Heute ist der 1. Mai. Der Tag der Arbeit. Für mich die optimale Gelegenheit, um hier über jene Arbeit zu schreiben, die noch viel zu oft im Verborgenen bleibt und wohl genauso häufig nicht als solche anerkannt wird. Es geht um Care-Arbeit. Bei dem Thema kann ich mich unglaublich schnell in Rage reden und schreiben. Ideale Voraussetzungen also für eine Botschaft zum 1. Mai, die hoffentlich sitzt.
Warum ich bei dem Thema nicht entspannt bleiben kann? Ganz einfach: Weil noch immer zu vielen die Bedeutung dieser Sache nicht klar ist. Wir behandeln Care-Arbeit wie ein Nice to have. Eine Nebensächlichkeit. Ihren Platz in der Gesellschaft haben uns Patriarchat und Kapitalismus eingebläut: Erwerbsarbeit steht oben auf der Rangliste der relevanten Tätigkeiten, Care-Arbeit unten.
Unser System wertet Sorgearbeit und jene, die sie leisten, ab. Das zeigt sich nur schon daran, dass Care-Arbeit oft unsichtbar ist. Sie wird still geleistet und gratis erledigt, im Privaten, an den Peripherien unseres Alltags, und natürlich meist von Frauen. Übrigens eine ziemlich geschickte Strategie des Patriarchats, uns Frauen kleinzuhalten.
Den roten Teppich rollen wir hingegen aus für die Erwerbsarbeit. Ihr widmen wir achteinhalb Stunden täglich, fünf Tage die Woche, 47 Wochen im Jahr während rund vier Jahrzehnten unseres Lebens. Oft stolz. Unser gesamtes Dasein organisieren wir rund um diese Arbeit. Die Schule bereitet uns schon als Kind darauf vor, uns dereinst nützlich zu machen, und im Alter hängen wir am Tropf dieser Nützlichkeit. Erwerbsarbeit ist sichtbar, präsent und identitätsstiftend und nicht selten männlich dominiert. Im besten Fall bringt sie Lob, Anerkennung und Geld. In der Regel erhält man von alledem übrigens umso mehr, je weiter weg die Tätigkeit vom Care-Sektor liegt und natürlich je höher man sitzt.
Die unbezahlte Sorgearbeit ist in unserem System die ungeliebte Randfigur. Auch, weil sie sich nicht fügt und nicht nach den Spielregeln des Marktes funktioniert: Die Pflege betagter Angehöriger lässt sich nicht skalieren, und es gibt keine Methode, Kinder effizienter zu betreuen oder zu erziehen. Und was tut unser System mit Dingen, die es nicht einordnen kann? Richtig, es belächelt sie, redet sie klein oder ignoriert sie einfach. Diese Strategie hat bisher vermeintlich ganz gut funktioniert. Bald wird sie uns um die Ohren fliegen.
Care-Arbeit ist mehr als Betreuung und Pflege – ohne diese abzuwerten. Care-Arbeit bedeutet, sich zu kümmern um unser Zusammenleben und unsere Werte. Es bedeutet, Beziehungen zu anderen Menschen zu pflegen, seien es Freund:innen, Familie oder Nachbar:innen. Sich zu engagieren, im Quartierverein, im Sportclub, in einer Partei, für Schwächere oder die Umwelt. Kümmern heisst auch, sich mit den Grundlagen unserer heutigen und künftigen Gesellschaft zu befassen, indem wir uns mit politischen Prozessen auseinandersetzen, versuchen, unterschiedliche Positionen zu verstehen und unsere Rechte nutzen. Und schliesslich bedeutet Kümmern, dass wir uns um uns selbst sorgen, um unsere körperliche und psychische Gesundheit und die unserer Mitmenschen.
Kümmern ist kein Nebenprodukt. Es ist die Grundlage unseres Zusammenlebens. Kümmern ist der Kitt unserer Gesellschaft!
Und aktuell bröckelt dieser Kitt. An manchen Stellen ganz sichtbar. Dort, wo wir nicht mehr genügend Menschen finden, die in Krankenhäusern, Alters- und Pflegeheimen, Kitas, Schulen und Kindergärten arbeiten möchten. Und an manchen Stellen bricht er leise, aber spürbar auf. Wenn uns Studien zeigen, dass sich immer mehr Menschen einsam fühlen, unter immer mehr Druck stehen oder immer häufiger psychisch erkranken. Oder wenn sich mehr und mehr Menschen extremen politischen Ideen zuwenden, weil sie sich abgehängt und vergessen fühlen.
Was wir dagegen tun können? Care-Arbeit braucht endlich Aufmerksamkeit, Zeit, Wertschätzung und finanzielle Mittel. Wir müssen verstehen, dass das Kümmern uns als Gesellschaft ausmacht, und uns dementsprechend verhalten. Wir brauchen eine tiefere Erwerbsarbeitszeit, Systeme, die dafür sorgen, dass Kinderbetreuung und Angehörigenpflege uns nicht arm machen, und angemessene Löhne für all jene, die berufliche Sorgearbeit leisten. Das Kümmern muss im Alltag sichtbar sein und Platz haben – zeitlich wie inhaltlich. Es muss von Männern und Frauen gleichermassen geleistet werden und verdient Respekt und Anerkennung. Der Umgang mit Care-Arbeit gehört oben auf die politische Agenda, die Diskussion darüber in die Mitte unserer Gesellschaft.
Wir müssen uns um das Fundament unseres Zusammenlebens kümmern. Und zwar jetzt!
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