Bananen, Schokolade oder Rosen – das sind die Fairtrade-Klassiker. Durchschnittlich 108 Schweizer Franken geben Schweizer:innen jährlich für Fairtrade-Produkte aus. Damit ist die Schweiz Weltmeisterin im Pro-Kopf-Konsum. Doch was zeichnet ein Fairtrade-Produkt überhaupt aus? Und was hat Gleichstellung mit Fairtrade zu tun?


Fairtrade in Kürze

Was heisst Fairtrade?

Fairtrade ist ein Label für soziale Gerechtigkeit. Bei Fairtrade geht es darum, dass Produzent:innen im globalen Süden beim Verkauf ihrer Waren einen fairen Anteil vom Gewinn bekommen und unter guten Bedingungen arbeiten können.

Konkret erhalten  die Kleinbäuer:innen einen Mindestpreis für ihre Produkte, sowohl auf lokaler als auch auf internationaler Ebene. Das hilft ihnen, ein existenzsicherndes Einkommen zu erzielen. Zusätzlich erhalten die Bäuer:innen eine Fairtrade-Prämie für Gemeinschaftsprojekte wie beispielsweise den Aufbau einer Schule. Wofür die Prämie eingesetzt wird, entscheiden die Bäuer:innen gemeinsam im Rahmen sogenannter Kooperativen.

Fairtrade bedeutet auch, dass die Bäuer:innen unter fairen Bedingungen arbeiten. Um das sicherzustellen, arbeitet die Fairtrade Dachorganisation eng mit lokalen Produzenten-Organisationen zusammen und prüft beispielsweise die Einhaltung von Gesundheits- und Sicherheitsstandards.

Wie funktioniert das Fairtrade-System?

Fairtrade International ist eine Dachorganisation. Sie arbeitet entlang der Lieferkette eines Produktes mit verschiedenen Interessengruppen zusammen. Ihr Ziel: Fairer Handel von A bis Z. Auf der Angebotsseite, also auf Seite der Produzent:innen, arbeitet die Dachorganisation mit Produzenten-Netzwerken in Afrika, Lateinamerika und Asien zusammen. Diese wiederum beraten die Bäuer:innen und führen lokale Programme durch.

Auf der Nachfrageseite übernehmen nationale Fairtrade-Organisationen wie Fairtrade Max Havelaar in der Schweiz die Arbeit. Sie suchen passende Handelspartner:innen im globalen Norden, die Produkte verantwortungsbewusst von den Märkten im Süden beziehen wollen.

Wie erhalten Bäuer:innen das Fairtrade-Zertifikat?

Für die Fairtrade-Zertifizierung muss jeder Bauer und jede Bäuerin ein Verfahren durchlaufen. Dieses Prüfverfahren wird von einer unabhängigen Einrichtung namens Flocert durchgeführt. Flocert prüft beispielsweise, ob soziale Standards oder Umweltstandards eingehalten werden.


Sandra Uwera im Interview

Sandra Uwera ist Global CEO bei Fairtrade International.  Sie ist in Kenia und in Ruanda aufgewachsen und arbeitet momentan im Büro von Fairtrade Afrika in Kenia. Sie war davor CEO des COMESA Business Council, der führenden Mitgliedsorganisation der Wirtschaft in Afrika. Zudem sitzt sie in verschiedenen Aufsichtsräten in Afrika und international.

Wie wichtig ist die Gleichstellung der Geschlechter für die Fairtrade-Bewegung?

Sehr wichtig. Wir haben einen Pool von etwa 1900 Fairtrade-Produzentenorganisationen in 71 Ländern, über 1.9 Millionen Menschen sind für diese tätig. Mehr als die Hälfte dieser Betriebe wird von Frauen geführt. In unserer globalen Bewegung gibt es etwa 73'000 Frauen, die Blumenfarmen betreiben. Selbst die Produzentenorganisationen, in denen all diese Bauern und Bäuerinnen zusammenarbeiten, werden etwa zu 60 Prozent von Frauen geführt. Die einzige Herausforderung besteht darin, dass die Frauen nicht auf der Führungsebene tätig sind. Das ist ein sehr wichtiges Thema für uns, das wir angehen wollen.

Sandra Uwera
In den meisten Fällen bekommt der Mann das Geld und entscheidet, wie es in der Familie verteilt wird. Daher bleiben Frauen unter der Armutsgrenze. Sie sind aufgrund verschiedener kultureller und politischer Probleme nicht in der Lage, nachhaltig zu wirtschaften und zu wachsen.

Frauen leisten also einen grossen Teil der Arbeit im Agrarsektor. Aber sie erhalten nur einen kleinen Teil des Einkommens. Warum?

Die landwirtschaftliche Produktion kann für den Eigenbedarf oder für kommerzielle Zwecke erfolgen. Frauen in armen Gebieten arbeiten oft für den Eigenbedarf. Selbst wenn sie etwas verkaufen, ist dieser Anteil meistens klein. Das Einkommen, das sie erzielen, fliesst in den Haushalt zurück, es wird aber nicht von den Frauen verwaltet. Aufgrund der kulturellen Prägungen bekommt der Mann in den meisten Fällen das Geld. Er entscheidet darüber, wie das Geld in der Familie verteilt wird. Daher bleiben Frauen unter der Armutsgrenze. Sie sind aufgrund verschiedener kultureller und politischer Probleme nicht in der Lage, nachhaltig zu wirtschaften und zu wachsen.

Wie gehen Sie das Problem an?

Wir haben Programme, die wir auf lokaler Ebene anbieten. Diese fokussieren auf Themen wie sexuelle Belästigung, die gerechte Verteilung von Geld zwischen Männern und Frauen oder die Bildung  von Frauen. Wir haben auch eine Ausbildung  für Frauen in Führungspositionen. Wir bieten sie in  Afrika und in Lateinamerika an. Es geht dabei darum, das Selbstbewusstsein und das Verhandlungsgeschick von Frauen zu stärken. Sie lernen Buchhaltung oder wie man sich im familiären Umfeld gegen kulturelle Normen durchsetzt. Das Programm ist darauf ausgerichtet, die Stimme der Frauen in der Gesellschaft zu stärken, sei es auf geschäftlicher, sozialer oder wirtschaftlicher Ebene.

Gibt es in eurem Zertifizierungsverfahren spezielle Kriterien zum Thema Gleichstellung?

Wenn wir mit einer Produzentenorganisation oder -vereinigung zusammenarbeiten, verlangen wir die Einhaltung bestimmter Aspekte in Bezug auf die Unternehmensführung. Wir wollen, dass Frauen auf der Leitungsebene vertreten sind, im Vorstand oder auf der Managementebene. Auch in den Prämien-Kooperativen wollen wir, dass Frauen vertreten sind. Ausserdem haben wir in unseren Standards konkrete Kriterien. Zum Beispiel müssen die Produzentenorganisationen im Laufe der Zeit eine Geschlechterpolitik entwickeln. Sie dürfen bei der Einstellung von Arbeitskräften keinen Schwangerschaftstest durchführen. Und sie müssen einen achtwöchigen Mutterschaftsurlaub garantieren.

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Die Prämien gehen an die Kooperativen. Wie wird sichergestellt, dass die Kooperativen das Geld auch für Anliegen der Frauen verwenden?

Die Kooperativen haben unabhängige Vorstände, die von den Bauern und Bäuerinnen gewählt werden. Wir definieren Frauenquoten für diese Vorstände. Es ist wichtig, zu wissen, dass wir nur die Zusammensetzung der Kooperativen beeinflussen, aber nicht die Entscheidungen der Kooperative und die Verwendung der Prämie. Wir sind überzeugt, dass Bauern und Bäuerinnen in der Lage sind, unabhängige und intelligente Entscheidungen zu treffen. Das ist es, worum es bei der Nachhaltigkeit letzten Endes geht: Dass sie in ihr eigenes Unternehmen reinvestieren, um ihre Branche zu vergrössern.

Nutzen Frauen Prämien anders als Männer?

Ich kenne eine Kaffeefarm in Kenia, in der  drei von fünf Vorstandsmitgliedern Frauen sind. Die Männer wollten die Prämien für ihre Farmen verwenden und alternative Kulturen wie Grünpflanzen anbauen. Die Frauen wollten töpfern und Textilien herstellen. So kam es zu einer Diversifizierung im Textilbereich: Es gibt viele von Frauen geleitete Programme, die Uniformen und Kleider herstellen und diese verkaufen. Daher ist es sehr wichtig, dass in den Ausschüssen ein Gleichgewicht der Geschlechter herrscht, denn die Entscheidungen darüber, was wohin gehen soll, werden dadurch beeinflusst.

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Ist die Gleichstellung der Geschlechter auch auf strategischer Ebene wichtig für Ihre  Organisation?

Für uns als Bewegung war das Thema Gleichstellung von Anfang an ein sehr wichtiges Thema, zum Beispiel bei der Einrichtung unserer Zertifizierungsstelle. Auch Fairtrade als Bewegung hat 80 Prozent weibliche Angestellte, wir sind also eine frauenbezogene Organisation. In den Vordergrund unserer Diskussion ist die Gleichstellung der Geschlechter aber erst in den letzten Jahren gerückt. Jetzt haben wir zwei Prioritäten, die wir zwischen 2021 und 2025 vorantreiben wollen: Die Gleichstellung der Geschlechter und die Stärkung der Jugend. Wir fördern und integrieren diese beiden Komponenten sehr eng.

Wie genau?

Wir haben erkannt, dass wir das Thema Gleichstellung im Hinblick auf den Aufbau unserer technischen Kapazitäten in den Vordergrund rücken müssen, vor allem wenn wir Schulungen oder Programme vor Ort durchführen. Unsere Programme müssen heute  einen bestimmten Prozentsatz an Frauen umfassen, damit sie durchgeführt werden können.

Sandra Uwera
Frauen sind zu Hause zu beschäftigt, um einen ganzen Tag lang an der Schulung teilzunehmen. In ihrem Alltag gibt es keinen Raum dafür. Dabei wären solche Schulungen wichtig, damit auch Frauen echte Geschäftsleute oder Agro-Unternehmerinnen werden können.

Frauen nehmen also in gleichem Masse an euren Programmen teil?

Leider noch nicht. In vielen landwirtschaftlichen Haushalten und Betrieben haben Frauen nicht die gleichen Entscheidungsbefugnisse. Und in vielen Fällen nehmen hauptsächlich Männer an Programmen zum Aufbau technischer Kapazitäten teil. Frauen sind zu Hause zu beschäftigt, um einen ganzen Tag lang an der Schulung teilzunehmen. In ihrem Alltag gibt es keinen Raum dafür. Dabei wären solche Schulungen wichtig, damit auch Frauen echte Geschäftsleute oder Agro-Unternehmerinnen werden können. Eine gerechte Verteilung der Verantwortlichkeiten im Haus ist also nicht gegeben. Es ist kulturell bedingt, dass Frauen einfach zu Hause bleiben müssen. Und es ist auch schwierig, dieses Mindset zu ändern, weil es stark in der Tradition verankert ist. Ein Umdenken ist dringend erforderlich.

Kümmert sich Ihre  Organisation auch um die finanzielle Unterstützung von Frauen oder die Kinderbetreuung?

Wir haben schon einige Kooperativen gesehen, die mit der Fairtrade-Prämie Kinderbetreuungseinrichtungen aufgebaut haben. Es gibt also diese Beispiele, bei denen die Gemeinschaft beschlossen hat, in die Bildung der Kinder und gleichzeitig in die Unterstützung der Mütter zu investieren.

Und Ihre Organisation direkt?

Genau diese Frage steht nun im Zentrum: Sollen wir spezielle Unterstützungsmechanismen schaffen, die den Bäuer:innen direkt finanzielle Vorteile verschaffen? Wir wollen über den Mindestlohn für Produzent:innen hinausgehen und ihnen beispielsweise Leistungen wie Sozialversicherungen oder Hausratversicherungen geben. Oder sogar auf der Ebene der Haushalte: Wie weit können wir in diese Richtung gehen? Auch uns sind Grenzen gesetzt, da wir uns mit Arbeitnehmer:innen und Arbeitsbedingungen befassen. Ich gehe jedoch davon aus, dass durch die Verbesserung der Arbeitsbedingungen auch die Bedingungen in den Haushalten angegangen werden.

Sandra Uwera
Wenn man Frauen stärkt, stärkt man das ganze Dorf.

Kann die Gleichstellung der Geschlechter auch ökonomische Folgen haben für ganze Dörfer?

Auf jeden Fall. Wenn man Frauen stärkt, stärkt man das ganze Dorf. Frauen sind fürsorgliche Wesen, sie kümmern sich um ihre Kinder, ihr Zuhause und die Umwelt, in der sie leben. Wir stellen fest, dass das meiste Geld von Frauen in Bildung und Essen für die Familie fliesst. Frauen sparen und überprüfen ihre eigenen landwirtschaftlichen Produktionsmechanismen, um diese nachhaltiger zu gestalten. Frauen denken auch über die Erschliessung neuer Märkte nach, gerade im Zeitalter der Digitalisierung. In Afrika haben viele Frauen Marktinformationssysteme eingerichtet, die es ihnen ermöglichen, ihre Produkte online zu stellen und mit anderen Marktteilnehmer:innen über den Preis zu verhandeln.

Wo sehen Sie allgemeine Herausforderungen auf dem Markt?

Wenn wir Produkte und Dienstleistungen entwickeln, sind sie nicht geschlechtsspezifisch ausgerichtet. Bei landwirtschaftlichen Produktionsmechanismen oder sogar bei Transportmechanismen wird die Geschlechterperspektive normalerweise nicht angewendet. Die Unternehmen denken nie: Die Person, die das Produkt transportiert, ist eine Frau. Wie kann eine Frau auf einen Lastwagen klettern, um die Tomaten zu transportieren, wenn sie ein Kitenge trägt? Das wird sie entblössen. Frauen sind generell viel mehr Gefahren ausgesetzt, wie zum Beispiel sexueller Belästigung. In vielen Ländern Afrikas, Lateinamerikas und Asiens können Frauen ihre Produkte nicht verkaufen, ohne belästigt zu werden.

Sandra Uwera
Frauen sind generell viel mehr Gefahren ausgesetzt, wie zum Beispiel sexueller Belästigung. In vielen Ländern Afrikas, Lateinamerikas und Asiens können Frauen ihre Produkte nicht verkaufen, ohne belästigt zu werden.

Liegt Ihnen als CEO das Thema Gleichstellung besonders am Herzen?

Ja. Aber nicht einfach nur deshalb, weil ich eine Frau bin. Ich sitze in mehreren Gremien, die sich mit der wirtschaftlichen Stärkung von Frauen befassen. Es ist also ein zentrales persönliches Interesse von mir. Vor allem, weil ich mir für die Zukunft wünsche, dass Frauen und Mädchen gleichberechtigt sind und effektiv an sozialen Rechten, Menschenrechten, wirtschaftlichen Rechten und dem allgemeinen Wohlstand teilhaben. Ich hoffe, dass Frauen in Zukunft in der Lage sein werden, sich zu Themen wie geschlechtsspezifische Gewalt, häusliche Gewalt und Belästigung zu äussern. Und dass Frauen in Führungsstrukturen stärker vertreten sind. Ich hoffe, dass Frauen in der Lage sein werden, in ihren Familien ihre Interessen durchzusetzen und ihre eigenen Kinder in eine Richtung zu lenken, die über eine Tradition hinausgeht, die besagt, dass dies nur für Frauen oder nur für Männer gilt. Ich möchte in einer Zukunft leben, in der ich sehe, dass die Geschlechterfrage jedermanns Interesse und jedermanns Sache ist.