Wer sich eine kleine, düstere Schriftstellerinnenkammer vorgestellt hat, liegt falsch. Federica de Cesco wohnt in einer modernen, lichtdurchfluteten Wohnung, mitten in der Stadt Luzern. Sie führt den Besuch ins Wohnzimmer, zeigt auf das braune Sofa und macht es sich darin bequem. Ihr Mann serviert Tee mit Milch. «Er hat mich aus der Küche geschmissen», erklärt de Cesco heiter. Und fügt schulterzuckend hinzu: «Schreiben ist das einzige, was ich kann. Ich bin strohdumm in anderen Sachen.»

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Mit gerade mal 15 Jahren hat Federica de Cesco ihr erstes Buch «Der rote Seidenschal» veröffentlicht. Die heute 87-jährige Autorin hat sich mit ihren inzwischen über 100 Büchern einen Namen gemacht. Im Februar erschien ihr neuestes Buch «Die Freiheit der Puppen». (ata)

Kein Unterschied zwischen starken und normalen Frauen

Bekannt ist de Cesco vor allem für die «starken» Frauenfiguren in ihren Büchern. Sie schreibt über Frauen, die tun, was sie wollen, und die sich nicht von gesellschaftlichen Erwartungen einschüchtern lassen. 

Vom Begriff «starke» Frauen will de Cesco aber nichts hören. Sie sagt: «Eine Frau explizit als stark zu beschreiben impliziert, dass Frauen normalerweise schwach sind. Und das stimmt nicht.» Eine Frau, die gesellschaftlich als rebellisch oder stark verstanden wird, ist für de Cesco einfach eine normale Frau. «Denn Frauen sind von Natur aus stark.»

Federica de Cesco
Bei den Amis kommt immer der rettende Mann. Das geht mir auf die Nerven.

Deshalb mag sie japanische Mangas lieber als US-amerikanische Heldengeschichten. «Mangas sind gar nicht so übel. Da gibt es Heldinnen, die sich selbst befreien und Jungen retten.» Im Gegensatz zu den amerikanischen Geschichten: «Bei den Amis kommt immer der rettende Mann. Superman und so weiter. Das geht mir auf die Nerven.» 

Frauen- versus Männerfiguren

Die Männer von de Cescos Büchern sind anders gestrickt. «Wovor ich mich seit je gehütet habe, sind langweilige Männer», sagt sie. Abseits von starren Geschlechterrollen konzipiert sie Männer, die den Frauen als Persönlichkeiten ebenbürtig sind. Und doch: «Attraktiv müssen sie sein. Sonst interessiert es die Leserinnen nicht.» Sie schmunzelt.

Männerfiguren interessieren de Cesco eigentlich mehr als Frauen, sagt sie und nippt an ihrem Tee. Ein paar Momente lang ist es still, auch von draussen dringt kein Ton in die Stube. «Aber meine Bücher über Männer verkaufen sich nicht», sagt sie und meint damit «Die neunte Sonne». Die Hauptfigur, ein Deutscher, gerät im zweiten Weltkrieg in japanische Gefangenschaft. Er lernt dort einen Samurai, einen japanischen Krieger, kennen und beschliesst am Ende, in Japan zu bleiben. «Der Deutsche ist nicht gerade sympathisch, und für den alten Samurai haben sich die Leser:innen wohl nicht interessiert», meint de Cesco dazu. «Ein junger Samurai wäre vielleicht besser angekommen bei den Leser:innen.» 

In den meisten ihrer Bücher geht es also um Frauen. Halb schmunzelt sie, halb seufzt sie: «Gerade junge Frauen brauchen Heldinnenfiguren als Vorbilder.» Das war schon so, als de Cesco ein Teenager war und die Mädchen Bücher nur abends unter der Decke mit Taschenlampen lesen durften. Weil: Lesen, das war damals nichts für Mädchen. Und vielleicht auch gerade deswegen schrieb de Cesco über Mädchen, die Hosen trugen und durch die Wüste ritten. Frei. Unabhängig. Wild. Oder, wie de Cesco sagt, eben: «Einfach normal.» Das war vor 50 Jahren. Aktuell schreibt sie Bücher für Erwachsene, mit erwachsenen Hauptfiguren. Auch diese Protagonistinnen lassen sich von der Gesellschaft nichts vorschreiben – sei es eine Heldin mit mehreren Liebhabern oder eine Protagonistin im Kreuzfeuer politischer Meinungen.

Politisch, resigniert und inspiriert

Federica de Cesco weiss genau, wie sie sich die Welt wünscht – und dass sie als Einzelperson daran nicht allzu viel verändern kann, wie sie sagt. Sie erwähnt die Abholzung des Regenwaldes oder die noch immer stereotypen Geschlechterrollen: Sie sei zwar politisch, das durchaus, «aber verbunden mit einer gewissen Resignation». Das, was de Cesco sich wünscht, lässt sie die Figuren ihrer Bücher vorleben – auch wenn sie sich die Bösewichte der realen Welt am liebsten eigenhändig «mit oder ohne Gewalt» vorknöpfen würde.

Federica de Cesco
Ändere das, was du ändern kannst, wisse, was du nicht ändern kannst, und sieh den Unterschied.

In de Cescos neuestem Buch «Die Freiheit der Puppen» geht es um eine Juristin und um die Frage nach Wahrheit und Gerechtigkeit. Federica de Cesco findet: «Für Männer, die gezielt Frauen auf Grund ihres Geschlechtes ermorden und die erwiesen schuldig sind, sollte es vor Gericht keine Nachsicht geben. Denn es besteht eine Chance, dass sie es nochmal tun.» Diese Ansicht hat sie in ihr Buch aufgenommen. Aufgewachsen ist die Hauptperson während der Kuba-Krise. Um ihre Gedanken äussern zu dürfen, erfindet die Hauptfigur als Mädchen zwei imaginäre Freunde. Als erwachsene Frau wird sie zuerst Juristin, hat aber irgendwann keine Lust mehr, Verbrecher zu verteidigen. Also wird sie Puppenspielerin und spielt mit ihren zwei imaginären Figuren Satire-Stücke über den Krieg. Sie bekommt so eine Bühne, um ihre Wahrheit zu erzählen – und macht sich Feinde.

Wenn de Cesco politisch auch hin und wieder zu resignieren droht, weiss sie doch, dass ihre Bücher etwas verändert haben. Und noch immer verändern. «Es sind schon ältere Damen auf mich zugekommen und haben mir erzählt, sie hätten den ‹Roten Seidenschal› so gerne gelesen.» Das gebe ihr Hoffnung, erzählt sie in ihrem Daheim. Sie akzeptiert aber auch, dass sie die Welt nicht auf den Kopf stellen kann. «Ändere das, was du ändern kannst, wisse, was du nicht ändern kannst, und sieh den Unterschied», das ist ihr Motto. 

«Die Freiheit der Puppen» liegt mitten auf dem hölzernen Wohnzimmertisch, daneben zwei kleine Holztabletts mit dem Tee. Bald wird de Cesco ihr nächstes Buch schreiben. Ideen dafür hat sie genug.