Wir fragen Männer, was sonst nur Frauen gefragt werden. Wir wollen damit einen Dialog über Stereotypen in Gang setzen, zum Nachdenken und Schmunzeln anregen, aber auch Toxizität entlarven.

Muris Begovic war zehn Jahre lang Imam, bevor er die Ausbildung für muslimische Seelsorge aufbaute. Heute ist der Familienvater der erste muslimische Armee-Seelsorger der Schweiz. In den Männerfragen erzählt er, warum er einen so weiblichen Beruf wählte und wie es war, mit 40 die RS zu machen.

Muris, warum bist du Imam geworden? Das ist doch ein totaler Frauenberuf.

Weiblich? Spannend (lacht). Als ich mit vier oder fünf Jahren zum ersten Mal in der Moschee war – ich bin in Bosnien aufgewachsen –, war ich fasziniert davon, was ich mit meinen Sinnen wahrnahm und wie der Imam die Predigt hielt. Da habe ich gesagt: Ich will Imam werden.

Ein persönliches Erlebnis. Wie war es dann, in der Ausbildung von so vielen Frauen umringt zu sein?

In Bosnien, wo ich meine erste Ausbildung gemacht habe, verlief die theologische Ausbildung getrennt. Die Schule der Frauen war auf der anderen Seite des Flusses. Wir Männer haben die Frauen nur jeden Dienstag gesehen, als sie zum gemeinsamen Sportunterricht kamen. Unser Ausbilder hat uns auch gesagt: «Wenn ihr eine Frau sucht, geht nicht dorthin!»

Wie bitte?

Er meinte, dass Frauen besser Bescheid wissen über die Theologie als wir Männer, weil sie die besseren Schülerinnen seien. Wenn wir für unser Wissen bewundert werden wollten, sollten wir uns lieber anderswo eine Frau suchen, so sein Ratschlag. Daran habe ich mich aber nicht gehalten. Ich habe meine Frau dort kennengelernt.

Das heisst, ihr habt dieselbe Ausbildung?

Ja. Später haben wir sogar gemeinsam Islamwissenschaften an der Uni Bern studiert. Der einzige Unterschied ist, dass sie eben nicht den Titel Imamin trägt.

Das stört dich hoffentlich, oder?

Ja, das stört mich, weil weibliche Perspektiven in der Theologie einzigartig sind und Theologie ohne sie unvollständig wäre. Gleichzeitig stört es mich, wenn ich Druck oder Zwang von Aussen spüre, dass wir Muslim:innen jetzt auch Imaminnen haben sollen. Der Wunsch nach Veränderung muss doch auch aus unserer Community kommen!

Jetzt ist es aber sicher so, dass mehr Männer zu dir in die Seelsorge kommen, oder? Männer sprechen ja bekanntlich gerne über ihre Gefühle.

(Lacht.) Ja, das ist tatsächlich so, auch wenn man es kaum glaubt! Männer kommen nicht gerne, aber wenn sie es tun und sich öffnen, hören sie nicht mehr auf zu reden. Oft muss ich aber drei bis vier Mal nachfragen, bis sie der Gefühlsebene Raum geben. Männer sind sehr gut darin, ihre Gefühle zu verdrängen.

Seltsam. Woher das wohl kommt?

Gerade in muslimisch geprägten Gemeinschaften haben Männer den Anspruch, dass sie die Familie versorgen und die Starken sein müssen. Da hat man keine Zeit, Gefühle zu zeigen. Wenn ein Mann dann psychische Probleme bekommt, heisst es schnell, er sei von einem Dämon besessen – womit man ihm wiederum seine Gefühle abspricht.

Männer kommen nicht gerne, aber wenn sie es tun und sich öffnen, hören sie nicht mehr auf zu reden. Oft muss ich aber drei bis vier Mal nachfragen, bis sie der Gefühlsebene Raum geben.

Und was beschäftigt die Männer denn am meisten? Ihre Beziehung? Ihr Körper? Die Vaterschaft?

Die Vaterschaft, ja (lächelt). Einmal kam ein Mann und meinte, er und seine Frau hätten das klar aufgeteilt: Er kümmere sich um die grossen Dinge wie Politik und Weltgeschehen, sie um die kleinen Dinge wie Haushalt und Kinder. Da muss ich dann schon fragen, was gross und was klein ist – und ob die Dinge, die zu Hause passieren, vielleicht nicht wichtiger sind als die vermeintlich grossen Themen, auf die wir wenig Einfluss haben.

Stört es dich eigentlich, dass ihr Männer in der Moschee getrennt von den Frauen beten müsst?

Also in der Moschee, in der wir uns jetzt befinden, sind die Grenzen nicht eng. Bei manchen Moscheen gibt es getrennte Eingänge für Männer und Frauen. Das stört mich ehrlich. Wir bewegen uns im Alltag so gemischt, beispielsweise in der S-Bahn, warum sollte das in der Moschee gänzlich anders sein? Trotzdem fände ich es unangenehm, wenn ich so etwas Intimes wie ein Gebet, bei dem ich mich verbeuge und auf den Boden knie, neben einer fremden Frau oder der Frau meines Kollegen verrichten müsste.

Ihr Männer seid so schüchtern. Wie sehen das denn die Frauen?

Interessanterweise sind sie es, die sich beschweren. Wenn sehr viele Frauen ins Gebet kommen und sie sich nach vorne verschieben müssen, ist es ihnen unangenehm, wenn Männer von hinten sehen, wie sie sich beim Gebet bücken. Von den Männern höre ich dazu keine Beschwerden. Fragt sich warum (grinst schelmisch).

(Lacht.) Das würde ich jetzt auf sehr weltliche Gründe schieben. Aber weiter: Auch bei Kleidern gelten für euch Männer ja strengere Regeln. Zu Recht?

Manchmal würde ich gerne den visuellen Stereotyp eines Muslims bedienen und gleichzeitig zeigen, dass ich als Mensch eben nicht stereotypischen Vorstellungen entspreche. Trotzdem ist es ein Privileg, dass ich frei entscheiden kann, inwiefern ich meine Religion erkennbar mache. Meine Frau wird durch ihr Kopftuch oft auf ihre Religion reduziert und verspürt viel mehr Rechtfertigungszwang.

Und wie geht es dir damit, dass du als Mann zu einem weiblichen Gott betest?

Ich halte Geschlecht für ein sehr irdisches Konstrukt. Damit wir über Gott reden können, haben wir uns irgendwann geeinigt, dass wir in männlicher Form über Gott reden. Ob das richtig ist oder ob wir das abschaffen und einfach Gott sagen, ohne «er» oder «sie», darüber kann man diskutieren. So etwas Grosses wie Gott in ein Geschlecht zu zwängen, halte ich jedoch für Gotteslästerung.

Eine letzte Frage zum Thema Geschlecht und Religion: Was sagst du dazu, dass Frauen in allen Religionen das Sagen haben?

Finde ich gut so (beide lachen)! Frauen reden sicher im Hintergrund mit, aber das ist nicht der Sinn der Sache. Ich rede oft mit meiner Frau, weil ich mir wünschte, Frauen würden mehr für ihre Rechte eintreten. Doch sich gegen Traditionen aufzulehnen ist schwierig. Da braucht es Durchhaltewillen, mehrere Versuche und vor allem mehrere Frauen, die das gemeinsam machen. Nicht nur ich und meine Frau – obwohl ich meine Frau ermutige und unterstütze, wo es als Ehemann und Imam geht.

Manchmal würde ich gerne den visuellen Stereotyp eines Muslims bedienen und gleichzeitig zeigen, dass ich als Mensch eben nicht stereotypischen Vorstellungen entspreche.

Kommen wir zum Militär: Warum wolltest du als Mann mit 40 unbedingt in die Rekrutenschule?

Also als Mann wollte ich nicht unbedingt in die Armee. Ich wollte in meiner Rolle als muslimischer Seelsorger gleichberechtigten Zugang.

War es denn hart für dich, deine Familie in dieser Zeit zurückzulassen? Ihr Männer seid ja sehr familienverbundene Wesen.

(Lacht.) Ja, das sind wir. Ich habe die RS während der Coronapandemie absolviert. Damals durften wir nur alle zwei Wochen nach Hause. Für mich war es sehr ungewohnt und schwierig, meine Familie so lange nicht zu sehen.

Wie hast du es denn geschafft, in dieser Zeit deiner Frau die Care-Arbeit zu übergeben?

Das war eine Herausforderung. Meine Frau hat vor allem gemerkt, dass ich am Kochherd fehle.

(Redakteurin schaut ungläubig und denkt, er macht einen Witz.)

Ich meine das wirklich ernst. Wir haben zwei Söhne und organisieren uns mit einem Ämtliplan: Jede Woche erledigt jeder einen Teil des Haushalts. Uns drei Männern ist wichtig, dass die einzige Frau im Haushalt nicht zur Putzfrau verkommt. Während der RS war das nicht ganz einfach.

Mir war egal, ob der Befehl von einem Mann oder einer Frau kam. Was ich eher schwierig fand, war, dass sie kein Verständnis dafür hatten, dass ich 40 bin und nicht dieselbe Beweglichkeit und Geschwindigkeit habe wie ein 19-Jähriger.

Und wie bist du mit dem weiblichen Drill in der Armee klargekommen?

Das klingt jetzt vielleicht komisch oder falsch, aber in der Uniform habe ich das Geschlecht einer Person tatsächlich kaum wahrgenommen. Mir war egal, ob der Befehl von einem Mann oder einer Frau kam. Was ich eher schwierig fand, war, dass sie kein Verständnis dafür hatten, dass ich 40 bin und nicht dieselbe Beweglichkeit und Geschwindigkeit habe wie ein 19-Jähriger.

Fast geschafft, eine Frage musst du mir noch beantworten: Wie findest du es, dass Muslim:innen in der Armee mittlerweile die religiöse Mehrheit darstellen, wenn man den Fotos glaubt?

(Lacht und seufzt.) Ach, ich hoffe, dass Religiosität in der Armee jetzt nicht in den Fokus rückt. Die Armee verbindet Sprachen und Kulturen der Schweiz, und wir alle bringen verschiedene Identitäten mit. Religion ist ein Aspekt davon, aber ich bin doch – genau wie meine Frau – so viel mehr als meine Religion.

Ein schönes Abschlussstatement. Jetzt hast du es geschafft. Wie war das für dich?

Sehr spannend! Ich fand, durch die Umkehrung der Perspektive konnten wir über relevantere Punkte reden, wie wenn traditionelle Fragen kommen im Stil von «Aber wie ist das denn bei euch mit den Frauen?»

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