Arbeiten, bis die Wehen einsetzen, und ein Mutterschaftsurlaub, der halb so lange dauert, wie Neugeborene gestillt werden: In der Schweiz Eltern zu werden, bringt viele Herausforderungen mit sich. Selbst die zwei Wochen Vaterschaftsurlaub haben im vergangenen Jahr nur die Hälfte aller Männer mit Kindern bezogen. Die Zahl aber, die mich am meisten sprachlos macht: 2005. Erst dann wurde bei uns der Mutterschaftsurlaub eingeführt. Wie haben das unsere Mütter bloss gemacht? Mussten sie in der Schwangerschaft alle kündigen? Oder auf unbezahlten Urlaub hoffen?
So sehr mich diese Jahreszahl bestürzt, so erklärt sie auch, wieso es in der Schweiz um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie immer noch so schlecht bestellt ist. Wir sind die erste Generation Mütter, die zu gleichen Teilen mitarbeiten und Verantwortung übernehmen können – zumindest theoretisch. Denn die Strukturen, die das vollumfänglich ermöglichen, müssen wir uns erst noch erschaffen.
alliance F fordert Gesetzesänderung
Nach der Geburt eines Kindes erhalten erwerbstätige Mütter während 14 Wochen ein Entgelt von 80 Prozent ihres Einkommens. Nehmen sie die Erwerbstätigkeit wieder auf, erlischt dieser Anspruch. Ein Berufsverbot also, das die Mutter schützt. So weit, so sinnvoll. Aber der Anspruch auf das Entgelt endet auch dann, wenn die Mutter ihre Erwerbstätigkeit nur für wenige Stunden wieder aufnimmt. So wird politisches Engagement in dieser Zeit verunmöglicht.
Parlamentsarbeit gilt nicht nur als demokratischer Auftrag, sondern auch als Nebenerwerb. So hat das Bundesgericht diesen Frühling entschieden. Mit einschneidenden Folgen: GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy musste ihr Mutterschaftsentgelt nach der Teilnahme an parlamentarischen Sitzungen zurückzahlen. Sitzungsgelder machen für Politikerinnen in Stadt- und Kantonsparlamenten zwar meist nur einen unwesentlichen Bestandteil ihres Einkommens aus. Gemäss Bundesgerichtsentscheid verlieren sie aber durch eine einzige Abstimmung auch den Anspruch auf den Erwerbsersatz ihres Haupteinkommens.
Die Frauendachorganisation alliance F hält dies für staatspolitisch problematisch und gleichstellungspolitisch stossend. Sie fordert eine umgehende Gesetzesänderung. Verschärft wird das Problem dadurch, dass sich Politikerinnen in den meisten Kantonen nicht vertreten lassen können. Weil Mütter ihren Wählerauftrag nicht wahrnehmen dürfen, fehlen den Parteien also ihre Stimmen.
Der Mutterschaftsurlaub ist eine wichtige Errungenschaft. Den knappen Zeitraum, der neuen Familien gewährt wird, sollten wir keinesfalls kürzen. Aber nicht nur Parlamentarierinnen, auch Arbeitnehmerinnen und Unternehmerinnen sind vom absoluten Berufsverbot betroffen. Sie dürfen sich nicht für einzelne, wichtige Sitzungen einloggen oder per E-Mail erreichbar bleiben. Es gilt: Vollzeit arbeiten oder gar nicht.
Nicht beim Status quo verharren
Wenn ich durch meine zwei Kinder etwas gelernt habe, dann dies: Für die Vereinbarkeit benötigt es vor allem Flexibilität. Was für eine Familie die passende Lösung ist, muss für eine andere nicht das richtige Set-up sein. Was bei dem einen Kind gut funktioniert hat, will das zweite partout nicht mitmachen. Schaffen wir deshalb innovative Lösungen. In der Politik kann das erhaltene Sitzungsgeld meiner Meinung nach ruhig vom Mutterschaftsentgelt abgezogen werden. Unbedingt muss aber eine Stellvertreterlösung oder briefliches Abstimmen ermöglicht werden, damit das Votum der betroffenen Frauen nicht verloren geht. In der Erwerbswelt sollte über die Möglichkeit einer Arbeit im Minipensum nachgedacht werden. Oder einer Verlängerung der 14 Wochen, wenn die Frau in Teilzeit arbeitet.
Was wir jedoch auf keinen Fall tun sollten: Beim Status quo bleiben, bloss weil das die einfachste Lösung ist. Pro Jahr werden in der Schweiz fast 90’000 Kinder geboren. Es lohnt sich, in mehr Flexibilität zu investieren. Nur so müssen sich Mütter künftig nicht mehr zwischen Familie und Karriere entscheiden.