Was wird in einem Jahresgespräch alles besprochen?

«Das Jahresgespräch ist Rückblick, Ausblick und ein Moment der Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitenden», sagt Henriette Engbersen, Executive Searcherin beim Beratungsunternehmen Level Consulting. Einerseits schaust du mit deinem Chef oder deiner Chefin zurück auf das vergangene Jahr und bekommst Feedback für deine erbrachten Leistungen. Andererseits werden deine Ziele für das nächste Jahr festgelegt. Zentrale Themen sind auch der Lohn, allfällige Beförderungen, Einschätzung des Potenzials sowie allgemein deine berufliche Weiterentwicklung und die Zielsetzung für das kommende Jahr. Wichtig: Das Jahresgespräch soll eine Fortsetzung eines Dialogs sein, der zwischen dir und deinem/deiner Chef:in bereits unter dem Jahr stattfindet. Es ist wichtig, dass du dir auch unter dem Jahr schon Notizen machst zu den oben genannten Themen. Das betont auch die HR-Expertin Astrid Ottiger: «Die Idee ist nicht, dass während dem Jahr nicht kommuniziert wird und beim Jahresgespräch alles auf einmal auf den Tisch kommt.»

Was sollte nicht in diesen Rahmen besprochen werden?

Grundsätzlich gelten bei einem Jahresgespräch dieselben Regeln wie bei einem Vorstellungsgespräch. Persönliche Themen wie beispielsweise Gesundheit oder Familienplanung gehören nicht in ein solches Gespräch. Fragen zu diesen Themen musst du nicht beantworten, wenn du nicht möchtest: «Wenn es Themen aus diesen Bereichen gibt, die man als Mitarbeitende:r besprechen möchte, kann man das aber ansprechen», sagt Engbersen.

Astrid Ottiger, HR-Expertin
«Die Idee ist nicht, dass während dem Jahr nicht kommuniziert wird und beim Jahresgespräch alles auf einmal auf den Tisch kommt.»

Wie bereite ich mich auf ein Jahresgespräch vor?

Vorbereitung ist – wie so oft – die halbe Miete. Du tust das am besten, indem du für dich das vergangene Jahr nochmal Revue passieren lässt. Dabei kannst du dich zum Beispiel fragen:

  • Was habe ich dieses Jahr geleistet?
  • Welche Ziele habe ich erreicht?
  • Welche Erfolge konnte ich verbuchen?
  • Welche Zusatzaufgaben habe ich übernommen?
  • Was habe ich nicht geschafft?
  • Aus welchem Grund habe ich ein Ziel nicht erreicht?

Weiter solltest du dir Gedanken über deine Zukunft machen:

  • Wo möchte ich hin?
  • Welche Ziele will ich erreichen?
  • Gibt es andere Abteilungen, die ich kennenlernen möchte?
  • Gibt es Weiterbildungen, die mich interessieren?

Henriette Engbersen empfiehlt, sich die Antworten auf diese Fragen mindestens einmal selbst laut zu erzählen. Das hilft dir dabei, sachlich zu sein, auf den Punkt zu kommen und Unsicherheiten zu überwinden. Wenn du weisst, dass das Gespräch schwierig werden könnte, weil das Jahr vielleicht nicht so gut lief oder es Unstimmigkeiten gab, die thematisiert werden, empfiehlt es sich, es mit einer Freundin oder einem Freund zu üben.

Was sollte ich besonders als Frau beachten?

Sei selbstbewusst und nicht bescheiden! «Frauen neigen eher dazu, zu denken: Ach, mein:e Vorgesetze:r kennt ja meine Stärken und weiss, was ich leiste. Darauf kann und darf man sich aber nicht verlassen.» Es sei ganz wichtig, dass Frauen ihre Erfolge herausstreichen und sie konkret benennen würden, rät Henriette Engbersen. Am besten schreibst du sie vor dem Gespräch auf.

In welchen Fällen kann ich eine Lohnerhöhung oder eine Beförderung fordern?

Grundsätzlich kannst du auch unter dem Jahr nach mehr Lohn oder nach einer Beförderung fragen, wenn du findest, es wäre an der Zeit dafür. Damit deine Forderung mehr Gewicht hat, ist es sinnvoll, wenn du dir Gedanken dazu machst, warum du eine Lohnerhöhung oder eine Beförderung verdient hast. «Auch hier geht es darum, die eigenen Leistungen zu reflektieren und sie im Gespräch als Argumente zu bringen», erklärt Henriette Engbersen. Gründe, die für eine Lohnerhöhung oder eine Beförderung sprechen, sind zum Beispiel: Dein Beitrag für die Firma, also neue Aufgaben und Zusatzaufgaben, die du übernimmst, Ziele, die du erreicht hast, zusätzliche Verantwortung, die du trägst, oder Weiterbildungen, die du gemacht hast.

Henriette Engbersen, Executive Searcherin
Eine gewisse Hartnäckigkeit beim Lohn ist wichtig, damit der/die Vorgesetzte merkt: Dieser Person ist es ernst.

Wie formuliere ich meine Forderung nach mehr Lohn? Und wann rede ich im Gespräch darüber?

Das Thema Lohn gehört tendenziell ans Ende des Gesprächs. Wenn es dein:e Vorgesetzte:r nicht von sich aus anspricht, kannst du es aufgreifen. Beispielsweise so: «Eine Möglichkeit ist, dass man auf das eben geführte Gespräch Bezug nimmt und sagt: Ich habe alle meine Ziele erreicht oder übertroffen. Ich würde gerne über meinen Lohn reden. Wichtig ist, dass man sachlich bleibt und seine Argumente gut vortragen kann», sagt Henriette Engbersen.

Übrigens: Vielen von uns fällte es schwer, mehr Lohn einzufordern. Darum empfiehlt sich auch hier: Üben, üben, üben. Spiel das Gespräch vorher mit einem Freund oder einer Freundin durch. Das gibt dir Sicherheit für die echte Lohnverhandlung.

Wie viel mehr Lohn kann ich verlangen?

«Verhandlungstaktisch ist es geschickt, wenn man erst das Gegenüber einen Vorschlag machen lässt. Aufgrund dieses Vorschlags kann man einen eigenen, etwas höheren Vorschlag machen. Wenn es gut läuft, findet man sich in der Mitte», führt Henriette Engbersen aus. Löhne sind meist Verhandlungssache. Du musst also ein tiefes Angebot nicht persönlich nehmen, das ist Teil des Spiels. Konzentriere dich auf strategische Überlegungen. Hilfreich und wichtig ist, dass du dich im Vorfeld über die branchenüblichen Löhne informierst. Noch wichtiger ist aber, dass du dich auch mit deinen Kolleg:innen  austauschst. Frag nach, was sie verdienen, und legt gegenseitig eure Löhne offen. Henriette Engbersen: «Das kann unangenehm sein, aber nur so sind Unternehmen gefordert, Lohntransparenz herzustellen. Und die ist sehr wichtig.»

Denk daran: Noch immer verdienen Frauen in der Schweiz im Schnitt ohne Grund fast 14 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Je nach Branche und Position sind die Unterschiede noch grösser. Darum: Verhandle mutig und fordere grosszügig.

Henriette Engbersen
Frauen sollten nicht darauf warten, dass ihre Leistung anerkannt wird, sondern Anerkennung einfordern, beispielsweise in Form einer Beförderung.

Was mache ich, wenn meine Forderung nach mehr Lohn abgelehnt wird?

Wichtig ist, dass du dich nicht einfach abspeisen lässt. Bleib freundlich, aber frag nach. Und zwar ganz konkret: «Man kann in solchen Situationen fragen, was es braucht, damit man die Lohnerhöhung bekommt, und wann man wieder darüber reden kann. Hier sollte man möglichst verbindlich werden», so Engbersen. Nach der vereinbarten Zeit kannst du wieder bei deinem Chef oder deiner Chefin anklopfen: «Eine gewisse Hartnäckigkeit ist wichtig, damit der/die Vorgesetzte merkt: Dieser Person ist es ernst.»

Übrigens: Meist reicht es, wenn solche zweiten Gespräche mündlich vereinbart werden. Wenn du aber das Gefühl hast, dass das nicht ausreicht, kannst du auch nach einer schriftlichen Bestätigung verlangen.  

Wann spreche ich das Thema Beförderung an?

Über eine Beförderung kannst du reden, wenn es um deine Weiterentwicklung geht. Also etwa bei den Fragen: Welche Ziele hast du für das kommende Jahr? Wo siehst du dich in fünf Jahren? Ähnlich wie beim Lohn ist es wichtig, dass du hier sachliche Argumente bringst, warum du befördert werden solltest. Und einmal mehr wichtig für uns Frauen: Schluss mit Bescheidenheit! Haltet euch nicht zurück, traut euch, Führungspositionen zu übernehmen, und formuliert ganz klar eure Wünsche und Ziele. «Es ist wichtig, dass Frauen nicht darauf warten, dass ihre Leistung anerkannt wird, sondern dass sie Anerkennung einfordern, beispielsweise in Form einer Beförderung», betont Henriette Engbersen.

Henriette Engbersen
Mitarbeitende haben ein Anrecht auf Feedback.

Was tue ich, wenn ich Aufgaben bekomme oder habe, die ich nicht möchte und die mir nichts für meine Karriere bringen?

Du musst du keine Aufgaben übernehmen, die nicht in dein Jobprofil gehören. Falls du also solche hast und sie nicht möchtest, rede mit deinem/deiner Vorgesetzten darüber – im Jahresgespräch oder unter dem Jahr. Schau dir dabei, die Gesamtsituation an. Es ist eine andere Ausgangslage, wenn du in einem kleinen Betrieb arbeitest, in dem jede:r solche Zusatzaufgaben übernimmt, oder ob du die einzige bist, der das aufs Auge gedrückt wird.

Gut zu wissen: Frauen übernehmen deutlich mehr solche Aufgaben als Männer. Pro Jahr investieren Frauen im Schnitt 200 Stunden mehr von ihrer Zeit in Aufgaben, die weder für eine Beförderung noch für eine Lohnerhöhung relevant sind. Es macht also durchaus Sinn,  dich umzuschauen, zu hinterfragen, wer was macht und allenfalls auch die eine oder andere Aufgabe abzugeben.

Wie bringe ich Kritik an meinem Chef oder meiner Chefin an, die beim Gespräch anwesend ist?

Hier gelten die klassischen Feedbackregeln. Dazu zählen unter anderem:

  • Nicht nur kritisieren, sondern auch Positives sagen, Stichwort Sandwich-Regel: Etwas Positives, Kritik, etwas Positives
  • In Ich-Botschaften formulieren, also zum Beispiel: «Ich fühle mich nicht gesehen» statt «Sie sehen mich nicht».
  • Emotionen benennen, ohne emotional zu werden. Zum Beispiel so: «Dieses Verhalten hat mich enttäuscht.»
  • Fakten aufzeigen wie beispielsweise Lohnunterschiede, Zahl erledigter oder übernommener Aufgaben, Arbeitsstunden
  • Ruhig und sachlich bleiben
  • Nach Möglichkeit proaktiv Verbesserungsvorschläge machen

«Damit die eigene Botschaft ankommt, ist es zentral, dass man ein, zwei konkrete Beispiele oder Situationen zur Veranschaulichung nennen kann», betont Henriette Engbersen.

Kann ich Kritik an Kolleg:innen in diesem Rahmen anbringen?

Es wirkt eher unprofessionell, wenn du über Personen sprichst, die nicht anwesend sind. Wenn immer möglich, solltest du solche Dinge direkt mit der betroffenen Person klären. Idealerweise auch unter dem Jahr. Hast du mit der Person schon gesprochen und kommst nicht weiter oder ist es eine Situation, die du alleine nicht lösen kannst, kannst du das Thema bei deinem/deiner Vorgesetzten ansprechen. «Auch dann sollte man keine Anschuldigungen machen, sondern eher um Rat fragen. Also: Was soll ich tun? Wie könnte ich weiter vorgehen? An wen kann ich mich wenden?», rät HR-Expertin Astrid Ottiger.

Was kann ich tun, wenn ich mit meiner Bewertung nicht einverstanden oder zufrieden bin?

Das Jahresgespräch sollte eigentlich eine gemeinsame Sache sein. Will heissen: Du und dein:e Vorgesetze:r erarbeitet das Feedback und die Ziele gemeinsam, alles wird in einem Protokoll festgehalten, und beide Parteien unterschreiben das Papier. Ist das Verhältnis gut, kannst du auch im Nachhinein meist deine Inputs geben oder Passagen anpassen. Ist das Verhältnis angespannt, kann es auch vorkommen, dass dein:e Vorgesetzte den Inhalt nicht anpassen möchte. «In solchen Fällen hat man als Mitarbeiter:in die Möglichkeit, das Protokoll zu unterschreiben und mit folgendem Zusatz zu ergänzen: Eingesehen, aber nicht in allen Punkten einverstanden. Siehe Stellungnahme», so Henriette Engbersen. Du kannst selbst noch eine Stellungnahme schreiben und sie dem Protokoll beilegen.

Wichtig: Wenn du dich unfair behandelt fühlst, es grössere Unstimmigkeiten gibt, ihr euch gar nicht einig werdet oder du bei deinem/deiner Vorgesetzten einfach nicht weiterkommst, hol dir Hilfe und lass dich von einer Fachperson beraten, beispielsweise bei einer Rechtsschutzversicherung. Manche Unternehmen haben auch intern solche Anlaufstellen.

Was tue ich, wenn ich persönliche Probleme habe, die ich thematisieren möchte, beispielsweise Unstimmigkeiten im Team oder Mobbing?

Idealerweise thematisierst du solche Dinge schon unter dem Jahr. Einerseits, damit du Belastendes nicht so lange mit dir alleine herumtragen musst und rasch eine Lösung gesucht werden kann. Andererseits reicht im Jahresgespräch manchmal die Zeit fast nicht aus, um solch grossen Themen den nötigen Raum zu geben. Was du aber tun kannst: Sprich an, was dich beschäftigt, und vereinbare für die vertiefte Besprechung einen neuen Gesprächstermin.

Was antworte ich auf die Frage, wo ich mich künftig sehe?

Das ist ganz individuell, und es gibt keine richtige oder falsche Antwort. Mach dir im Vorfeld des Gesprächs ernsthafte Gedanken über deine kurz- und langfristige berufliche Zukunft sowie deine Ziele und formuliere diese Ziele klar aus. Wirf einen realistischen Blick auf deine Fähigkeiten, aber denk dabei gross und halte dich nicht zurück, wenn es um deine Ambitionen geht.

Henriette Engbersen
Damit die eigene Botschaft ankommt, ist es zentral, dass man ein, zwei konkrete Beispiele oder Situationen zur Veranschaulichung nennen kann.

Muss ich immer einen Plan haben, oder kann ich auch mal zufrieden sein mit meiner aktuellen Situation?

Du kannst natürlich mit deiner aktuellen Situation zufrieden sein, besonders wenn du eher neu bist, und musst nicht jedes Jahr neue Weiterbildungen absolvieren wollen oder einen Positionswechsel anstreben. Aber: Pass auf, dass du Zufriedenheit nicht mit Bescheidenheit verwechselst. Will heissen: Wenn du den Wunsch nach Veränderung, Weiterentwicklung oder einem Aufstieg hast, dann bring ihn an.

Wie ehrlich soll ich sein, wenn ich mich umorientieren oder den Job wechseln will?

Auch das ist sehr individuell. Es kommt auf die Situation im Betrieb an: HR-Expertin Astrid Ottiger betont, dass hier vor allem das Vertrauensverhältnis zum/zur Vorgesetzten eine zentrale Rolle spielt. Bist du schon lange in einem Betrieb und hast ein gutes und vertrauensvolles Verhältnis zu deinem/deiner Chef:in, kannst du eher transparent sein und deine Pläne offenlegen. In anderen Fällen ist es ratsam, solche Pläne erstmal für dich zu behalten.

Was, wenn es gar kein Jahresgespräch gibt? Kann ich ein solches Gespräch einfordern?

Unternehmen sind rechtlich nicht zu einem Jahresgespräch verpflichtet. Gemäss Henriette Engbersen haben sie aber eine Fürsorgepflicht gegenüber dir als Mitarbeiter:in: «Daraus lässt sich ableiten, dass Mitarbeitende auch ein Anrecht auf Feedback haben. In welcher Form dieses gegeben wird, ist nicht definiert.» Gibt es bei dir im Unternehmen kein Jahresgespräch und du hast das Bedürfnis nach einem, dann sprich dein:e Chef:in an und verlange ein Gespräch.