Dass wir im Patriarchat leben, ist leider nicht neu. Wie dieses unser Leben aber bestimmt, ist mir vor Kurzem erst wieder bewusst geworden. Diesmal demonstrierte mir das Patriarchat seine Macht in der Banalität des Alltags. Drei Erlebnisse.
1. Vor Kurzem hatte ich einen geschäftlichen Termin. Ein Interview mit zwei Unternehmern, beide Männer um die 60. Das Gespräch war professionell, die Stimmung entspannt. Nach 20 Minuten war alles gesagt. Da ich keine Visitenkarten besitze, notierte ich zum Abschluss meine E-Mail-Adresse auf ein Blatt Papier. Während ich schrieb, schaute einer der beiden auf meine Hand und sagte: «Interessanter Nagellack.» Ich lächelte und antwortete leicht beschämt: «Ja, und schon am Abblättern.»
2. Vor einigen Tagen erhielten wir die neuen Stundenpläne unserer Kinder. Mein Partner und ich versuchten, die Fremdbetreuung möglichst geschickt mit unseren Erwerbspensen von 80 und 70 Prozent zu kombinieren: Betreuungs-Tetris mit Stundenplänen, Jobs, Betreuungsmodulen und unser beider Bedürfnis nach Zeit mit den Kindern. Am Ende entscheiden wir uns für zweimal pro Woche ausserschulische Betreuung bis abends und einmal Mittagsbetreuung an einem Tag, an dem nachmittags Schule ist. Bilanz: Die Kinder verbringen einen Mittag mehr im Hort als bisher, und ich – und nur ich – habe ein schlechtes Gewissen. Ich fühle mich dafür verantwortlich, obwohl das niemand sagt, weder direkt noch indirekt.
3. Mittwochabend, zirka 23 Uhr: Ich fuhr mit dem Tram von einem Abendessen nach Hause. Als ich bei meiner Haltestelle ausstieg, war ich – wie meist – nicht alleine. Und wie immer warf ich einen prüfenden Blick in ein Schaufenster, um in der Spiegelung zu checken, wer hinter mir geht. Einige Meter später, an der roten Ampel, sprach mich der Mann, der hinter mir ging, an: «Hey du», sagte er leicht aggressiv und fuhr fort: «Ich habe deinen Blick beobachtet und deine Angst förmlich gespürt. Weisst du eigentlich, wie unangenehm das für uns Männer ist, dass ihr Frauen uns ständig das Gefühl gebt, wir seien alle Täter?!» Ich war baff, schaffte aber zu sagen: «Naja, immerhin wärst du der Täter. Für mich als Opfer wäre es wohl deutlich unangenehmer.» Wir überquerten die Strasse und gingen in unterschiedliche Richtungen. Auf dem Rest meines Weges schaute ich noch mindestens dreimal zurück.
Alle Erlebnisse waren nicht lebensverändernd. Und genau das ist das Problem: Sie verändern nicht unser Leben, sie sind unser Leben. Männer bewerten ständig und ungefragt weibliche Körper – sogar unsere Fingernägel – und teilen ihre Meinung genauso ungefragt mit. Wir Frauen rechtfertigen uns für unsere Makel und Körper und passen diese den Erwartungen an. Ganze 85 Prozent der Kund:innen von Schönheitskliniken sind Frauen. Weil uns das Patriarchat eingetrichtert hat, zu gefallen.
Die Verantwortung für Care-Arbeit schreibt die Gesellschaft Frauen zu. Wir Frauen übernehmen die Arbeit nicht nur mit einer logischen Selbstverständlichkeit – Frauen leisten rund 50 Prozent mehr Haus- und Familienarbeit als Männer –, sondern haben die Verantwortung dafür richtiggehend verinnerlicht. Weil uns das Patriarchat beigebracht hat, dass wir für das Wohl der anderen verantwortlich sind.
Und: Frauen machen Männern das Leben mit unserem Generalverdacht schwer. Dabei hat sich das Patriarchat doch so bemüht, uns Frauen klarzumachen, dass wir unsere Sicherheit selbst in der Hand haben – mit der Rocklänge, dem Ausschnitt, der Wahl des Heimwegs etc. Tatsache ist: Über die Hälfte der Frauen in der Schweiz meidet nachts gewisse Orte oder Strecken.
Hier müsste jetzt ein positiver Schluss folgen. Nicht einfach. Zu desillusionierend waren all diese kleinen Situationen. Vielleicht ist es trotz allem der Typ von der Tramhaltestelle, der mir auf eine seltsame Weise Hoffnung macht. Denn seine Reaktion zeigt: Es scheint unbequem zu werden – für ihn und hoffentlich für das ganze Patriarchat.


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