Ja, ich bin eine Kampfemanze. Ich bin emanzipiert, dafür entschuldige  ich mich nicht. Warum auch? Emanzipation – stammend vom lateinischen Wort emancipatio – bedeutet im weitesten Sinne nichts anderes als Eigenständigkeit. Und eigenständig möchte ich sein. Hätte ich mich als Teenager nicht von meiner Mutter emanzipiert, wäre ich ein unmündiges Kind geblieben, und hätte ich mich nicht im Laufe meines Erwachsenenlebens von weiblichen Stereotypen distanziert, dann sähe ich aus wie ein Scherenschnitt: eine Silhouette, schemenhaft. Ass, lips, tits, that’s it.

Das reicht mir nicht. 

Ich will Sinn und Substanz, Spiel, Spass und Spannung. Ich will tanzen und taumeln, leiden und laufen und jedes Jahr wieder glücklich sein, wenn der Asphalt duftet nach dem ersten Gewitter im Mai. Ich will essen und lesen, schreiben und saufen und Sex haben mit dem Mann, den ich liebe. Und im Sommer will ich schreiend schwimmen im See.

Ich will leben, so wild und frei, wie es geht.

Nur geht das eben nicht so leicht für die meisten von uns Frauen. Ich habe Freundinnen – und du sicher auch –, die würden zum Beispiel niemals in die Badi gehen. Nie, auch nicht bei 40 Grad im Schatten. Weil sie glauben, sie hätten dafür nicht die richtige Figur. Ist das zu fassen? 

Rosanna Grüter
Ich will leben, so wild und frei, wie es geht.

Als ob sich dieses Gefühl in Kilos aufwiegen liesse: das Kribbeln im Bauch, die kindliche Angst vor der kommenden Kälte. Die Überwindung beim Sprung ins Nass, gefolgt von grünblauer, schillernder Stille und der abrupten Verlangsamung der Welt. Die eigenen Hände im Wasser, froschartig und rudernd, weiss und verzerrt. Dann auftauchen, prustend, mit Sonnencreme in den Augen und Kindergeschrei im Ohr. Und im Herzen der Satz: Es isch ändlich wider Summer. 

Darauf zu verzichten, weil der Bikini der letzten Saison nicht mehr passt: Ich kann mir das nicht vorstellen. Als ob ein paar imaginäre Kilos wichtiger wären als dieser Moment puren Glücks.


Und wieso glauben so viele Frauen immer noch an das Märchen, dass sie besonders hübsch auszusehen hätten, um einen Mann abzubekommen? Ganz abgesehen davon, dass es sich auch ohne Mann gut leben lässt: Das ist ja wohl die grösste Lüge der Menschheitsgeschichte – direkt nach der Schnapsidee, dass Eva angeblich aus Adam kam. Letzteres ist ein anderes Thema. 

Schau dich doch bitteschön mal um: Wo in der Natur buhlen magere, aufgebrezelte Weibchen um männliche Aufmerksamkeit? Eben: Nirgends.

Und, noch das: Ist es nicht schlicht und ergreifend langweilig, immer um sich selbst zu kreisen? Anstatt stundenlang die eigene Cellulite zu betrachten: Wäre es nicht spannender, endlich zu verstehen, wohin ein unendliches Universum sich ausdehnt? 

Rosanna Grüter
Anstatt zu epilieren würden wir studieren und investieren, konspirieren und revoltieren.

Verstehe mich nicht falsch: Auch ich bin nicht unberührt geblieben von den Bürden, die die Welt uns Frauen auferlegt hat. Das Patriarchat hat auch mich bis ins Mark geprägt, auch ich habe meine Teenager-Jahre mit Hungern verbracht und meine Zwanziger damit, mich halbwegs in diesem System zurechtzufinden. Auch ich habe geschminkt und gezupft, rasiert und kaschiert. Ich wünschte, ich könnte all die Zeit und all das Geld zurück haben, das ich damit verschwendet habe. 

Stell dir mal vor, wir Frauen hätten uns plötzlich alle selber gern: Wie viele Männer wären finanziell ruiniert, wie viele milliardenschwere Industrien dahin! All die Quacksalber und Mode-Mogule, Fitnessexperten und Schönheitschirurgen: Sie wären arbeitslos. 

Und jetzt stell dir zudem vor, wie viel Zeit wir plötzlich zur Verfügung hätten. Anstatt zu epilieren würden wir studieren und investieren, konspirieren und revoltieren, kurz: Wir wären unaufhaltsam. 


Je älter ich werde, desto mehr verstehe ich, wie sehr das Patriarchat von weiblicher Unsicherheit unterfüttert sein muss, um zu funktionieren. Unerreichbare Schönheitsideale wurden in der Menschheitsgeschichte häufig zur gesellschaftlichen Kontrolle von Frauen eingesetzt, gerade und insbesondere dann, wenn Frauen sich auf anderen Gebieten ein Stück Unabhängigkeit zu erobern vermochten.

Rosanna Grüter
Jede Frau, die mit sich selbst zufrieden ist, stellt eine kleine feministische Revolution dar.

Hungrige Amazonen gewinnen selten einen Krieg, und während wir in den Spiegel schauen, regieren die Männer die Welt. 

Seitdem ich das verstanden habe, weiss ich, dass jede Frau, die mit sich selbst zufrieden ist, eine kleine feministische Revolution darstellt. Wenn du dich selbst liebst, Schwester, dann gewinnen wir alle. Und ich mach gerne den Anfang, wenn dir das hilft: Chunsch cho bade? Es isch ändlich wieder Summer!