Männern in der sensiblen Phase kurz vor der Geburt. In diesem bunten Querschnitt zeigt sich eindrücklich: Das Leitbild von Vaterschaft hat sich verändert. Die jungen Väter von heute wollen zeitlich und emotional präsent sein. Gleichzeitig beobachten wir eine fast schon fahrlässige Entspanntheit, was die Umsetzung angeht. Nur wenige haben schon mit der Partnerin und dem/der Arbeitgeber:in über die künftige Familienorganisation gesprochen. Man(n) lässt es auf sich zukommen und vertraut darauf, seine Rolle als Vater und seinen Platz in der Familie schon irgendwie zu finden. Das erweist sich oft als unrealistischer Optimismus. Denn nach 14 Wochen Mutterschaftsurlaub ist der Vorsprung der Mütter im kompetenten Umgang mit dem Baby bereits riesig. Ohne aktives Gegensteuern geht die Schere zwischen den Eltern in der Folge immer weiter auf.

Ein gutes Vorbild für seinen Sohn ist also vor allem jener Vater, der sich überhaupt erst in die Situation bringt, sich ernsthaft um seine Kinder zu kümmern, und sich die dafür notwendigen Kompetenzen aneignet. Unsere Message an die werdenden Väter lautet: Es ist deine Wahl, was für ein Vater du sein willst. Aber ein verantwortungsvoller Vater übernimmt zumindest zwei Pflichten: Er trifft erstens eine bewusste Entscheidung, was für ein Vater er sein will. Und er erwirbt sich zweitens das Know-how, um sein Baby während 24 Stunden auch allein betreuen zu können.

Mehr Erwartungen an Väter formulieren wir nicht. Denn das kann schnell kontraproduktiv werden, weil sich die Väter bereits selber unter Druck setzen. Der Vorsatz, ein perfekter Vater zu sein, kann entmutigen, wenn das Idealbild von der Realität eingeholt wird. Wir versuchen deshalb, die Erwartungen der Väter an sich selbst auf ein realistisches Mass zurückzuschrauben, und ermuntern sie, sich der Frage zuzuwenden, wie sie ein hinreichend guter Vater sein können. Hinreichend gut heisst: verfügbar, nahbar, verbindlich, einfühlsam und bezogen. Wenn ihnen das gelingt, sind sie ihren Kindern automatisch hilfreiche Vorbilder.

Markus Theunert
Die jungen Väter von heute wollen zeitlich und emotional präsent sein.

Die Herzen der künftigen Väter erreichen wir übrigens vor allem mit einer Frage: Wie soll sich dein Kind später an dich erinnern? Wenn Väter eine Antwort auf diese Frage erarbeiten, entwickeln sie ein Bild von sich als Vater, der nicht auf einem Sockel, sondern mit beiden Beinen auf dem Boden steht – und sich so zeigt, wie er ist. Mit allen seinen Qualitäten und allen seinen Defiziten. Der sich als Mann und Mensch mit seinen begrenzten Möglichkeiten spürbar macht. So lernt sein Kind: Man muss kein Superheld sein, um als Mann und Vater Vorbild zu sein. Da sein genügt.

Markus Theunert ist Gesamtleiter von männer.ch, dem Dachverband progressiver Schweizer Männer- und Väterorganisationen. Kontakt: theunert@maenner.ch

Diese Kolumne verfolgt – auf Einladung der ellexx-Redaktion – das Anliegen, einen patriarchatskritischen Blick auf Geschlechter-, Geld- und Gesellschaftsfragen beizusteuern. Unserem Kolumnisten ist es wichtig, seine Unsicherheit transparent zu machen, wo die Bereicherung durch eine reflektierte Männerperspektive aufhört – und wo das «Mansplaining für Fortgeschrittene» beginnt.