Über Geld spricht man nicht? Doch. Gerade im Frauenfussball ist das ein hochemotionales Thema.

Also Tacheles. 100 Franken pro gewonnenem Spiel als Profifussballerin? Klingt frech? Ist aber Realität, wie die Schweizer Nati-Spielerin Meriame Terchoun erzählt.

Wir erreichen Terchoun per Videocall in ihrer Wohnung im französischen Dijon. Die 29-Jährige spielt beim dortigen Profiverein FCO Dijon. Und kann seither vom Fussball leben – zumindest in Frankreich, dank tieferen Lebenskosten.

Ein Gespräch über die ungleichen Bedingungen zwischen Männern und Frauen im Fussball. Darüber, wann ein Lohn «nur noch unverschämt» ist. Und natürlich über die baldige Heim-EM.

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Finanzieller Hintergrund
Alter: 29
Ort: Dijon
Beruf: Profifussballerin
Einkommen: Genug, dass ich einmal im Jahr richtig in die Ferien und meine Mutter mitnehmen kann
Schulden: keine
Grösster Ausgabeposten: Katzenfutter 
Vermögen: Genug, um anständig zu leben

Im Juli ist es soweit, die Heim-EM findet statt. Wie blickst du darauf?

Mit grosser Vorfreude. Ich hoffe auf ein riesiges Fussballfest, das ein Feuer entfacht für den Frauenfussball. Und ich hoffe, dass der Frauenfussball in der Schweiz weiter wächst und die Bedingungen dafür endlich besser werden.

Schon sind wir mitten im Thema. Beim Frauenfussball wird noch immer die Daseinsberechtigung diskutiert. Warum? 

Das ist eine schwierige Frage. Ich glaube, das hat damit zu tun, dass unsere Gesellschaft hinterherhinkt. Im Frauenfussball selber sind wir viel weiter: Wir aktiven Fussballerinnen sind sehr tolerant – bei uns ist es egal, wie du aussiehst, was du ausserhalb des Fussballs magst oder was eben nicht. Du bist willkommen. Das frustriert mich oft. 

Wie meinst du das?  

Es kann doch nicht ernsthaft darüber diskutiert werden, ob es okay ist, dass es Frauenfussball und eine Frauen-EM gibt. Beides sollte längst einen Platz haben in der Gesellschaft.  

Hast du Angst, die EM könnte niemanden interessieren, eben weil Frauenfussball? 

Das eigentlich nicht. Mittlerweile gibt es erfreulicherweise viele Fans. Und doch werden mehr dazu kommen, die Breite ist noch lange nicht erreicht. Frauenfussball muss so normal werden wie Männerfussball.

Beim Frauenfussball kommen wir nicht umhin, über Geld zu sprechen. Was ärgert dich da am meisten?  

Dass wir nicht die gleichen Bedingungen haben wie die Männer. Damit meine ich nicht mal primär das Salär, obwohl es manchmal nicht zum Leben reicht. Was mich am meisten nervt, sind die Bedingungen darum herum, die es uns nicht ermöglichen, stressfrei sportliche Höchstleistungen zu erbringen. Zum Beispiel: gute Trainingsplätze oder ein gutes Gym. Und vor allem die Zeit, richtig zu trainieren und zu regenerieren, wie Profis das tun sollten. Ich bin inzwischen realistisch, Frauenfussball hat im Vergleich zum Männerfussball eine eigene Geschichte. Deshalb wird die Gleichstellung dauern. Gleichwohl warten wir nun schon so lange darauf, dass die Bedingungen besser werden.

Meriame Terchoun
Nach dem dritten Kreuzbandriss stellte ich alles in Frage. Fast hätte ich aufgehört zu spielen.

Du hast mit Unterbruch elf Jahre als Profi für den FC Zürich gespielt. Daneben musstest du arbeiten, um über die Runden zu kommen. Wie geht das zusammen? 

Nur mit guter Organisation. Und indem ich auf vieles verzichtete. Es geht nur, wenn man Fussball wirklich sehr liebt. Und Unterstützung hat. Die Familie – ja das ganze Umfeld – muss dabei sein. Das ist kräftezehrend, finanziell wie zeitlich. Und irgendwann macht der Körper nicht mehr mit. Dann kommen die Verletzungen. Ich kann das eins zu eins vergleichen, weil ich heute «nur» Fussball spiele. 

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Zur Person
Die 29-jährige Meriame Terchoun ist seit 2015 Schweizer Nati-Spielerin. Seit 2022 spielt die Zürcherin für den FCO Dijon in der ersten französischen Liga. Davor kickte sie mit Unterbrüchen bereits elf Jahre lang als Profi für den FCZ. Vom Fussball leben kann sie erst seit dem Wechsel nach Frankreich.

Wie sah dein Tag in Zürich aus?

Ich begann um 8 Uhr in einem KV-Büro morgens zu arbeiten, arbeitete den ganzen Tag, schlang um 17 Uhr etwas zu essen herunter, fuhr ins Training, trainierte, kam gegen 22 Uhr heim, ass nochmals etwas und fiel todmüde ins Bett. Das Problem dabei: Ich hatte keine Erholung. Macht man das über lange Zeit, macht der Körper nicht mehr mit. 

Mit 24 hattest du bereits drei Kreuzbandrisse. Seit du seit 2022 bei Dijon spielst, warst du nicht verletzt. Weil du nun genug verdienst, um nicht nebenher arbeiten zu müssen?

Das hängt auf jeden Fall zusammen, ja. Bei Dijon hatte ich plötzlich freie Zeit, was ich nicht kannte. Inzwischen weiss ich: Ich brauche diese Zeit, um mich erholen zu können. Körperlich und mental. Als Fussballspielerin, besonders wenn du auch für die Nati spielst, bist du viel unterwegs. Ein Profileben ist mit Druck verbunden: Was esse ich? Wann esse ich? Wann gehe ich schlafen? Wie schlafe ich gut? Es geht darum, gesund zu bleiben. Die Zeit beim FCZ war wundervoll, aber irgendwann konnte ich nicht mehr.

Wie ging es weiter?

Nach dem dritten Kreuzbandriss stellte ich alles in Frage. Fast hätte ich aufgehört zu spielen. Dann siegte meine Sturheit, und ich sagte mir: Sollte ich wieder Fussball spielen, dann nur so, dass ich davon leben kann. 

Und? Kannst du? 

In Frankreich ja, aber reich werde ich nicht. Ich kann nicht viel auf die Seite legen. Zum Glück sind hier die Lebenskosten – anders als in der Schweiz – nicht sehr hoch. Gut, Dijon ist aber auch nicht so teuer wie Paris. (Lacht.)

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Das verdienen Nati-Profis im Ausland
Nati-Spielerin Géraldine Reuteler verdient gemäss einem CH Media Artikel von 2022 bei Eintracht Frankfurt hundert Mal weniger als männliche Topverdiener im gleichen Club. Nati-Captain Lia Wälti sagte den gleichen Medien, dass sie bei einem gut bezahlten KV-Job mehr verdienen würde.

Werden wir konkret: Wie viel verdienst du?

Mein Hauptverdienst wäre mein Job beim FCO Dijon. Aber da verdiene ich am wenigsten. Die grössten Einnahmen kommen vom Sponsoring und Medienauftritten. 

Meriame Terchoun
Beim FCZ gab es pro gewonnenem Spiel lange Zeit rund 100 Franken. 

Ein EM-Jahr lohnt sich finanziell aber schon?

Ja. Mittlerweile zahlen FIFA und UEFA auch uns Frauen zunehmend mehr. Das Prinzip ist einfach: Mit jedem Turnier, für das du dich qualifizierst, und mit jedem Spiel, das du weiterkommst, gibt es Geld. 2023 hat jede Spielerin für die Gruppenphase der WM 50’000 Euro bekommen. Da verdienst du auf einen Schlag viel Geld – ich fast mehr als einen Jahreslohn in der Profi-Liga. 

Was hast du eigentlich beim FCZ verdient?

Beim FCZ gab es pro gewonnenem Spiel lange Zeit rund 100 Franken. 

Wie bitte?

Ja.

Aber du warst doch Profi auch beim FCZ.

Ich weiss. Aber so war es. Später hatte ich einen kleinen Minilohn, das waren so 200 Franken im Monat. 

Du bleibst so ruhig. Findest du deinen Lohn angemessen angesichts der Leistung, die du bringst?  

Natürlich nicht. Ich kann mich nur nicht mehr jedes Mal aufregen.

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Das verdienen Profi-Fussballerinnen in der Schweiz
Nichts. So viel verdienen 38 Spielerinnen der Axa Women's Super League, der höchsten Schweizer Liga, laut einer «Blick»-Umfrage von 2022. Die höchstgenannte Lohnsumme war 3500 Franken pro Monat. Der gängigste Lohn beträgt 500 Franken, diese Zahl wurde gleich neun Mal angegeben. 67 Prozent der Spielerinnen müssen neben dem Sport noch arbeiten. 22 Prozent der Spielerinnen sogar zu 100 Prozent.

Warum verdienen die Männer so viel mehr? 

Weil das System ein Teufelskreis ist. Die Leute müssen ins Stadion kommen, damit das Geld zurück in den Verein fliesst. Es muss also Werbung gemacht werden, es muss viel darüber berichtet und gesprochen werden. Je bekannter ein Turnier, desto mehr zahlen UEFA und FIFA. Das wiederum schenkt ihnen selbst zünftig ein. Weisst du was?

Was?

Selbst wenn ein Verein mir gleich viel zahlen wollen würde wie meinem männlichen Pendant, könnte er das gar nicht. 

Warum das?

Weil für uns Frauen weniger Geld reinkommt. Das System als Ganzes muss sich also ändern. Daher fordere ich: Mehr Werbung, mehr Medien- und Social-Media-Präsenz auch für den Frauenfussball! Nur so strömen die Leute ins Stadion, und nur so kommt mehr Geld rein. 

Klingt nach einem langen Weg.

Eben nicht zwingend. Nimm England als Beispiel. Das Land hat angefangen, die gleichen Strukturen für die Frauen zu schaffen wie bei den Männern. Sei es beim Ticketing oder bei der Werbung. Zudem arbeiten die Männer- mit den Frauenteams innerhalb eines Vereins zusammen. In England hatten sie damit angefangen, dass Männer und Frauen gemeinsam geworben haben, wenn das neue Saison-Shirt rauskommt. 

Du bist zuversichtlich?

Die Mentalität ist das Problem. Die muss sich ändern.

Verdient ihr im Frauenteam alle gleich? 

In meinem Team gibt es keine grossen Unterschiede. Ich weiss aber, dass der Gap zwischen uns und den ganz grossen Klubs wie etwa Arsenal oder PSG riesig ist. Die verdienen das Zehn- oder sogar Fünfzehnfache wie ich. Heisst: Auch bei uns Frauen sind die Unterschiede gross. Allerdings nicht so enorm wie bei den Männern. Ein Mbappé verdient jährlich geschätzte 45 bis 50 Millionen Euro, Sponsoring-Verträge nicht eingerechnet. Alexandra Popp, die ehemalige deutsche Nationalspielerin, sagte mal in einem Interview, so absurd hohe Summen wolle sie für den Frauenfussball gar nicht. Das unterschreibe ich. Wir Frauen wollen vom Fussball leben können. Aber alles über 100 Millionen im Jahr finde ich zu viel. Das ist nur noch unverschämt. Ich glaube, es müsste eine Limite nach oben geben.  

Themenwechsel: Du nutzt deine Bekanntheit politisch. Du hast 2023 ein Manifest für den Schweizer Frauenfussball mitinitiiert. Ihr fordert darin etwa, dass Frauen gleich hohe Sponsoring-Beträge erhalten sollen wie Männer. Was hat sich bewegt? 

Tatsächlich einiges. Trete ich als Nati-Spielerin auf, erhalte ich inzwischen fürs Sponsoring ähnliche Beträge wie die Männer. Das ist super. Es geht in die richtige Richtung. 

Meriame Terchoun
Trete ich als Nati-Spielerin auf, erhalte ich inzwischen fürs Sponsoring ähnliche Beträge wie die Männer.

Gehen wir einen Schritt weiter. Was bedeutet dir Geld?

Geld ist für mich wichtig, aber es bedeutet mir nicht alles.  

Eine Profikarriere ist zeitlich befristet. Wie bist du finanziell versichert im Falle einer Verletzung?  

Über den Verein.

Wie sorgst du fürs Alter vor?  

Ich habe eine dritte Säule. Und ich habe inzwischen Geld auf der Seite, das ich gerne investieren möchte. Was mich sehr interessiert, sind Immobilien.  

Hast du Aktien?

Da stehe ich am Anfang. Ich informiere mich gerade und eigne mir Wissen an, wie das alles läuft, was man dafür braucht und wo konkret ich gerne investieren würde. (Lacht.) Mir tut sich eine neue Welt auf, die ich sehr spannend finde. 

Haben dir deine Eltern je gesagt, lerne statt Fussballspielen lieber etwas Richtiges, nur schon aus finanziellen Gründen?  

Nein. Meine Eltern wollten immer, dass ich das mache, was ich am liebsten mache. Ich war die Erste, die in der Familie wirklich mal über Geld gesprochen hat.  

Meriame Terchoun
Ich wünsche mir für den Frauenfussball, dass wir gesehen werden. Dass wir ernst genommen werden.

Welche Rolle spielte denn Geld in deiner Erziehung?  

Ich bin mit einer alleinerziehenden Mutter aufgewachsen. Sie hat mich gelehrt, mit Geld umzugehen. Auch oder gerade, wenn es finanziell manchmal eng war. Wir hatten immer genug zu essen, wir hatten immer alles, was wir wirklich brauchten – aber wir konnten uns nicht alles leisten, was wir darüber hinaus manchmal gerne gehabt hätten. Meine Mutter lehrte mich das einfache Leben und das clevere Einkaufen, etwa mittels Aktionen. Das hilft mir bis heute.  

Blicken wir abschliessend in die Zukunft: Was wünschst du dir für den Frauenfussball?  

Dass wir gesehen werden. Dass wir ernst genommen werden. Und dass wir endlich angemessen bezahlt werden für das, was wir leisten.  

Kannst du eine Zahl nennen?  

Nein. Es muss so viel sein, dass man gut davon leben kann, auch mit Familie. Dass man nicht jeden Franken dreimal umdrehen muss und dass Ende Monat noch Geld da ist, um Rechnungen zu bezahlen. Und der Lohn muss so sein, dass man ein bisschen auf die Seite legen kann.