In der Schweiz wünschen sich 57 Prozent der Menschen Lohntransparenz. Ich will zeigen, warum die Mehrheit damit richtig liegt.

Die Schweiz hat eine der grössten Lohnlücken zwischen Frau und Mann in ganz Europa. In kaum einem anderen westlichen Land ist der Unterschied so gross. Unsere Frauen arbeiten fast ein Fünftel des Jahres gratis. Der Gender Pay Gap beträgt 18% und in der Privatwirtschaft gar 19.5%. Nehmen wir den mittleren Schweizer Bruttolohn von rund 7000 Franken: Für einen Mann mit diesem Bruttolohn bedeutet dies, dass eine Frau für dieselbe Arbeit 1260 Franken im Monat weniger erhält als er. Ist das fair? Und würde jemand freiwillig auf so viel Geld im Monat verzichten? Auf ganze 15'120 Franken im Jahr? Und noch viel wichtiger – wie kann ein derart unanständiges Missverhältnis überhaupt entstehen? Gehen wir dem Übel auf den Grund.

Patrizia Laeri
Für nicht rollenkonformes Feilschen und Bluffen zahlen Frauen einen hohen Preis. Von Frauen wird fürsorgliches und emotionales Verhalten erwartet. «Unweiblich» verhandeln bringt mehr Geld, aber wenig Sympathiepunkte beim Chef. Ein ewiger Teufelskreis.

Wer verdient am meisten? Zurzeit verdienen jene Menschen in der Schweiz am meisten, die am besten verhandeln. Dominantes und forderndes Verhalten wird auf dem Jobmarkt wirtschaftlich belohnt – mit höherem Lohn. Die Selbstbewussten und Meistfordernden sind aber nicht immer die fähigsten und besten Arbeitskräfte. Das ist teuer für Firmen und unfair für Angestellte. Unfair, weil  längst nicht alle Menschen gut und gerne verhandeln, und teuer, weil Firmen in diesem System vor allem Verhandlungsstarke einstellen und gerade weibliche Talente verpassen.

«Unweibliches» Handeln bringt mehr Geld

Insbesondere Frauen verhandeln weniger und ungern. Während 57 Prozent der Männer ihren Lohn verhandeln, tun dies nur 7 Prozent der Frauen. Mädchen werden nicht dazu erzogen, zu fordern. Wenn sie es später doch tun, wird ihnen dieses Verhalten sogar negativ ausgelegt. Die Forschung zeigt: Für nicht rollenkonformes Feilschen und Bluffen zahlen Frauen einen hohen Preis. Von Frauen wird fürsorgliches und emotionales Verhalten erwartet. Dieses «weibliche» Handeln führt aber für sie zu wirtschaftlich schlechteren Resultaten und weniger Geld auf dem Konto. «Unweibliches» Handeln bringt mehr Geld, aber wenig Sympathiepunkte beim Chef. Ein ewiger Teufelskreis.

Besseres Verhandeln eignet sich deshalb nur begrenzt, Lohnungleichheit zu reduzieren. Das Problem ist das System. Der Gender Pay Gap ist nämlich Zeichen eines Marktversagens.

Der Gender Pay Gap: Ein Marktversagen

Freie und gut funktionierende Märkte haben transparente Preise – sei es im Supermarkt oder an der Börse. Aktienkurse, Produktpreise oder Dienstleistungen sind für alle Marktteilnehmer:innen öffentlich einsehbar. Alle haben die gleichen Preisinformationen. Nur der Arbeitsmarkt bleibt obskur. Undurch­sich­tige Lohn­struk­tu­ren und Gehalts­ver­hand­lun­gen hinter verschlossenen Türen sind gän­gige Pra­xis. Jene mit den meisten Informationen profitieren. Und das sind nicht die Bewerber:innen. Die Macht liegt bei den Arbeitgeber:innen. Sie kennen die Aufgabe, die Funktion, die Löhne aller anderen Mitarbeiter:innen, ihr Budget, sprich sämtliche Zahlen.

Wenn eine Partei viel mehr weiss als die andere, nennt sich das in den Wirtschaftswissenschaften Informationsasymmetrie. Der Arbeitsmarkt ist aus dem Gleichgewicht. Und das führt gerne zu Marktversagen. Es ist wichtig für gut funktionierende Märkte, dass allseits gute Entscheidungsinformationen vorliegen. Alle Jobsuchenden wissen aus eigener Erfahrung, dass sie diese Informationen nicht besitzen.

Patrizia Laeri
Der Gender Pay Gap ist Zeichen eines Marktversagens.

Wie viel möchtest du verdienen?

Wer kennt die Frage nicht. Sie wird Bewerber:innen immer noch gestellt. Sie ist nicht nur unfair, sondern schadet Verhandlungsscheuen nachweislich. Schlecht informiert müssen Stellensuchende also eine Summe nennen, ohne die Aufgabe, die Löhne von Kolleg:innen und das Budget der Firma genauer zu kennen. Die meisten Arbeitgeber:innen fragen zudem ungeniert nach den früheren Löhnen. Eine Fangfrage für viele Menschen, denn sie bedeutet nichts anderes als: Einmal schlecht verhandelt, immer schlecht bezahlt. Die Lohnvergangenheit darf keine Rolle spielen. Vergangene Ungleichheit, frühere unfaire, diskriminierende Löhne sollen nicht die gesamte zukünftige Karriere prägen. Das Fragen nach vergangenen Löhnen wird deswegen ausserhalb der Schweiz zunehmend illegal. In immer mehr nordamerikanischen Staaten ist diese Frage beispielsweise verboten, um Marktauswüchse wie den Gender Pay Gap zu korrigieren. Genauso wie an der Börse Insiderhandel verboten ist. Es ist illegal, dass sich Marktteilnehmer:innen aufgrund ihres grösseren Wissens Vorteile und Profite erspielen.

Aus dem Lot geratene Märkte regulieren

Auch andere neue Gesetze zielen darauf, unfaire Marktauswüchse zu korrigieren. Sie verpflichten die Firmen, Stellen mit Löhnen auszuschreiben. Was wir aus dem öffentlichen Sektor bereits kennen, hält in gewissen Ländern nun auch im Privatsektor Einzug: Lohntransparenz und -bänder. Jeder Job hat einen offen kommunizierten Wert und Preis. Nur so können Menschen informierte Entscheidungen treffen.

Firmen in den USA, Grossbritannien oder Österreich tun es bereits. Immer mehr Unternehmen traten mit Lohnzahlen aber auch freiwillig ans Licht – lange bevor es die Gesetze verlangten. Verve, ein britisches Technologieenternehmen, hat schon vor Jahren alle Lohndaten intern zugänglich gemacht. Mitarbeiter:innen können die Gehälter ihrer Chef:innen und Kolleg:innen checken.

Patrizia Laeri
Einmal schlecht verhandelt, immer schlecht bezahlt. Die Lohnvergangenheit darf keine Rolle spielen. Vergangene Ungleichheit, frühere unfaire, diskriminierende Löhne sollen nicht die gesamte zukünftige Karriere prägen.

Firmen, die Lohnfairness leben, haben nichts zu verbergen. Von Lohnfairness zu Lohntransparenz ist es nur noch ein winziger Schritt, der aber grosses Vertrauen schafft. Das zeigt das Beispiel des amerikanisches Start-ups Buffer. Es hat alle Löhne der Mitarbeiter:innen öffentlich auf seiner Website aufgeschaltet. Und was ist passiert? Die Bewerbungen haben deutlich zugenommen. Offenheit mache Mitarbeiter:innen kooperativer und produktiver, zieht Buffer Bilanz. Buffer bezahlt Frauen und Männern auf derselben Stufe gleich viel. Die Tech-Firma hat allerdings befürchtet, dass die Konkurrenz wildern und ihren Leuten gezielt mehr Geld bieten werde. Das ist nicht passiert.

So weit wie in Kalifornien oder New York sind wir natürlich noch lange nicht. Aber auch in der Schweiz tut sich langsam etwas. Ergon Informatik oder die Forschungsfirma Empiricon waren Vorreiterinnen. Sogar die Post und Swisscom testen Lohntransparenz. Damit sind sie hierzulande aber immer noch in der Minderheit. Erst ein Drittel der Schweizer Firmen ist bereit, die Löhne offenzulegen. Vor allem Gross- und Mikrounternehmen sehen darin eine Chance.

GenZ spricht über Löhne

Während sich Politik und Wirtschaft sträuben, lassen sich gerade jüngere Menschen dadurch nicht aufhalten. Sie sprechen in den sozialen Medien offen über Geld und Löhne. Digitale Bewertungsportale wie Kununu und Glassdoor machen Löhne seit Jahren transparenter. Dort geben Mitarbeiter:innen ihre Löhne bereits anonymisiert bekannt.

Lohntransparenz ist für alle Angestellten wichtig und fair. Tatsächlich hilft Transparenz aber vor allem auch, den Gender Pay Gap zu schmälern. So stellt eine dänische Studie über die Wirkung von transparenten Löhnen fest, dass der Gap innerhalb von fünf Jahren im Schnitt 13 Prozent schrumpfte. Vergleiche zwischen  dem öffentlichen Sektor und der Privatwirtschaft zeigen, dass ersterer durch die zumindest intern offengelegte Lohntransparenz rund 40 Prozent weniger ungleich ist.

Lohngleichheit erst in einem halben Jahrhundert erreicht

Auch deshalb setzen sich bedeutende internationale Wirtschaftsorganisationen für Lohntransparenz ein. Beispielsweise die OECD, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Sie empfiehlt sie dringend, denn Frauen entgehen durch Lohnungleichheit in der OECD zwei Billionen Franken – jährlich. Zu den 38 Mitgliedstaaten, die sich der Demokratie und Marktwirtschaft verpflichtet fühlen, gehört auch die Schweiz.

Patrizia Laeri
Das bedeutet, dass Berufsanfänger:innen hierzulande in ihrem gesamten Arbeitsleben keine Lohngleichheit erleben werden.

Eine aktuelle PwC Studie zeigt aber, dass die Lohngleichheit in der OECD frühestens in einem halben Jahrhundert erreicht sein wird. In der Schweiz sogar noch später. Unser Land  hat in den letzten Jahren gar wieder Rückschritte gemacht und ist in punkto Lohngleichheit auf den unrühmlichen 20. Platz gefallen. Das bedeutet, dass Berufsanfänger:innen hierzulande in ihrem gesamten Arbeitsleben keine Lohngleichheit erleben werden.

Nur Lohntransparenz wird helfen, den Sexismus auf dem Lohnzettel endlich abzuschaffen. Zukunftsweisende Gesetze sind andernorts bereits geschrieben und bewährt. Die Rezepte sind da, allein der Wille fehlt.