Der Journalist Fabio Canetg arbeitet unter anderem für swissinfo.ch und produziert den Podcast «Geldcast». In den Männerfragen spricht er über Druckausübungen,  journalistische Unabhängigkeit und seine grössten weiblichen Vorbilder.

Fabio, du hast einen Geldpolitik-Podcast. Interessieren sich Männer überhaupt für Finanzen oder hören dich nur Frauen?

Das ist eine spannende Frage. Es hören tatsächlich viele Frauen den Geldcast. Als ich zum ersten Mal die Hörer:innenzahlen gesehen habe, war ich überrascht.

Warum?

Von der Hörerschaft des «Geldcasts» sind gut 40 Prozent Frauen. Beim Podcast «Börsenstrasse Fünfzehn», den ich zusammen mit Alexandra Janssen mache, ist der Frauenanteil lustigerweise weniger hoch – obwohl es eine Co-Moderatorin gibt. Ich hoffe aber, dass sich das noch ändert.

Nach welchen Kriterien wählst du deine Podcast-Gäst:innen aus?

Eine notwendige Bedingung ist, dass sie Kompetenz auf ihrem Fachgebiet und etwas zu sagen haben. Und da gibt es natürlich tonnenweise Leute, die spannend sind. Ich versuche auch, verschiedene Zielgruppen zu bedienen: Meine Kerngruppe sind die Finanz-Nerds, deshalb gibt es auch immer wieder Gespräche, die sehr in die Tiefe gehen. Aber es ist mir auch wichtig, thematisch breit gefächert zu sein. Darum gibt es im Podcast sowohl Gespräche mit Studierenden, die etwa die Lehre an den Universitäten kritisieren, als auch mit Leuten wie Ernst Baltensperger, der seit hunderttausend Jahren die Geldpolitik in der Schweiz beobachtet und eine Koryphäe ist auf seinem Gebiet.

Es ist eher ungewöhnlich, dass sich Männer so stark für den Finanzschauplatz Schweiz interessieren. Woher kommt das bei dir?

(Grinst.) Ich hatte schon mit Anfang 20 während meines VWL-Studiums das Gefühl, dass irgendwie etwas falsch läuft in der Finanzbranche. Aber ich habe damals noch nicht genau verstanden, was. Diese Neugier hat mich angetrieben. Aber ob das ein spezifisches Männer- oder Frauen-Interesse ist, wage ich nicht zu beantworten.

Naja, das entscheidet ja auch immer noch die Interviewerin.

Soso, na dann!

Fabio Canetg
Im Geldcast kamen bisher 24 Männer und 23 Frauen zu Wort, das Verhältnis ist also ziemlich ausgeglichen.

Du sagst selbst, der hohe Frauenanteil bei deiner Hörerschaft erstaunt dich. Ich sehe im Hintergrund in deinem Bücherregal zwei Bücher von der französischen Bestseller-Autorin Virginie Despentes. Da liegt natürlich der Verdacht nahe, dass du einer dieser performativen Männer bist, die mit ihrer Arbeit eigentlich die Frauen beeindrucken wollen. Hast du deshalb einen Finanz-Podcast?

(Lacht zuerst, wird dann sehr ernst.) Also ich bin vor allem Journalist, das hat nichts Performatives. Ich versuche, denjenigen Leuten eine Plattform zu geben, die ich interessant finde. Und wenn das eine Frau ist, dann mache ich das, weil sie etwas Spannendes zu sagen hat, und nicht, weil sie eine Frau ist. Und es gibt genügend Frauen, die etwas Spannendes zu sagen haben. Im Geldcast kamen bisher 24 Männer und 23 Frauen zu Wort, das Verhältnis ist also ziemlich ausgeglichen. Der Geldcast wurde übrigens aus meiner Dissertation geboren. Ich habe mich an der Uni ja während fast zehn Jahren nur mit Geldpolitik beschäftigt. Und 2020 dann eben den «Geldcast» gestartet.

Erzähl.

Das war eine Zeit, in der man meiner Meinung nach nicht sehr kritisch über die Nationalbank berichtet hat. Ich wollte ein Forum bieten für diverse Stimmen, die sich zur Politik der Nationalbank äussern. Damit meine ich: vom eher konservativen Wirtschaftsprofessor Aymo Brunetti, der quasi sagt, die SNB mache alles richtig, bis hin zum Grünen-Nationalrat Gerhard Andrey, der im Parlament sehr SNB-kritisch auftritt. Ich finde es wichtig, dass man über mächtige Institutionen in der Öffentlichkeit spricht, und das will ich mit meinem Podcast ermöglichen.

Du bietest auch Workshops für Banken an. Wo bleibt da die journalistische Unabhängigkeit, wenn du gleichzeitig über das Banken-Business berichtest?

(Grinst.) Das ist eine sehr wichtige Frage. Aus diesem Grund habe ich auf meiner Webseite aufgelistet, von welchen nicht-journalistischen Auftraggeber:innen ich regelmässig mehr als 5000 Franken im Jahr erhalte. Das ist für mich persönlich die Grenze, wo es mit der journalistischen Unabhängigkeit schwierig werden würde – oder wo man es zumindest transparent machen sollte. Momentan bekomme ich aber nur von den Universitäten Bern und Neuchâtel mehr als 5000 Franken pro Jahr, dort bin ich Dozent.

Fabio Canetg
Es gibt auch innerhalb der SNB Leute, die meine kritische Berichterstattung schätzen.

Im Juni moderierst du ein Panel mit Petra Gerlach von der SNB. Redet sie noch mit dir, seit du und unsere Co-Founderin Patrizia Laeri über die Sexismusvorwürfe bei der SNB recherchiert habt?

Ja, sie spricht noch mit mir. Ich habe erst kürzlich ein Podium mit ihr moderiert. Ich kannte Petra Gerlach vor diesem Gespräch nicht persönlich, aber sie war sehr herzlich und angenehm. Und sie hat mir gleich das Du angeboten! Das zeigt mir: Es gibt auch innerhalb der SNB Leute, die meine kritische Berichterstattung schätzen.

Vor diesem Gespräch hast du mir erzählt, dass du immer wieder unangenehme Anrufe von der SNB bekommst. Erzähl mal.

Eine von diesen Geschichten hat sich zum Beispiel im Frühling 2022 zugetragen, als Barbara Janom Steiner, Bankratspräsidentin der SNB, eine Rede an der Generalversammlung hielt. Sie sagte damals, dass alle Vorwürfe, die Patrizia Laeri und ich zusammengetragen hatten, «schlicht unzutreffend» wären – was sie natürlich nicht sind. Das habe ich aufgenommen und ein Video sowie eine «Geldcast»-Folge dazu produziert. Diese Rede haben Journalist:innen bereits vorab bekommen, berichten darüber durfte man aber erst 24 Stunden später. Diese Frist habe ich natürlich abgewartet. Trotzdem hat mich die SNB als Reaktion darauf von ihrem Medienverteiler geschmissen.

Wie bitte?

Ja. Sie haben mir das auch nicht mitgeteilt, ich habe irgendwann einfach festgestellt, dass ich diese Reden nicht mehr vorab erhalte. Dann habe ich mal nachgefragt, was denn da los sei.

Und was war da los?

Die SNB stellte sich auf den Standpunkt, ich hätte diese Sperrfrist verletzt. In meinem Video habe ich die Expertin Agota Lavoyer zu Wort kommen lassen, und die SNB ging daher davon aus, dass ich ihr die Rede vorab gezeigt hatte. Ich habe das aber nachweislich nicht gemacht und konnte das anhand von E-Mails beweisen. Ich glaube, das war einfach ein Versuch, Druck auf mich auszuüben. Aber man muss auch sehen: Das gehört zu meinem Job. Es ist auch bis zu einem gewissen Grad normal, dass man hin und wieder ein bisschen Streit hat mit einer Medienstelle. Mittlerweile ist das aber alles geklärt, und ich bin wieder auf ihrem Medienverteiler drauf.

Und heute bieten sie dir freiwillig das Du an!

(Grinst.) Petra Gerlach zumindest, aber natürlich tun das längst nicht alle. Es gibt immer wieder hässige Anrufe von der SNB wegen meiner Berichterstattung. Das wird wohl auch nicht aufhören.

Apropos Hässig: In deiner letzten «Geldcast»-Folge war der Inside-Paradeplatz-Gründer Lukas Hässig bei dir zu Gast. Er war ja auch schon bei uns in den Männerfragen – oh, und wir haben uns gegen seine sexistische Berichterstattung gewehrt. Du hast ihn auch auf seine Kommentarspalte angesprochen, er hat sich gerechtfertigt und die Angelegenheit etwas heruntergespielt. Findest du seine Reaktion angemessen?

Ich finde es wichtig, zu sagen: Auch Lukas Hässig hat ein Recht darauf, seine Position in der Öffentlichkeit vertreten zu können. Speziell bei mir im Podcast, selbst wenn ich nicht mit ihm einverstanden bin. Ich bin Journalist, ich bin nicht der Richter über ihn. Am Ende des Tages muss die Öffentlichkeit darüber entscheiden, ob seine Position sinnvoll ist oder nicht.

Also bist du keiner dieser Journalisten-Fanboys, die ihre grössten Idole interviewen, um sich gegenseitig zu feiern?

Ich habe sicherlich grossen Respekt vor dem, was Lukas Hässig macht. Er hat Erfolg damit. Und er macht viele wichtige Sachen. Immerhin war er es, der den Pierin-Vincenz-Skandal aufgedeckt hat. Und gleichzeitig schafft er es, den Menschen jeden Morgen Unterhaltung zu bieten.

… und in seinen Kommentarspalten schafft er es, frauenverachtenden Kommentaren eine Plattform zu bieten.

Das ist so. Aber eben, ich versuche immer, zwischen der Person an sich und ihren Handlungen zu unterscheiden. Ich kann jemanden wie Lukas Hässig einen guten Typen finden und gleichzeitig einige seiner Handlungen ablehnen.

Da habe ich ja wirklich einen Vollblut-Journalisten vor mir.

(Kichert.) Das ist wohl so.

Wer sind eigentlich deine weiblichen journalistischen Vorbilder?

Das ist einfach: Nina Kunz! Sie schreibt einfach unglaublich intelligent und wahnsinnig gut. Und als zweites kommt mir Anja Conzett in den Sinn. Sie schrieb vor Jahren eine Kolumne in der «Südostschweiz», und ich mochte sie sehr gerne. Sie brachte die Kolumnen später auch als Buch heraus, es heisst «Peter ohne Pan». Auch Nina Kunz hat ihre Kolumnen im «Das Magazin» als Buch veröffentlicht: «Ich denk, ich denk zu viel». Die sind beide so, so gut, und man kann sie immer wieder hervornehmen und darin schmökern.

Fabio Canetg
Als Mann bin ich so aufgewachsen, dass man mir immer sagte: Was du machst, ist super, verbieg dich auf keinen Fall. Aber trotzdem habe ich Selbstzweifel.

Ein bisschen Fanboy steckt also doch in dir.

(Lacht.) Klar, man darf sagen: Ich bin Fan von Nina Kunz und Anja Conzett!

Wartest du eigentlich – wie viele andere Journalisten auch – heimlich auf den Tag, an dem du aufwachst und plötzlich alle merken, dass du eigentlich gar nichts kannst?

Ja, klar. Aber ich glaube nicht, dass das ein männerspezifisches Problem ist. Im Gegenteil: Ich kann mir vorstellen, dass das eher Frauen haben. Als Mann bin ich so aufgewachsen, dass man mir immer sagte: Was du machst, ist super, verbieg dich auf keinen Fall. Aber trotzdem habe ich Selbstzweifel. Wenn mich die SNB mal wieder anruft und behauptet, das, was ich mache, sei kein Journalismus, dann geht das nicht spurlos an mir vorbei.

Wie sieht denn deine Self-Care-Routine aus?

Mir hilft mein Umfeld sehr. Ich habe viele Freund:innen, die sich nicht für meine journalistische Arbeit interessieren. Dann geht man zusammen ein Bier trinken und redet über Eishockey. Und dann ist die Nationalbank sehr weit weg.

Bist du zu Hause so hässig wie auf deinem Blog, Lukas Hässig?
Lukas Hässig ist Herausgeber von Inside Paradeplatz. Diese Woche musste er sich bei elleXX entschuldigen und eine Spende an Frauenorganisationen zahlen. Zum Abschluss stellt er sich unseren Männerfragen und redet über seine Männlichkeit, Gossip und die Andropause.
Sollten Väter Vollzeit arbeiten, Luca Bortolani?
Luca Bortolani entwickelt mit seinem Start-up Twiliner einen Nachtreisebus mit Business-Class-Feeling. Der dreifache Vater spricht in den Männerfragen über seine Anti-Aging-Tipps und erklärt, wie seine Arbeitskolleginnen auf ihn als Teilzeit-Vater reagieren.