Im Spitzensport wird Höchstleistung gefordert – immer. Selbst wenn Schmerzen den Körper bremsen. Auch während der Menstruation, bei der sich so manche Frau zu Hause verkriechen will.
Zykluswissen kann da zu einem Vorteil werden – vielleicht sogar zum Schutz vor einem Kreuzbandriss, der am meisten gefürchteten Verletzung im Fussball. Zahlreiche Studien belegen, dass Frauen ein höheres Risiko als Männer haben, das vordere Kreuzband zu verletzen. Das schreibt die Unfallversicherung Suva auf Anfrage von ellexx. Einerseits liegt das am weiblichen Körperbau, etwa am breiteren Becken. Oder an der Tatsache, dass Frauen zur X-Bein-Stellung neigen, was die Gefahr verstärkt, das Knie nach innen zu verdrehen.
Andererseits rückt seit einigen Jahren zunehmend in den Fokus, was lange als Tabu galt: welchen Einfluss der Menstruationszyklus auf Verletzungen hat. Jetzt wird auch der Fussball-Weltverband FIFA aktiv. Er finanziert eine Studie mit dem Ziel, herauszufinden, ob hormonelle Schwankungen während des Menstruationszyklus das Risiko von Kreuzbandverletzungen steigern.
In jeder Zyklusphase Höchstleistung bringen
Eine Vorreiterrolle beim Thema Menstruation hat das Schweizer Nationalteam. Seit fünf Jahren trainieren die Profifussballerinnen zyklusorientiert, angestossen von Mélanie Pauli, Athletiktrainerin im Schweizerischen Fussballverband. Wie das funktioniert? «Der Zyklus gibt uns Informationen über das allgemeine Wohlbefinden. Dieses versuchen wir in den vier Bereichen Aktivierung, Erholung, Ernährung sowie mentales Befinden zu optimieren», sagt Pauli.
Dafür erfassen die Spielerinnen ihre Zyklus-Daten in einer App. Pauli beobachtet die Tendenzen und Symptome und entwickelt individuell zugeschnittene Trainingsstrategien. Kurz: «Wenn ich mich wohlfühle, trainiere ich besser», sagt Pauli. Wichtig dafür: «Auf individueller Ebene Lösungen finden, damit die Spielerin im entscheidenden Moment x das Beste aus sich herausholen kann.» Egal, in welcher Zyklusphase sie gerade ist.
Kirsten Legerlotz von der Humboldt-Universität Berlin formuliert es in der ARD so: «Wenn man sich nicht wohlfühlt, kann das dazu führen, dass man vielleicht bei sportlichen Aktivitäten weniger konzentriert ist und sich eher verletzt.» Das sei oft an den ersten beiden Tagen des Zyklus der Fall.
Der weibliche Zyklus dauert rund 28 Tage. Er wird in vier Phasen eingeteilt, welche die körperliche Leistungsfähigkeit beeinflussen. Der Grund: Der Hormonspiegel des Östrogens – es ist für den Muskelaufbau zentral – variiert während eines Zyklus stark. Die Zyklusphase gibt Hinweise, wann der Körper aktiviert und wann er regeneriert werden muss.
- Phase 1: Menstruation (während Blutung)
- Phase 2: Follikelphase (vor Eisprung)
- Phase 3: Ovulationsphase (Eisprung)
- Phase 4: Lutealphase (nach Eisprung)
Dem Körper in jeder Zyklusphase das geben, was er gerade braucht: klingt gut. Doch was heisst das konkret? Dazu sagt Nati-Spielerin Meriame Terchoun: «Ich passe jedes Warm-up, jedes Training und jedes Spiel individuell meinem Zyklus an.» Aus der Wissenschaft wisse man, dass man kurz vor und während der Blutung immobiler ist. Die Bänder würden lockerer. «Je nach Phase dehne ich mehr, oder aber ich brauche mehr Stabilität, muss meine Muskeln durch bestimmte Übungen besser vorbereiten.» Weiter schont sich Terchoun vor der Menstruation. «Beispielsweise beim Krafttraining mache ich ein oder zwei Wiederholungen weniger. Das Gleiche gilt auf dem Platz: Beim Training oder im Spiel mache ich einen Block weniger.»
Und das bringt etwas? Terchoun bejaht: «So konnte ich viele meiner prämenstruellen Symptome senken. Mir geht es merklich besser. Ich fühle mich gesünder.» Terchoun, die bereits drei Kreuzbandrisse erlitten hat, weiss, wovon sie spricht.
Und was, wenn Terchoun genau an einem wichtigen Spiel ihre Menstruation bekommt? «Klar, idealerweise befinde ich mich an einem wichtigen Spiel rund um den Eisprung.» Im zyklusorientierten Training gehe es aber eben genau darum, «dass ich, egal in welcher Zyklusphase, meine beste Leistung bringen kann und mich nicht überreize».
Terchoun betont zudem, wie wichtig die Ernährung sei: «Mein Lieblingsbeispiel: Kaffee. Den liebe ich!» Sie habe prämenstruell jedoch stets unter starken Kopfschmerzen gelitten, «richtig migränemässig». Heute wisse sie: Vor und während der Periode entzündet sich der Körper. Konsumiere sie entzündungsfördernde Stoffe wie eben Kaffee, verschlimmere sich das. «Seit ich vor der Menstruation keinen Kaffee mehr trinke, haben die Schmerzen aufgehört – zack, von einem Zyklus zum anderen.» Stattdessen esse sie in dieser Phase oft Kiwi, Ananas oder Spinat, da diese entzündungshemmend seien.
Deutlicher Handlungsbedarf bei Clubs und Ligen
Auch Nati-Captain und Arsenal-Spielerin Lia Wälti zeigt sich offen für das zyklusorientierte Training. «Ob das Tracken mir persönlich etwas bringt, finde ich schwierig abzuschätzen», sagt sie. Wälti habe aber auch das Glück, weder Schmerzen noch zyklusbedingte extreme Leistungsschwankungen zu erleiden. Auch sie betont, wie weit die Nati bei dieser Trainingsmethode wissenschaftlich bereits sei, im Gegensatz zu den meisten Clubs. «Bei Arsenal etwa wird der Zyklus zwar ebenfalls getrackt, das Training selber aber kaum darauf abgestimmt.»
Handlungsbedarf bei den Clubs und Ligen sieht auch Wältis Nati-Kollegin Terchoun. Es gebe noch viele Vereine, die überhaupt nicht auf den Zyklus achteten. Dabei wäre das laut Terchoun ein Muss. Warum? «Ich bin überzeugt, dass sich dadurch Verletzungen verhindern lassen.» Noch immer seien es vor allem männliche Trainer, die sich mit der Integration des Zyklus schwer täten. «Zum Glück gibt es zunehmend mehr Trainer:innen, die zyklusgerechtes Training anwenden.»
Steigt die Leistung oder nicht?
Zeit für eine Bilanz: Verbesserte sich die Leistung der Spielerinnen dank des zyklusorientierten Trainings? Athletiktrainerin Mélanie Pauli relativiert: «Das werden wir nie spezifisch auf das zyklusorientierte Training herunterbrechen können, weil Leistung immer multifaktoriell ist.» Pauli sieht die Nati auf gutem Weg: «Das körperliche und mentale Wohlbefinden hat einen Impact auf die Leistung.»
Noch vor fünf Jahren sei es nur schon neu gewesen, die Menstruation und die damit verbundenen Hormonschwankungen überhaupt ins Training zu integrieren. Heute zeigten sich auch FIFA, UEFA und die Verbände zunehmend daran interessiert.
Bleibt die Frage nach den Herausforderungen für die Zukunft. Dazu Pauli: «Den Zyklus zu betrachten und zu tracken, um das Wohlbefinden der Athletinnen zu steigern und dadurch ihr Training zu optimieren, muss eine Selbstverständlichkeit werden.»
Der Weg dahin: weiter darüber sprechen, die Prinzipien verstehen und die Symptome genau überwachen. Die Erkenntnisse müssten zudem breiter und stufengerecht angewendet werden, auch in den U-Nationalteams – und im Breitensport. Pauli betont: «Das Wissen muss sich nun auch in der Trainer:innen-Ausbildung verbreiten.» Das sei klar die nächste Challenge.
