Über Geld spricht man nicht? Falsch. Im Money Talk tun wir genau das. Heute mit Priscilla Schwendimann, queere Pfarrerin in Zürich.
Priscilla Schwendimann hat ein aussergewöhnliches Leben hinter sich: Aufgewachsen im Nahen Osten, erlebte sie soziale Ungleichheit und den Arabischen Frühling hautnah. Als junge Frau musste sie innert Stunden ihre Heimat verlassen. Heute lebt sie in Zürich und arbeitet als queere Pfarrerin.
Im Money Talk sagt sie, warum finanzielle Gerechtigkeit auch ein Thema für die Kirche ist – und wieso es romantisch sein kann, in der Partnerschaft einen Finanzplan zu haben.*
Alter: 33
Ort: Zürich
Beruf: Pfarrerin
Einkommen: circa 120'000 Franken Jahreseinkommen
Grösster Ausgabeposten: Miete
Schulden: keine
Vermögen: keines
Welche Gefühle löst Geld bei dir aus?
Ambivalente. Grundsätzlich finde ich: Geld macht nicht glücklich, aber es kann einem Frieden geben. Unsere Welt funktioniert nicht ohne Geld. Es ist die Währung, in der wir denken und handeln. Persönlich lerne ich gerade, ein gesundes Verhältnis zu Geld zu entwickeln. Ich arbeite daran, Geld auch als etwas Gutes zu sehen.
Bisher hattest du kein gesundes Verhältnis zu Geld?
Es ist für mich ein schwieriges Thema. Wer Geld hat, hat automatisch Macht. Das sorgt für ein Gefälle unter uns Menschen. Das kritisiert übrigens auch Jesus. Solche Situationen habe ich schon erlebt, besonders als ich jung war, und ich fand es damals bereits schlimm. Darum war und ist Geld für mich bis heute auch negativ besetzt.
Wo sind dir solche Situationen begegnet?
Ich bin im Nahen Osten aufgewachsen. Im arabischen Raum ist es normal, dass man Hausangestellte hat. Leider behandeln viele ihre Angestellten schlecht: Sie bezahlen tiefe Löhne und lassen sie unter prekären Bedingungen arbeiten. Die Begründung war dann: «Sie haben ja die Wahl, nein zu sagen.» Das stimmt aber nicht, denn viele leben von der Hand in den Mund. Die prekäre Situation wird ausgenutzt. Natürlich erhalten sie durch die Arbeit Geld. Trotzdem wird ihre Situation ausgenutzt. Dieses Dilemma begleitet mich von klein auf.
Wie waren die finanziellen Verhältnisse deiner Familie?
Das ist etwas kompliziert. Eigentlich gehörten wir, verglichen mit der arabischen Bevölkerung, zur Mittelschicht. Wir hatten deutlich mehr als viele andere. Meine Geschwister und ich besuchten eine deutsche Schule, dort wiederum waren wir aber die, die am wenigsten Geld hatten. Und verglichen mit den Verhältnissen in Europa und der Schweiz waren wir «arm». Obwohl meine Eltern das nicht so gesagt haben, wussten wir, dass wir uns nicht viel leisten konnten.
Woran habt ihr das gemerkt?
Wir Kinder hatten meistens gebrauchte Kleider, wir sind nicht in die Ferien gefahren, haben nicht auswärts gegessen und, und, und. Erst seit ich in der Schweiz arbeite und hier verdiene, weiss ich, was man sich alles leisten kann, wenn man gut verdient. Einfach ins Restaurant zu gehen oder Ferien zu buchen, das sind für mich komplett neue Erfahrungen.
Was haben dir deine Eltern über Geld beigebracht?
Grosszügigkeit und Dankbarkeit. Bei uns galt immer: Auch wenn wir wenig haben, teilen wir das, was wir haben, und sind dankbar für das, was wir haben. Meine Eltern haben ein Hilfswerk für Blinde aufgebaut. Seit meiner Kindheit ist der Fokus, sozial Schwächeren zu helfen, präsent. Das war meinen Eltern sehr wichtig und ist es mir auch. Ich bin dankbar für diese Grundhaltung.
Warum bist du in die Schweiz gekommen?
Der Plan war, dass ich nach der Maturität im Sommer 2011 in der Schweiz mein Studium beginne. Aber in diesem Jahr überschlugen sich die Ereignisse, und es kam anders.
Du sprichst von der Revolution, dem arabischen Frühling?
Genau, die habe ich damals miterlebt. Ende Januar ging es los. Niemand wusste, wie sich alles entwickeln würde. Irgendwann, nach ein paar Tagen, rief die Schweizer Botschaft an und sagte: «In vier Stunden geht das Flugzeug in die Schweiz. Das ist der letzte Aufruf. Wer nicht mitfliegt, ist auf sich allein gestellt.»
Ihr seid mitgeflogen?
Wir wussten, wir haben jetzt eine Stunde, um unser Leben einzupacken und uns von allem zu verabschieden. Als wir am Flughafen ankamen, waren überall Menschen, die rauswollten. Aber nur die wenigsten konnten. Es war das totale Chaos. Wir Schweizer:innen konnten mit unserem Pass einfach durch alle Kontrollen spazieren. Im Flugzeug schaute ich aus dem Fenster und dachte: Hier unten sind Millionen von Menschen, die gehen wollen und nicht können, weil sie nicht das gleiche Glück haben wie ich. Das war eine einschneidende Erfahrung: Nicht alle haben dieselben Chancen. Egal wie sehr man sich anstrengt. Es stimmt nicht, dass man alles werden und schaffen kann, wenn man nur will.
Wie war es für dich, alles zurückzulassen?
Schwierig. Ich habe praktisch nichts eingepackt, nur Fotoalben und ein paar Briefe. Kleider und solche Dinge waren und sind mir nicht wichtig. Kurz bevor wir gingen, stand ich in meinem Zimmer, schaute alles noch einmal ganz bewusst an und sagte: «Tschüss Zimmer, es war schön hier.» Dieser Abschied war symbolisch für alles, was ich zurücklassen musste: mein Umfeld, meinen Vater, der geblieben ist, meine Freund:innen, mein bisheriges Leben, mein Zuhause.
Wie war der Start in der Schweiz? Wie erging es dir finanziell?
Der Start war hart. Zu Hause war hier sehr weit weg. Es hat zwar viele interessiert, was im Nahen Osten los ist. Aber für uns als Familie war es existenziell. Als ich im Sommer mit dem Studium anfing, hatte ich 1000 Franken im Monat. Mit diesem Geld musste ich alles bezahlen. 300 Franken gingen weg für die private Hochschule. Es blieben also noch 700 Franken für Essen, Wohnen, Versicherung und alles andere.
Damit bist du über die Runden gekommen?
Ja, gut sogar. Ich hatte ein Budget und habe jeden Rappen aufgeschrieben, den ich ausgegeben habe. Gleichzeitig habe ich gespart, wo es nur ging. Ich war zum Beispiel fast immer zu Fuss unterwegs. Ein Ticket für den öffentlichen Verkehr konnte ich mir nicht leisten, geschweige denn ein Abo. Zudem habe ich neben dem Studium in Hotels geputzt und im Sommer jeweils zwei Monate im Altersheim gearbeitet. Später habe ich eine Stelle an der Universität Zürich angenommen.
Hat dich Geld in dieser Zeit gestresst?
Nein. Denn ich habe mich selbst nie als arm empfunden. Im Gegenteil. Ich war und bin dankbar dafür, dass ich das Privileg habe, hier in der Schweiz zu studieren und zu arbeiten, im Gegensatz zu vielen anderen. Gleichzeitig ist mir in dieser Zeit einiges bewusst geworden. Man sagt doch: Arme Menschen vereinsamen. Das liegt daran, dass Arme an vielem im Leben nicht teilhaben können. Weil sie eben keine fünf Franken für einen Kaffee ausgeben können. Oder sie bekommen zu hören: «Ach komm, stell dich nicht so an wegen diesen 15 Franken. Das ist noch nicht viel.» Dabei sind 15 Franken für eine Person, die kein Geld hat, enorm viel. Das verstehen Menschen mit Geld nicht. Weil sie es nicht nachvollziehen können.
Wie viel verdienst du heute als Pfarrerin?
Mein Jahreslohn beträgt circa 120’000 Franken. Bei einer 48-Stunden-Woche und Wochenenddienst. Er richtet sich nach dem Lohn einer Lehrperson am Gymnasium. Das ist ein guter Lohn. Manchmal finde ich es noch immer absurd, dass ich so viel verdiene.
Hast du schon mal Lohnungleichheit erlebt?
Ja, mehrfach. Einerseits, als ich während dem Studium an der Universität gearbeitet habe. Da habe ich irgendwann gemerkt, dass ich weniger verdiene als meine männlichen Kollegen in derselben Position. Mein Lohn wurde zwar angepasst, aber ich musste für diese Lohnerhöhung ziemlich auf den Tisch hauen.
Und als Pfarrerin?
Eigentlich haben wir Lohnstufen, damit es fair ist. Trotzdem musste ich auch als Pfarrerin für meinen Lohn kämpfen. Ich war knapp 27 Jahre alt, als ich angefangen habe. Ich musste erstreiten, dass mir drei Jahre Arbeitserfahrung angerechnet werden und ich in der entsprechenden Lohnstufe starten konnte. Dies, obwohl ich während meinem ganzen Studium gearbeitet habe.
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