Video-Anruf in die Räumlichkeiten einer Berner Paarberatung. Hier ergründet Mario Mutzner zusammen mit seiner Partnerin andere Paare – ein Konzept, das auf Anklang stösst.

Mutzner scheint guter Laune, auch wenn er zu Beginn den Männerfragen gegenüber etwas skeptisch wirkt. Kein Wunder, denn in dem Format fragen wir Männer, was sonst nur Frauen gefragt werden. Das Ziel: Stereotypen erkennen, Toxizität entlarven.

Mutzners Zweifel verfliegen schnell – und schon befinden wir uns mitten in einer Diskussion über Geschlechterunterschiede: warum wir diese bewerten und welche Nöte uns alle plagen.

Du und deine Partnerin beratet als Paar andere Paare. Bist du als Mann zyklisch bedingt zu unausgeglichen für eine Beratung alleine mit einem Paar?

(Stutzt kurz.) Ähhh, nein. Wir sind zu zweit, da wir uns sehr gut ergänzen. Ein Vorteil ist, dass wir uns bei überfordernden Situationen unterstützen können. Wenn der eine nicht mehr weiter weiss, weiss es die andere, und umgekehrt.

Männlich bescheiden, gleich zu Beginn eigene Überforderungen zuzugeben …

Gell. (Grinst.)

Führst du die Paarberatung mit Gefühl, und deine Partnerin ist die lösungsorientierte?

Das ist unterschiedlich. Grundsätzlich: Wir sind beide selten an Lösungen interessiert. 

Wie bitte?

Das Problem an Lösungen ist, dass sie unter Umständen zu keiner Entwicklung mehr führen, weil ja vermeintlich etwas gelöst wird. Das verursacht das Gefühl, es sei nicht mehr nötig, sich mit einem tiefer liegenden emotionalen Thema auseinandersetzen zu müssen. 

Mario Mutzner
Offenbar habe ich mit Männern weniger schlechte Erfahrungen gemacht in meinem Leben als mit Frauen. 

Du bietest auch Einzelberatungen an, aber nur für Männer. Weil du das eigene Geschlecht besser verstehst?

Ich denke schon. Ich habe gemerkt, dass ich Gefahr laufe, mich zu verkrampfen, wenn ich mit Frauen arbeite. Ich habe zehn Jahre mit vorwiegend männlichen Straftätern gearbeitet, und das sehr gerne. Bedroht fühlte ich mich nie. Mit Männern arbeite ich schlicht entspannter. Ein hohes Gut in der Beratung ist, die Verbindung mit sich selber nicht zu verlieren. Diese Gefahr habe ich bei Frauen eher. Offenbar habe ich mit Männern weniger schlechte Erfahrungen gemacht in meinem Leben als mit Frauen. 

Du solidarisierst dich als Mann eher mit dem Klienten? 

Nein, das würde ich so nicht sagen. Ich versuche, mich nicht zu solidarisieren. 

Du fühlst mit dem Mann mit?

Das auf alle Fälle. Mitgefühl zu entwickeln ist gut. Ich denke, in Männer kann ich mich besser einfühlen, weil mir ihre Gefühlswelten näher sind.

Was, wenn dir ein Teil des Paares sympathischer ist?

Das ist kein Problem. Es kommt relativ selten vor. Das ist der professionelle Anspruch an mich: Dass ich dann kurz in mir überprüfe, was der Grund dafür ist. 

Mario Mutzner
Ich mag Geschlechterklischees gar nicht.

Aufgrund deiner Beratungserfahrung: Wo unterscheiden sich die Geschlechter?

Es wäre mir zu einfach, das festzulegen. Ich stelle jedoch fest: Männer haben tendenziell nicht den gleichen Zugang zu ihren Gefühlen. Sie haben sehr wohl Gefühle, aber sie finden die Sprache dazu nicht immer. Darin sind Frauen besser. Ansonsten aber mag ich Geschlechterklischees gar nicht. Ich finde, die Unterschiede zwischen den Menschen sind auch gar nicht so gross. Die Not und die Bedürfnisse der Männer sind ähnlich wie die der Frauen: Sie wollen gesehen werden. Sie wollen geliebt werden. Sie wollen Verständnis. Nicht streiten. Glücklich sein. 

Eigentlich wäre es einfach?

Ich möchte damit nicht sagen, dass es keine Unterschiede gibt. Vielleicht können Männer besser seitlich einparkieren und  Frauen besser zuhören. Was weiss ich. Die Frage aber ist doch: Warum bewerten wir das? 

Lass uns einen Schritt weitergehen. Du bist ein wahrer Powerman – Vater inklusive eigener Praxis. Wie bringst du Beruf und Familie unter einen Hut?

Meine drei Kinder sind mittlerweile erwachsen und ausgeflogen. Ich bin ja schon Grossvater. 

Dann frage ich anders: Wie war es, als die Kinder klein waren?

Das frage ich mich manchmal auch. (Lehnt sich im Stuhl zurück. Seufzt.) Am schlimmsten war es nach der Trennung von ihrer Mutter: Ich arbeitete teilweise 80 Prozent und hatte die Kinder zeitweise mehr als die Hälfte der Zeit. (Seufzt nochmals. Denkt nach.) Ich war damals jung, das hat sicher geholfen. Ich habe einfach funktioniert – auf Autopilot. Ich ticke als Mensch nach dem Motto: Wenn es muss, muss es. Ich denke aber schon manchmal, heute könnte ich das alles nicht mehr. 

Was ist dir wichtiger, Job oder Familie?

Also … Die Familie kommt immer zuerst. Aber ich kann mich erinnern, ich war immer in einem Loyalitätskonflikt. Ich wollte es allen recht machen. 

So ergeht es ja den meisten Vätern wegen ihrer (Teilzeit-)Bezahlarbeit.

(Atmet hörbar aus.) Ich habe sehr viele feminine Anteile in mir, glaube ich. Es ist noch heute so, dass ich meine Kinder nicht so gut loslassen kann. Übernachtete mal wieder ein Kind bei mir, auch als es längst erwachsen war, und es war nachts noch nicht vom Ausgang zurück, machte ich mir Sorgen. Ich kann das nicht so gut ausschalten.  

Ja … Elternschaft macht verletzlich.

Ja, da ist und bleibt man verhängt. Mit tiefer, emotionaler Bindung.

Mario Mutzner
Vieles, was unter dem Stichwort «Coaching» angeboten wird, ist eine Katastrophe. Aber klar, mir hilft der Boom natürlich.

Anderes Thema: Coaching erlebt einen Boom. Ist Selbstoptimierung die neue Kirche?

Phu, eine grosse Frage. Ich weiss es nicht. Vieles, was unter dem Stichwort «Coaching» angeboten wird, ist eine Katastrophe. Aber klar, mir hilft der Boom natürlich. (Lacht, wird wieder ernst.) Was mir auffällt: Junge Menschen interessiert es mehr, sich selbst zu erkennen. Die Generation zwischen 15 und 35 ist im Vergleich zu meiner Generation einen Schritt weiter, sie sind sich selber viel bewusster. Das finde ich bewundernswert. 

Warum sollte jemand zu dir in die Paarberatung kommen und nicht in eine Paartherapie gehen?

Der Unterschied ist fliessend. Der Hauptunterschied ist, dass ich nicht Psychologie studiert habe, sondern Soziale Arbeit. Ich darf mich nicht Therapeut nennen. Meine Partnerin und ich arbeiten aber auch mit therapeutischen Elementen. Unser Anspruch ist es, einen sicheren, freundlichen und mitfühlenden Raum mit einer empathischen und professionellen Beratung zu bieten. Wir sind für lange Zeit ausgebucht. Das werte ich als Zeichen, dass wir wahrscheinlich etwas richtig machen.

Dass ihr als Paar beratet, ist euer Alleinstellungsmerkmal. 

Ja, das sagen uns viele Paare, dass sie das mögen. Ich möchte nochmals betonen: Mich nimmt das innere Leben von Menschen wunder. Unabhängig vom Geschlecht.


Du bist Mitte 50. Merkst du dein fortgeschrittenes Alter? 

Ich habe inzwischen kleine «Gebresten». Nicht schlimm, aber halt doch da. Zum Beispiel Bluthochdruck. Teilweise plötzlich irgendwelche Schmerzen irgendwo im Körper. Allgemein weniger Energie. Ich glaube, dass auch Männer durchaus eine Veränderung durchmachen, wenn sie sensibel genug sind, diese wahrzunehmen.

Du sprichst von der Andropause?

Ich würde das nie mit den hormonellen Veränderungen bei Frauen gleichsetzen. Und doch merke ich sie. Kürzlich bin ich umgezogen, und ich war  noch tage-, ja wochenlang total ausgelaugt, nicht nur körperlich, sondern auch mental. Früher steckte ich das locker weg. Ich werde dummerweise nicht älter und weiser. Ich werde älter und empfindlicher. 

Leidest du unter dem Altern?

Nicht in dem Sinne, dass es mich belastet, nein. Männer über 50 verlieren Testosteron. Das ist ein Hormon, das nicht nur mit sexueller Energie zu tun hat, sondern ganz allgemein mit Energie. Früher war ich beispielsweise immer gerne unter Menschen. Hatte bei der Arbeit gerne ein Team. Heute bleibe ich oft lieber für mich, suche die Ruhe. Der Vorteil des Alters: Ich lebe heute viel bewusster und bin mir meinen lästigen Muster und Gewohnheiten viel vertrauter. (Lacht.) Das ist ein wunderschöner Vorteil des Alters. Ich möchte keinen Tag jünger sein. 

Mario Mutzner
Mir ist ein gepflegtes Aussehen wichtig, nicht nur für die Klient:innen, auch für mich.

Kommen die Klient:innen eigentlich wegen deines Aussehens zu dir in die Paarberatung?

Das müsste ich sie fragen. Aber ich habe starke Zweifel, dass es daran liegt.

Worauf achtest du optisch, damit die Leute wissen, der hat auch was im Kopf?

Habe ich was im Kopf?

Ah, Tiefstapeln, total männlich.

Ist das so?

Das war ironisch. 

Ah, dachte ich es mir doch. Zurück zur Frage: Mir ist ein gepflegtes Aussehen wichtig, nicht nur für die Klient:innen, auch für mich. Ich versuche, mich so zu kleiden, dass ich – hoffentlich – eine gewisse Kompetenz ausstrahle.

Viele Männer sagen für dieses Interviewformat ab. Warum wohl?

Vielleicht wirkt das Format bedrohlich, vielleicht bekommen manche Männer Angst vor zu viel Konfrontation? Vor zu vielen Gefühlsthemen, davor, zu viel Persönliches verraten zu müssen?

Was gab dir den Mut, mitzumachen?

Dazu brauchte ich keinen Mut. Aber ich musste kurz überlegen, ob ich mich in der Öffentlichkeit blossstellen möchte mit Persönlichem. Dann dachte ich, Mitmachen ist interessant, und Männer sollten sich diese Fragen gefallen lassen. Plus Werbung für unsere Praxis.

Und wie wars?

(Zögerlich.) Gut. 

War das eine Frage?

Jein. Ich nerve mich ab mir selbst, weil ich so offen war. Ich hatte mir vorgenommen, nicht zu persönlich zu werden, da man verletzlich wird. Tja, hat semigut geklappt. (Lacht.) Aber ich fühlte mich bei dir sicher und gut aufgehoben, daher gut.