Sasha, du bist überraschend hübsch für einen Feministen!

(Macht grosse Augen, fühlt sich sichtlich unwohl.) Ähm.

Das darf man ja wohl noch sagen!

(Grinst verhalten, kichert.) Ich höre sonst eigentlich eher, dass ich etwas arrogant wirke. Das war übrigens auch der Grund, warum Anna Rosenwasser und ich uns erst nach unserem Studium richtig kennengelernt haben, wir waren eigentlich im gleichen Jahrgang. Sie fand mich arrogant, und ich hatte Angst davor, bei ihr, der krassen Feministin, etwas Falsches zu sagen. Was wahrscheinlich auch so gewesen wäre!

Hör jetzt auf, meinem Kompliment auszuweichen.

Ah. Ja, stimmt. In dem Fall: Danke? Ich kann nicht gut mit Komplimenten umgehen.

Bist du Feminist, weil das bei den Frauen gut ankommt?

Haha, das könnte man meinen. Aber es ist schon so, dass ich als männlicher Feminist eher Applaus bekomme, während Feministinnen als Emanzen beschimpft werden. Ich bin mir dieses Unterschiedes sehr bewusst.

Bist du denn keine Emanze?

Sehr gute Frage. Was ist eigentlich eine Emanze? Wahrscheinlich bin ich eine. Oder die männliche Version davon: Ich bin ein Emanzerich.

Männer können ja eigentlich gar keine Feministen sein. Solltet ihr das nicht lieber den Frauen überlassen?

Ich denke, wir können dabei helfen, das männliche Zielpublikum für Feminismus zu schulen. Das Wort hat immer noch für viele eine negative Konnotation, und das wollen wir auflösen: Feminismus bedeutet schlichtweg, sich für die Gleichstellung aller Geschlechter und Geschlechtsidentitäten einzusetzen. Wir denken, mit diesem Vibe können sich viele Männer eher identifizieren.

Wie kommt dieses Vorhaben bei den Männern an? Stosst ihr auch auf Widerstand?

Seitens der Männer interessanterweise nicht einmal so sehr. Widerstand gab es zu Beginn eher von gewissen Frauen aus der linksfeministischen Szene.

Warum?

Wir wurden am Anfang sehr negativ beäugt, à la: Was machen jetzt Männer hier im Feminismus? Aber sobald sie gesehen haben, wie wir uns engagieren und dass wir eigentlich die gleichen Leute erreichen wollen, hat dieses Misstrauen abgenommen. Heute kriegen wir ziemlich viel Support innerhalb der Szene. Das freut uns natürlich.

Sasha Rosenstein
Feminismus bedeutet schlichtweg, sich für die Gleichstellung aller Geschlechter und Geschlechtsidentitäten einzusetzen. Wir denken, mit diesem Vibe können sich viele Männer eher identifizieren.

Wen wollt ihr denn erreichen?

Es bringt natürlich nichts, wenn wir bloss unsere eigene, linksversiffte Bubble ansprechen. Eigentlich wollen wir den FDP-Typen abholen, der etwa Mitte dreissig ist, ein gutbürgerliches Leben führt und sich bisher noch gar nicht mit seiner eigenen Männlichkeit auseinandergesetzt hat.

Und wie kommt man an diesen Typen heran?

Das haben wir bisher leider auch noch nicht herausgefunden. Aber wir planen beispielsweise Workshops in Sportvereinen, so könnten wir uns an ihn herantasten. Ich werde es dir sagen, wenn ich es weiss!

Dass man nur zu seiner eigenen Bubble spricht, ist ja für viele politisch motivierte Bewegungen ein Problem. Wie überwindet man das?

Ich denke, es ist wichtig, das Framing zu ändern. Zu zeigen, dass es einem guttun kann, sich mit feministischen Themen auseinanderzusetzen, und dass das nicht nur der linken Szene vorbehalten ist.

Du redest jetzt gerade, typisch Mann, um den heissen Brei herum. Was heisst das konkret?

Da hast du mich jetzt erwischt. Wir machen regelmässige Veranstaltungen, die mal ein Podium, mal ein Austausch sein können. Dort sprechen wir immer wieder über die Verantwortung von Männern bei der Bekämpfung von sexualisierter Gewalt und reflektieren unsere Privilegien. Und in unserer letzten Social-Media-Kampagne haben wir uns den Fragen gewidmet, ob wir schon einmal Angst hatten auf dem Nachhauseweg oder unseren Standort mit unseren besten Freunden geteilt haben. Das war eine Anlehnung an die Geschichte hinter «Text me when you get home». Und natürlich mussten wir uns diese Fragen noch nie stellen, das sagt schon so vieles. Eigentlich tut es auch den Linken gut, sich mal Gedanken über ihr feministisches Engagement zu machen. Es gibt ja auch in der linken Szene Probleme mit Rassismus, Sexismus und Übergriffen.

Bist du eigentlich schon Vater?

(Guckt erstaunt.) Nein. Ich bin ja erst 26.

Ja eben! Die Uhr tickt. Aber 26, ist das nicht ein bisschen zu jung für einen Vereinspräsidenten?

Ich fühle mich manchmal schon ein bisschen jung dafür, ich habe das vorher noch nie gemacht. Darum ist alles ein bisschen «trial and error». Aber das Gute ist ja, dass ich ein Mann bin und darum bloss etwa vier von zehn Anforderungen erfüllen muss, um mich einer Aufgabe gewachsen zu fühlen.

Es gibt ja heute eigentlich keine Probleme mehr bei der Gleichstellung. Brauchen wir euren Feministenverein wirklich?

Ich habe im Gegenteil das Gefühl, es gibt noch sehr viele Probleme. Männer müssen checken, dass alle von der Gleichstellung profitieren und dass alle unter dem Patriarchat leiden. Wir kümmern uns auch um psychologische Themen und um Fragen wie: Stresst es Männer, dass auf ihnen einerseits der Druck lastet, noch immer Haupternährer sein zu müssen, und dass man ihnen gleichzeitig abspricht, frustriert zu sein darüber? Weil sie immer noch keine Gefühle zeigen dürfen?

Ist das dieses neue Männerbild, von dem man im Moment so viel hört?

Ich glaube, ja. Männlichkeit ist eigentlich sehr komplex. Und ich habe das Gefühl, viele müssen sich da selber erst neu finden – das gilt auch für uns als Verein. Wir tasten uns auch erst an dieses neue Männerbild heran und finden heraus, was diese Männer brauchen. Ich beschäftige mich momentan aber mehr mit den Männern, die gar nicht Fan sind von uns: mit dem Archetyp Macho.

Hasst du als Feminist eigentlich Männer?

Hahaha. Ich hasse Geschlechter. Wobei, Hass ist ein so starkes Wort – ich würde eher sagen, ich habe eine sehr, sehr starke Abneigung gegen eben diese machoiden Archetyp eines Mannes.

Wie ist denn dieser machoide Typ?

Er weiss immer alles besser und denkt, er ist das stärkere Geschlecht. Er hat das Gefühl, Männer dürfen keine Schwächen zeigen und Frauen seien nur für die Kinder da. Er ist mit starren Rollenbildern aufgewachsen und kann sich nicht vorstellen, anstatt Bob der Baumeister auch Arielle die Meerjungfrau sein zu dürfen. Und er ist auch nicht bereit, diese Haltung zu reflektieren.

Sasha Rosenstein
Stresst es Männer, dass auf ihnen einerseits der Druck lastet, noch immer Haupternährer sein zu müssen, und dass man ihnen gleichzeitig abspricht, frustriert zu sein darüber? Weil sie immer noch keine Gefühle zeigen dürfen?

Wie reflektierst du dich selber?

Ich finde es wichtig, zuerst mal zu schauen, weshalb ich Privilegien habe. In meinem Fall sicher, weil ich sehr männlich gelesen werde mit meiner tiefen Stimme und dem Bart, das hatte ich beides schon relativ früh. Mir wird oft Raum gegeben und zugehört, nur wegen diesen beiden Merkmalen. Und dann liegt es an mir, das zu hinterfragen: Ich achte zum Beispiel heute viel mehr darauf, ob ich in Diskussionen jemanden unterbreche. Oder ob ich einfach rede, obwohl ich gar nichts beizutragen habe. Und ich versuche auch, andere darauf aufmerksam zu machen, wenn sie das tun.

Gehst du jeweils an den feministischen Streik?

Am grossen Frauenstreik 2019 habe ich zusammen mit anderen sogenannten Solimännern die Social-Media-Kanäle des Streiks bespielt. Und ich bin kurz mit Menschen mit Beeinträchtigung mitgelaufen, einfach als Unterstützung. Aber seither nehme ich eigentlich nicht mehr am Streik teil, ich halte mich da eher im Hintergrund.

Wie es sich gehört für einen Mann.

Ja, an solchen Anlässen schon, finde ich. Der Streik gehört den Frauen. Männer können einfach unterstützen. Lustig finde ich übrigens die linken Männer, à propos linksversiffte Bubble, die ein paar Tage vor dem Streik plötzlich fragen: Kann man irgendwo noch helfen mit der Kinderbetreuung? Kann ich mich an einen Stand stellen?

Ist doch nett?

Ja eh, aber ich finde es etwas seltsam, diese Unterstützung nur anzubieten, wenn es um einen Event geht. Es gibt 364 andere Tage im Jahr, an denen Männer ihre Hilfe anbieten können. Irgendwie habe ich dann das Gefühl, es geht diesen Männern vor allem um sich selber – darum, zu zeigen, dass sie zu den Guten gehören.

Sasha Rosenstein
Männlichkeit ist eigentlich sehr komplex. Und ich habe das Gefühl, viele müssen sich da selber erst neu finden.

Wir sitzen hier in einem Café an der Sonne, du trägst kurze Hosen: Warum hast du dir nicht die Beine rasiert?

Gute Frage. Ich bin einfach ein sehr behaarter Mensch. Aber ich bin auch sehr faul und rasiere nur diejenigen Körperstellen, bei denen ich gerade Lust habe, sie zu rasieren. Manchmal sogar meine Achseln!

Da bin ich froh, dass du dir immerhin ein bisschen Mühe gibst. Ist dein Body schon beach ready?

Hey … nein! Ich bin noch sehr, sehr weiss, und ich glaube, das wird sich auch nicht ändern. Und muskulöser werde ich wohl auch nicht.

Wie läufts so mit deinem Dating-Leben, hast du eine Freundin oder einen Freund?

Ja, ich habe eine Freundin.

Gut, dann bist du sicher nicht so untervögelt wie die anderen Feministen.

Haha, oh Mann. Also, da ich ja Feminist bin, weil es bei den Frauen gut ankommt, und obendrauf noch in einer Beziehung, würde ich sagen, ich bin genau richtig gevögelt im Moment.

Ist eine feministische Beziehung nicht total anstrengend?

Hmm. Habe ich eine feministische Beziehung? Ich denke schon, eigentlich. Für mich bedeutet das vor allem, eine bestimmte Art der Kommunikation zu entwickeln. Aufeinander einzugehen, zuzuhören. Eigentlich sollte das ja normal sein. Aber ich merke schon, dass man krass miteinander wachsen kann, wenn man sich bestimmten Konflikten bewusst stellt.

Gibt es denn nichts am Feminismus, das du mühsam findest?

Doch. Ich habe früher viel Improvisationstheater gespielt, das kann ich heute nicht mehr.

Echt? Warum nicht?

Dieses Gespräch erinnert mich gerade total an das Gefühl, das ich jeweils vor meinen Auftritten hatte. Ich war ziemlich nervös vor dem Interview, weil ich oft Angst habe, etwas Falsches zu sagen. Beim Improvisationstheater wollte ich eine Mischung aus humoristisch, politisch, persönlich und feministisch hinkriegen. Das ist ein sehr schmaler Grat. Und seit ich mich mit feministischen Anliegen auseinandersetze, schwingt so viel politische Korrektheit in meinem Alltag mit, dass ich nicht mehr auf der Bühne stehen und frei Slapsticks hinlegen konnte.

Spannend.

Ja, aber eigentlich auch schade. Ich vermisse es schon, auf der Bühne zu stehen. Aber ich hatte einfach zu grosse Angst, dass ich mit meinen Witzen irgendwelche diskriminierenden Stereotypen reproduziere.

Zensiert Feminismus also Kunst?

Das würde ich so nicht sagen. Wir hatten im März einen Anlass im Kosmos zu Männlichkeit und Sexismus im Rap. Der Churer Rapper Milchmaa sagte es damals sehr treffend: Wir müssen kreative Wege finden, unsere Mütter zu beleidigen. Oder beleidigt halt mal die Väter! Dieses kompetitive Schwanzvergleichen darf ja Teil einer Kultur sein, wenn man es kreativ auslebt. Es wird dann einfach etwas komplexer, vor allem wenn es spontan passieren muss.

Vielen Dank für das Gespräch, Sasha! Wars so schlimm, wie du es dir vorgestellt hast?

Nein, gar nicht. Ich bin jetzt sogar ziemlich entspannt. Danke!

Vom männlichen Privileg, Mensch sein zu dürfen
Das Gespräch über männliche Privilegien ist von männlichen Privilegien geprägt. Unsere Kolumnistin wünscht sich eine Welt, in der das Geschlecht keine Rolle mehr spielt.
Von Tampons und rosa Steuern: Warum Frauen oft draufzahlen
In der Schweiz wurde dieses Jahr die Mehrwertsteuer auf Damenhygieneartikel gesenkt. Was das konkret bedeutet und was das Phänomen der «Pink Tax» damit zu tun hat, erfährst du hier.