Als Kind habe ich aus Wut schon mal mit Dominosteinen um mich geworfen. Mein Vater hatte mir zuvor versichert, alle Zahlen seien teilbar, beispielsweise durch zwei. Darauf habe ich freudvoll die Pünktchen aufteilen können: in zwei Lager, in gleich viele Pünktchen – zumindest die geraden Zahlen. Was für eine wunderschön gerechte Zahlenwelt. Bei den ungeraden ging dieses simple Spiel aber vermeintlich nicht mehr auf. Deshalb flogen die Steine. Nur, um kurz darauf zu lernen, dass das übrige Pünktchen eben auch halbiert werden könne. Drei durch zwei gleich eineinhalb Pünktchen. Ich war überglücklich.

Mein Vater hat mir immer gesagt: Laeris können rechnen. Mit dieser Bestärkung bin ich gross geworden. Mit dieser Begeisterung für Zahlen. Aber wenn die Rechnung nicht aufgeht, macht es mich bis heute immer noch wütend.

Und genau deshalb ist meine Wut auf das derzeitige Wirtschaftssystem beträchtlich. Es enthält Rechnungsfehler in Billionenhöhe und wird dadurch immer unberechenbarer. Es mag geneigten Leser:innen bereits aufgefallen sein, dass wir hier auf dieser Plattform viel über Zahlen und Geld sprechen. Was also ist der Sinn und Zweck des Ganzen?

Weil es ins Geld geht, nicht über Zahlen zu sprechen. Entscheidend ist, dass immer mehr Menschen die Rechenfehler im System nachvollziehen und nach Lösungen suchen können. Diese sind nötiger denn je.

Die Welt macht die Rechnung ohne die Frauen

Der derzeitige Kapitalismus gedeiht auf dem Rücken unbezahlt arbeitender Menschen, zumeist sind das Mütter. Sie halten mit ihrem Gratisdienst die Wirtschaft am Laufen. Wenn niemand Menschen aufzieht, können diese weder produzieren, programmieren noch «performen». Wenn niemand neue Steuerzahler:innen und Arbeitnehmer:innen versorgt, gibt es keinen Wohlstand und kein Wachstum. Unser Wirtschaftssystem lastet auf der kostenlosen Verfügbarkeit oder «Allzuständigkeit» der Mütter, wie es Autorin Franziska Schutzbach in ihrem Bestseller «Die Erschöpfung der Frauen» so treffend herausgeschält hat.

Patrizia Laeri
Wenn niemand Menschen aufzieht, können diese weder produzieren, programmieren noch «performen»

Lässt sich dieser Rechenfehler beziffern? Sehr wohl. Der Beratungskonzern PWC hat dies in ihrem aktuellen «Women in Work Index»anlässlich des Weltfrauentags erstmals für 33 OECD-Länder berechnet. Frauen leisten für mehr als neun Billionen (!) Franken unbezahlte Haus- und Betreuungsarbeit pro Jahr. So genau konnten wir die historisch von Frauen erwartete und geleistete Gratisfürsorge noch nie beziffern. Er entspricht in etwa der gesamten jährlichen Wirtschaftsleistung von Deutschland, Frankreich, Italien und der Schweiz zusammen.

Patrizia Laeri
Frauen leisten für mehr als neun Billionen (!) Franken unbezahlte Haus- und Betreuungsarbeit pro Jahr. So genau konnten wir die historisch von Frauen erwartete und geleistete Gratis-Fürsorge noch nie beziffern. Er entspricht in etwa der gesamten jährlichen Wirtschaftsleistung von Deutschland, Frankreich, Italien und der Schweiz zusammen.

Die Wirtschaft boomt, weil sie Mütter ausbeutet

Es entgehen den Frauen aber nicht nur mehr als neun Billionen Franken Lohn jährlich, sondern auch Altersgeld auf diesen Lohn. Es ist besonders störend, dass diese unbezahlt arbeitenden Menschen keine Chance auf Vorsorge haben. In unserer Wirtschaft erhält nur Vorsorgegeld, wer bezahlt arbeitet. Nehmen wir an, dass diese umsonst arbeitenden Frauen wie bezahlt erwerbstätige Menschen in der Schweiz per Gesetz auch noch einen Teil des Geldes von Arbeitgebern für das Pensionsalter erhalten würden, im Schnitt etwa sieben Prozent. Dann entgehen ihnen auf die geleistete Arbeit also nochmals 630 Milliarden an Rentengeldern jährlich. Auf ein 40-jähriges Erwerbsleben gerechnet also 25 Billionen Franken für die Pension. Geld, das dem bezahlt arbeitenden Teil der Menschheit zur Verfügung steht.

Das ist ausbeuterisch. Es ist einer fortschrittlichen, freiheitlichen Gesellschaft unwürdig, dass ihre Wirtschaft auf solcher Ausbeutung fusst.

Patrizia Laeri
Es ist einer fortschrittlichen, freiheitlichen Gesellschaft unwürdig, dass ihre Wirtschaft auf der Ausbeutung von Müttern fusst.

Und diese Ausbeutung macht bis dato leider auch nicht Halt vor bezahlt arbeitenden Frauen. Sie sind ebenfalls stark betroffen. Wir rechnen deshalb heute nochmals vor, dass ihnen allein in der Schweiz 23 Milliarden Franken jährlich entgehen. So viel kostet sie der hartnäckig hohe Gender-Pay-Gap in der Schweiz. 23 Milliarden Franken, die sie weniger haben, zum Leben, zum Ver- und zum Vorsorgen, Jahr für Jahr.

Vor diesen Unsummen der Ungleichheit kann niemand die Augen verschliessen. Die Rechnung geht nicht auf. Alle, die rechnen können, wissen das. Und die Lösung kennen wir ebenfalls. Die Lösung ist eine gerechte Aufteilung der Arbeit und vor allem auch eine gerechte Bezahlung dieser gerecht aufgeteilten Arbeit. Ich habe schon als Kind meine Lektion gelernt: Jede Zahl ist teilbar, jede Zahl kann korrekt und fair durch zwei geteilt werden. Auch die Arbeitsstunden, die Löhne und die Renten. Frauen wollen endlich ihren fairen Teil der Dominosteine. Gleich viele Punkte für die Frauen!

Zahlen sind die Kraft der Veränderung. Wir brauchen andere Lösungswege, damit diese Rechnung für alle aufgeht. Dafür kämpfen wir bei elleXX Tag für Tag aufs Neue. Weil jeder Tag bei uns Weltfrauentag ist. Über alte und neue Glaubenssätze schreibt morgen Nadine Jürgensen.