«Wenn dein Magen knurrt, dann applaudiert er dir.»
«Du brauchst einen Leckerbissen? WTF bist du? Ein Hund? Genau.»
Solche «Motivationssprüche» zum Abnehmen gehen auf TikTok unter #SkinnyTok viral.
Der Trend ist jetzt ins Visier der Politik geraten. Regierungsmitglieder aus Frankreich und Belgien arbeiten mit der EU-Kommission zusammen, um das mögliche Risiko von #SkinnyTok für die öffentliche Gesundheit zu untersuchen. In Frankreich lancierte eine auf Essstörungen spezialisierte Pflegefachfrau die Petition «Stop Skinnytok» und übergab diese dem Ministerium für digitale Medien.
TikTok hat Anfang Juni auf den politischen Druck reagiert und die Suche nach #SkinnyTok blockiert.
Bei #SkinnyTok preisen mehrheitlich junge Frauen die Size Zero, die kleinste Kleidergrösse, als Schönheitsideal an. Frauen mit dünnen Körpern zeigen in ihren Videos, was sie an einem Tag essen.
Tippt man #SkinnyTok in die Suchleiste ein, erscheint neu ein Warnhinweis und ein Aufruf, sich bei Fragen zu Körper oder Essen Hilfe zu holen. Bei den länderspezifischen Hilfsangeboten stehen nur wenige Länder zur Auswahl – die Schweiz suche ich vergebens.
Das ist weder ein Verbot, wie einige Medien suggerierten, noch werden die Videos durch die «Sperre» tatsächlich blockiert. Die #SkinnyTok-Inhalte existieren nach wie vor, werden eingespielt und sind über andere Suchwörter wie #Skinny weiterhin auffindbar.
Selbst wenn die Massnahme von den Gegner:innen des Trends als erster Erfolg gefeiert wird, ändert sie nichts daran, dass täglich junge Menschen auf TikTok mit problematischen Inhalten konfrontiert sind. Diese symbolische Sperre scheint für mich wie eine Ablenkung von den problematischen Aspekten der App. Diese sollten wir uns weiterhin vor Augen halten – in der Politik sowie im eigenen Nutzungsverhalten.
Wenn ich durch #SkinnyTok scrolle, dünkt es mich, als hätte die Bewegung für mehr Selbstliebe und diverse Körperbilder nie stattgefunden. Bestürzt frage ich mich: Was ist aus Body Positivity geworden?
Vor ein paar Jahren hiess es, wir Frauen müssten unsere Körper bedingungslos lieben. Body Positivity begann als Befreiungsbewegung in den 1960er-Jahren in den USA. Die Strömung setzte sich ein gegen die strukturelle Benachteiligung von mehrgewichtigen Körpern und für Akzeptanz unabhängig der Körpermasse.
Mit dem Motto «Nichts schmeckt so gut, wie es sich anfühlt, dünn zu sein» sorgte Supermodel Kate Moss 2009 für Entrüstung. Ein Shitstorm folgte einige Jahre später, als die wachsende Body Positivity-Bewegung mit den sozialen Medien wieder an Aufschwung gewann.
Bringt #SkinnyTok zurück, was nie weg war?
Nun scheint der Trend zum positiven Körperbild rückläufig, Modemarken präsentieren ihre Mode wieder fast ausschliesslich an sehr dünnen Körpern. Goodbye Body Positivity, welcome back Heroin Chic?
Tiktok spielt vor allem jungen Frauen Videos mit Abnehmtipps und Aufrufen zum Hungern ein – so bin auch ich auf #SkinnyTok gestossen. Die Grenzen zu einer Essstörung sind fliessend, und das finde ich gefährlich am Trend. Mir ist wichtig zu betonen: Eine Essstörung ist eine schwere Krankheit, und sie gehört zu den Krankheiten mit den höchsten Mortalitätsraten.
Auch die Body-Positivity-Bewegung fand ich zweischneidig, sie fühlte sich für mich an wie eine Verpflichtung, alles an sich toll finden und neben dem gewölbten Unterbauch auch die Pickel und das überdimensionierte Muttermal lieben zu müssen.
Da kam die Rückwärtsbewegung als Erleichterung. Endlich konnte man wieder offen sagen, dass man dünn sein möchte, ohne dafür angegangen zu werden. Der Wunsch nach dem Dünnsein war nicht bei allen weg, er wurde einfach übertönt – was für mich logisch erscheint, da uns seit Jahrzehnten eingeredet wird, dass dünn gleich schön ist. #SkinnyTok treibt es nun ins andere Extrem.
Schönheitsideale made by MAGA
Dabei fällt mir auf: Der Trend zum Dünnsein passt ins aktuelle politische Klima. Während rechtskonservative Kräfte erstarken und punkto Frauenrechte und LGBT+ eine Zeitreise in die Vergangenheit stattfindet, ruft man Frauen dazu auf, weniger Platz einzunehmen.
Der konservative Look, der Abnehmspritzen-Boom, der Hype um Tradwives und der zunehmende Trend zur Selbstoptimierung finden statt, während Donald Trumps MAGA-Bewegung erstarkt. Trump wertet Frauen für ihr Aussehen und ihr Gewicht ab und redet sie klein. #SkinnyTok liefert nun die Ästhetik dazu und versucht, uns auch physisch klein zu machen.
Wo hört die Selbstbestimmung über die eigene Figur auf – und wo beginnt die fremdbestimmte Kontrolle des weiblichen Körpers, nur neu verpackt? Diese Grenze verschwimmt für mich zunehmend.
Ich bin der Meinung: Die aktuellen Trends und «Ideale» für Frauen sind kein Zufall, sondern Teil des konservativen Frauenbilds. Wir investieren Zeit und Energie, um dem «Ideal» zu entsprechen – die Ressourcen fehlen uns Frauen dann anderswo. Etwa beim Einsatz für unsere Rechte, welche von den gleichen Kräften untergraben werden. Diese Tendenz beunruhigt mich und ich stelle mir die Frage, wo sie uns punkto Gleichberechtigung in den nächsten Jahren hinführen wird.
Ich kann jede Person verstehen, die den Schönheitsnormen entsprechen möchte. Ich will den Faktor des Aussehens nicht kleinreden. Es ist bewiesen: Pretty Privilege ist real und normschöne Menschen haben es leichter im Leben.
Mein Körper, nicht euer Trend
Ich habe es satt, dass öffentliche Debatten über die Körper von uns Frauen geführt werden.
Aus diesen Gründen kann ich mich weder mit Body Positivity noch mit #SkinnyTok identifizieren. So scheint es einigen zu gehen, sodass mittlerweile die Bewegung zur Body Neutrality entstanden ist. Diese möchte den Fokus von unseren Körpern wegbringen und plädiert dafür, dass wir unsere Körper weder lieben noch hassen müssen, sondern sie akzeptieren dürfen.
Mein Körper ist mein Zuhause. Er war es, bevor es TikTok gab und wird es hoffentlich noch lange bleiben. Solange mein Körper gesund ist und mir jeden Tag ermöglicht, meinen Alltag zu leben, Erfahrungen zu sammeln und Erinnerungen zu schaffen, ist das eine beachtliche Leistung. Unser Körper ist zum Leben da – und nicht, um irgendwelchen Trends hinterher zu eifern, die sich sowieso alle paar Jahre ändern.
- Telefon 147 von Pro Juventute für Kinder und Jugendliche
- Telefon 143 Dargebotene Hand für Erwachsene
- Fachstelle beim Inselspital Bern
- Sprechstunde Essstörungen USZ
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