Ein sonniger Montagnachmittag. Peter Stamm erscheint pünktlich im Aussenbereich eines Cafés in der Winterthurer Altstadt.
Der Schriftsteller hat das erreicht, wovon viele junge Autor:innen träumen: Seine Werke werden international besprochen, er geht auf Lesereisen, hat den Schweizer Buchpreis gewonnen und gehört an vielen Schulen zur Pflichtlektüre.
Wir konfrontieren Männer hier mit Fragen, die sonst nur Frauen gestellt werden. Und so erzählt Peter Stamm, wer auf seine Kinder aufpasste, während er Bestseller schrieb – und wie wichtig ihm sein Aussehen ist.
Schreibst du deine Werke wirklich selbst – ganz ohne kompetente, also weibliche Unterstützung?
Ja, zu 100 Prozent. Keine externe Hilfe.
In Zeiten von KI: Wirst du da bald arbeitslos sein?
Nein. Man muss nur KI-Texte lesen, um zu wissen, dass sie keine Bedrohung für Schriftsteller sind.
Wie konntest du beweisen, dass du schreiben kannst?
Zu Beginn konnte ich nicht schreiben. Ich schrieb, um besser zu werden.
Als Mann zweifelst du bestimmt oft an deinen Fähigkeiten.
Heute weniger als früher. Früher war es ein Auf und Ab – von «Ich bin genial» zu «Ich bin gar nichts». Heute weiss ich, dass ich weder genial noch gar nichts bin. Aber: Es gibt immer noch Momente, in denen ich mich frage, ob das alles etwas taugt.
So geht es vielen Männern. Was machst du in solchen Momenten?
Weitermachen.
Das hilft?
Ich zweifle meistens dann, wenn Texte nicht funktionieren. Das ist frustrierend. Der Vorteil ist: Heute weiss ich, diese Zeiten gehen vorbei. Und ich werde wieder Freude am Schreiben haben, die Texte werden wieder besser werden.
Wolltest du dein Schriftsteller-Dasein schon mal an den Nagel hängen?
Nein. Aber ich überlegte mir als Gedankenspiel, was ich ansonsten machen könnte. Nur war meine Erkenntnis: Ich kann erstens nichts anderes, habe also gar keine Wahl, und zweitens interessiert mich nichts anderes genug.
Die Literaturbranche ist von Frauen dominiert, das reicht von Führungspositionen im Verlagswesen und Kritikerinnen bis zu den Literaturpreisträgerinnen. Wie kommst du als Mann da zurecht?
Jemand sagte mal, der durchschnittliche Preisgewinner heisse Peter und sei 55 Jahre alt. Ich war damals 55 Jahre alt und heisse bekanntlich Peter. Meine erste Verlegerin war übrigens eine Frau und sehr wichtig für mich.
Ein starkes weibliches Vorbild.
Ich mag das Wort «Vorbild» nicht. In den Künsten muss man immer den eigenen Weg finden. Deshalb sollte man als Künstler kein Vorbild haben, sondern dorthin gehen, wo noch niemand gewesen ist. Als ich jung war, las ich mehr Bücher von Männern. Im Laufe der Zeit sind es zunehmend mehr Frauen geworden. Seit Kurzem lese ich mehr Werke von Autorinnen – aber nicht, weil sie Frauen sind.
In deinen Werken sind Liebesbeziehungen ein wiederkehrendes Motiv. Hast du Angst, aufgrund deiner Gefühlsduseligkeit nicht mehr ernst genommen zu werden?
Nein. Ich gelte nicht als gefühlsduselig. Obwohl, der Literaturkritiker Roman Bucheli hat mir eine Zeit lang vorgeworfen, ich schriebe kitschige Bücher.
Also typische Männerliteratur. Was löste das in dir aus?
Ärger. Schlechte Kritiker lösen immer Ärger aus. Und Widerspruch, da ich mich überhaupt nicht als Kitschautor sehe. Alle anderen haben mir immer vorgeworfen, ich schriebe kalte Bücher.
Du empfindest Kitsch als etwas Negatives.
Absolut. Wobei ich Kitsch vielleicht anders definiere, denn eine schöne Liebesgeschichte ist nicht zwingend kitschig.
Du gehörst als Mann ja zum emotionalen Geschlecht. Bist du ein Gefühlsmensch?
Ja. Schreiben ist intuitiv, also Gefühlssache.
In deinem Roman «In einer dunkelblauen Stunde» spielst du mit der Verwechslung zwischen dem Protagonisten und dir. Auf dem Cover ist ein Portrait von dir. Was machst du, um nicht selbstsüchtig zu wirken?
In diesem speziellen Fall, indem ich die Figur nach 60 Seiten sterben lasse. Er hat mich einfach nicht mehr interessiert. Ich fand die Frauenfigur viel spannender als diesen Schriftsteller, der nicht mein Alter Ego ist, aber natürlich spielt das Buch damit.
Du hast das Interesse an dir selbst verloren? Ganz schön bescheiden für einen Mann.
Vielleicht habe ich das Interesse an der Position des älteren Schriftstellers verloren, der über sein Werk spricht, ja.
Du gehörst zu den erfolgreichsten Schriftstellern im deutschsprachigen Raum. Bekommst du oft Zuschriften von deinen weiblichen Fans?
Erstaunlich wenig.
Themenwechsel: Sind die Bücher deine Babys?
Früher habe ich das gesagt, heute nicht mehr.
Wieso?
Der Vergleich ist naheliegend, doch er hinkt, und zwar massiv. Das merkte ich, als ich tatsächlich Vater wurde. Es gibt viele Frauen und Männer, die Babys und Bücher haben, und das eine scheint das andere nicht zu ersetzen.
Wer hat auf deine Kinder aufgepasst, während du Bestseller geschrieben hast?
Beim Schreiben haben wir uns aufgeteilt. Die Lesereisen waren das Problem. Ich war viel weg, und meine Freundin kümmerte sich dann um die Kinder. Am Anfang hing mehr an ihr. Später hat sich die Arbeitsbelastung verschoben, und ich habe mich mehr gekümmert.
Hattest du da als Vater nie ein schlechtes Gewissen, etwas zu verpassen?
Ich würde nicht sagen, dass ich etwas verpasst habe. Wenn ich da war, dann war ich vermutlich mehr präsent als normale Väter. Meistens schrieb ich zu Hause am Schreibtisch. Über Stunden gerechnet war ich vermutlich ähnlich präsent wie andere Väter auch.
Du bist 62 Jahre alt. Merkst du dein fortgeschrittenes Alter?
Nicht massiv. Aber ja, ich merke es schon – im Guten wie im Schlechten.
Ab 40 werdet ihr Männer unsichtbar. Wie ist das so?
(Lacht.) Ist das so?
Bei den Frauen tendenziell ja.
Ein Freund von mir, der vor ein paar Jahren verstorbene Schriftsteller Peter Zeindler, sagte: «Am Anfang bist du ein junger, vielversprechender Autor, dann bist du noch ein junger Autor und schliesslich nur noch ein Autor.»
Also wie bei dir?
Es gibt wirklich eine Zeit, in der es schwierig ist für Autoren. Das ist meistens so nach 50, bis man dann wieder zu den alten Institutionen gehört. Man ist nicht mehr interessant für die Presse und wird nicht mehr so viel besprochen. Bei mir war das nicht so schlimm. Ich tat etwas dagegen, indem ich mit dem Schreiben von Kinderbüchern begonnen habe.
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