Wir müssen reden. Und zwar dringend.

Als Sexologin und Psychologin beschäftige ich mich beruflich täglich mit Glaubenssätzen. Ich kenne sie, die Sätze, die es so vielen Frauen schwer machen, eine Leichtigkeit und Selbstsicherheit im Umgang mit ihrem Körper und ihrer Sexualität zu erleben.

Es sind Sätze, die unsere Gesellschaft gerne unhinterfragt weiterreicht. Denn was man oft genug hört, glaubt man irgendwann. Wie zum Beispiel folgende All-Time-Favoriten: Frauen haben weniger Lust als Männer. Der weibliche Orgasmus ist kompliziert, nicht alle Frauen sind dazu fähig. Für Frauen ist Sex nicht so wichtig.

Yvonne Schudel
Diese stereotypen Überzeugungen zielen darauf ab, Frauen von Männern abhängig zu machen und ihre Sexualität zu kontrollieren.

Doch all diese stereotypen Überzeugungen sind keine Wahrheiten, sondern das Produkt patriarchalen Denkens, das darauf abzielt, Frauen von Männern abhängig zu machen und ihre Sexualität zu kontrollieren. 

Eine Frau, die davon überzeugt ist, dass ihre Sexualität (sprich: sie und ihr Körper) kompliziert ist und Sex vor allem für Männer wichtig ist, wird sich nicht selbstbestimmt für ein Sexleben einsetzen, das auch ihr Spass macht. 

Und wenn du jetzt denkst: Was hat das Thema Sexualität mit meinen Finanzen zu tun, wir sind doch hier auf einer Finanzplattform – lies bitte weiter, dazu kommen wir jetzt.




Dank der unermüdlichen Arbeit von ellexx habe auch ich angefangen, mich bewusst mit dem Thema Finanzen zu beschäftigen. Dabei wurde mir etwas klar, das mich eigentlich nicht hätte überraschen dürfen – und doch tat es das: Es bestehen unübersehbare Parallelen bei Glaubenssätzen zu Geld und zu Sexualität. Die gleichen Denkmuster sorgen dafür, dass Frauen in beiden Bereichen unsicher, bedürfnislos und abhängig bleiben.

Hier ein paar der gängigsten Glaubenssätze – kommen sie dir bekannt vor? 

Geld

Sex

Geld ist für mich nicht wichtig. Darum kümmert sich mein Mann.
(Ich bleibe passiv.)

Sex ist für mich nicht wichtig. Ich überlasse darum meinem Mann die Initiative.
(Ich bleibe passiv.)

Finanzen sind kompliziert, und Frauen haben es eh nicht mit den Zahlen.
(Ich bleibe passiv.)

Weibliche Sexualität ist kompliziert, und für Frauen ist Sex eh nicht so wichtig.
(Ich kümmere mich darum um die Bedürfnisse des Partners und bleibe für meine Bedürfnisse passiv.)

Ich verstehe das nicht.
(Ich schäme mich und bleibe passiv.)

Mit mir stimmt etwas nicht.
(Ich schäme mich und bleibe passiv.)

Wenn ich finanziell erfolgreicher bin als mein Partner, schaffe ich ihm ein Problem. Männer sollten doch mehr verdienen als Frauen, sie brauchen das für ihren Selbstwert.
(Ich darf nicht zu aktiv werden.)

Wenn ich sexuell aktiver bin als mein Partner, schaffe ich ihm ein Problem. Männer sollten doch die sexuell aktiven/führenden sein, das ist wichtig für ihren Selbstwert.
(Ich darf nicht zu aktiv werden.)

Eine Frau, die sich stark für Geld interessiert, ist irgendwie suspekt (geldgeil, geizig, überheblich, kalte Karrierefrau).
(Moralische Abwertung des Themas für Frauen. Ich bleibe lieber passiv.)

Eine Frau, die sich stark für Sex interessiert, ist irgendwie suspekt (sexgeil, egoistisch, unmoralisch, Femme Fatale, Schlampe).
(Moralische Abwertung des Themas für Frauen. Ich bleibe lieber passiv.)

Es gibt doch wichtigere Dinge im Leben als Geld./Ich kann doch so dankbar sein, dass… (Moralische Abwertung des Themas für Frauen. Ich bleibe passiv.)

Es gibt doch wichtigere Dinge im Leben als Sex./Ich kann doch so dankbar sein, dass… (Moralische Abwertung des Themas für Frauen. Ich bleibe passiv.)

Und wenn dann Frauen endlich den Mut hätten, sich dem Thema zu stellen: Der Zug ist abgefahren. Es ist zu spät dafür! 

(Ich bleibe passiv.)

Und wenn dann Frauen endlich den Mut hätten, sich dem Thema zu stellen: Der Zug ist abgefahren. Ich bin zu alt dafür!
(Ich bleibe passiv.)



Nach all diesen Parallelen sollte es uns nicht verwundern, dass es nicht nur bei den Finanzen einen klaffenden Gender-Gap gibt, sondern auch beim Sex.

So beträgt der Orgasm-Gap rund 38 Prozent, wie eine Studie* der Universität Basel aus dem Jahr 2022 zeigt: Während 94 Prozent der heterosexuellen cis-Männer beim Sex (fast) immer zum Orgasmus  kommen, sind es bei den cis-Frauen gerade mal 56 Prozent. 

Diese Zahlen bedeuten jedoch nicht, dass Frauen generell schwerer zum Orgasmus kommen. Der Orgasmus-Gap liesse sich relativ einfach verkleinern. Wie? Indem wir aufhören, so zu tun, als wäre nur die Penetration wichtig. Wenn nämlich beispielsweise auch Oralsex oder manuelle Stimulation einbezogen werden, wird der Orgasmus-Gap deutlich kleiner. Beim Masturbieren finden wir ihn fast gar nicht mehr (Unterschied nur 3 Prozent).

Yvonne Schudel
Es sind die patriarchalen Glaubenssätze, die falsche Erwartungen schüren, uns Frauen unter Druck setzen und schlichtweg falsch sind. 

Die Ursachen für die Gender-Gaps bei den Finanzen wie auch beim Sex liegen nicht in der ‹Natur der Frau›. Es sind nicht unsere Körper, die unser Sexleben kompliziert und oft lustlos machen. Es sind die patriarchalen Glaubenssätze, die falsche Erwartungen schüren, uns Frauen unter Druck setzen und schlichtweg falsch sind. 





Darum müssen wir reden – damit du aufhörst, an dir zu zweifeln und dich aktiv einsetzt für ein sexuell und finanziell selbstbestimmtes, lustvolles und eigenständiges Leben. 

*Koechlin et al. 2022, noch unveröffentlichte Studie. Die Studie basiert auf einer anonymen Online-Befragung von rund 2’000 Personen.  

Zur Autorin:
Yvonne Schudel ist Sexologin und Psychologin. Sie setzt sich mit ihrer Arbeit leidenschaftlich dafür ein, dass Frauen ein erfülltes, lustvolles und selbstbestimmtes Sexleben führen können. Dazu hinterfragt sie gesellschaftliche Normen, räumt auf mit Mythen und Tabus und zeigt, wie guter Sex – ohne Druck und Scham – wirklich funktioniert.