Macht und Misogynie, Geld und Gier, Patriarchat und Privilegien: Wer die Antwort nicht scheut, darf unseren Kolumnisten alles fragen, Markus Theunert teilt, was er in 25 Jahren Beschäftigung mit Männern und Männlichkeit gelernt hat.
Heute mit der Frage von Leonie (27): «Warum kosten Männer die Gesellschaft so viel mehr als Frauen?»
Zum Glück fokussiert die Frage «nur» auf die Kosten. Eine nach Geschlecht differenzierte Bilanz von Kosten und Leistungen wäre deutlich schwieriger zu ziehen. Denn Männer erwirtschaften zwar deutlich mehr als die Hälfte des gesamtgesellschaftlichen Erwerbseinkommens. Das ist aber nicht Folge einer höheren Leistungsbereitschaft, sondern Folge des Umstands, dass traditionell Frauen Care-Arbeiten übernehmen, die meist unbezahlt geleistet werden (müssen). Unter dem Strich ist die Arbeitsbelastung der Geschlechter vergleichbar hoch. Eltern kleiner Kinder sind jeweils über 70 Stunden pro Woche am Arbeiten.
Die Kosten allein lassen sich einfacher berechnen. Für die Schweiz hat ein Forscher:innenteam aus Lausanne erstmals den «Preis der Männlichkeit» berechnet. Dafür vergleichen sie in einem ersten Schritt, wie stark Männer in den Bereichen Gewalt, Sexualverbrechen, Diebstähle, Verkehrssicherheit, Drogenhandel und Menschenhandel zahlenmässig überrepräsentiert sind. In einem zweiten Schritt schlüsseln sie die volkswirtschaftlichen Kosten entsprechend auf.
Ein Beispiel: Der Betrieb von Gefängnissen in der Schweiz kostet jährlich 993 Millionen Franken. Weil 94 Prozent der Inhaftierten Männer sind, belasten ihnen die Autor:innen 874 Millionen Franken. Diese Summe entspricht also dem «Preis der Männlichkeit» im Bereich Justizvollzug pro Jahr. Werden alle kostenintensiven Gesellschaftsbereiche nach diesem Modell summiert, ergibt sich die eindrückliche Zahl von 9'734 Millionen – also knapp zehn Milliarden – Schweizer Franken, die Männer mit ihrem Verhalten mehr an volkswirtschaftlichen Ausgaben verursachen. Zum Vergleich: Für die Landesverteidigung gibt die Schweiz «nur» knapp sechs Milliarden Franken aus.
Diese Aufschlüsselung macht auch klar, welche Ursachen den Kosten der Männlichkeit zugrunde liegen. Der Name sagt es: Es handelt sich um Kosten, welche als Auswirkungen gesellschaftlicher Männlichkeitsvorstellungen zu deuten sind. Diese Anforderungen definieren, was leisten muss, wer als «richtiger Junge» oder «richtiger Mann» Anerkennung finden will.
Das wissenschaftliche Konzept traditioneller Männlichkeitsideologie (TMI) definiert dafür zehn Faktoren, die männlich gelesene Menschen im Lauf des Aufwachsens verinnerlichen (sollen): «Richtige» Männer müssen (1) Gewinner sein, die sich (2) emotional unter Kontrolle haben, (3) Risiken eingehen, (4) sich notfalls mit Gewalt zur Wehr setzen, (5) Macht über Frauen ausüben und Schwulen Verachtung entgegenbringen, (6) dominant sind, (7) sexuell allzeit bereit sind, (8) Probleme mit sich allein ausmachen, (9) einseitig erwerbsorientiert leben und (10) nach Status streben.
Diese Liste zeigt: Traditionelle Männlichkeitsideologien sind so ziemlich das exakte Gegenteil dessen, was Fachpersonen als Erfolgsfaktoren für ein zufriedenes, selbstbestimmtes und sorgsames Leben identifizieren. Es erstaunt in dieser Perspektive nicht wirklich, dass Männer in den meisten Disziplinen selbst- und fremdschädigenden Verhaltens massiv überrepräsentiert sind – und entsprechend höhere Kosten verursachen.
Ich stimme den Autor:innen der zitierten Studie zu, wenn sie staunend festhalten: «Paradoxerweise besteht zwar die Bereitschaft, Unsummen für Sicherheitsmassnahmen auszugeben, doch es wird kein Gedanke daran verschwendet, präventiv beim Faktor Männlichkeit anzusetzen.»
Markus Theunert ist Gesamtleiter von männer.ch, dem Dachverband progressiver Schweizer Männer- und Väterorganisationen. Kontakt: theunert@maenner.ch.
Diese Kolumne verfolgt – auf Einladung der ellexx Redaktion – das Anliegen, einen patriarchatskritischen Blick auf Geschlechter-, Geld- und Gesellschaftsfragen beizusteuern. Unserem Kolumnisten ist es wichtig, seine Unsicherheit transparent zu machen, wo die Bereicherung durch eine reflektierte Männerperspektive aufhört – und wo das «Mansplaining für Fortgeschrittene» beginnt.

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