Kennst du das? Diese ganzen Themen rund um die Blockchain-Technologie hast du zwar schon zigmal gelesen, aber irgendwie weisst du noch immer nicht, weshalb sie für dich relevant sein sollen? So geht es momentan noch vielen Menschen, und genau das will der Verein Encointer in Zürich ändern.

Berührungsängste abbauen

Encointer entwickelte die digitale Lokalwährung Leu, mit deren Hilfe der Verein ein gemeinschaftliches Zusatzeinkommen etabliert hat. Gesa Feldhusen, Projektleiterin bei Leu, erklärt: «Wir wollen aufzeigen, dass Blockchain-Technologien nicht in der Tech-Bubble bleiben müssen, sondern dass alle Menschen an diesen neuen Finanzsystemen teilnehmen können. Damit wollen wir Berührungsängste nehmen und zeigen, dass digitale Währungen im Alltag aller ankommen können.»

Wenn Vermögenswerte tokenisiert werden, dann sind deren Werte und Besitzrechte auf einem dezentralen Register digital abgebildet.

Wer Leu erhalten will, muss lediglich alle zehn Tage an einem bestimmten Treffpunkt in Zürich zu einer vorgegebenen Zeit auftauchen – im realen Leben, nicht digital! Im Gegenzug erhält man 44 Leu für sein digitales Wallet. Das entspricht derzeit 44 Franken. Damit verknüpft Leu die digitale Welt mit der physischen: Wer am Treffpunkt erscheint, beweist damit, dass hinter jedem Wallet ein Mensch steht. «Hinter Leu steckt die Idee, dass jeder Mensch ein Anrecht auf ein Community-Einkommen – und damit eine Möglichkeit, am Leben in Zürich zu partizipieren – haben soll. Wir wollen Ungleichheit reduzieren und Chancengerechtigkeit fördern», erklärt Gesa Feldhusen.

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Wallet: Ein Wallet ist eine Art digitale Brieftasche, in der du Krypto-Vermögenswerte – sogenannte Krypto-Assets – sicher aufbewahren kannst. 

Tokenisierung verändert die Finanzwelt

Hinter Leu steckt der Prozess der Tokenisierung. Damit ist die Erstellung eines digitalen Vermögenswertes mittels Nutzung der Blockchain-Technologie gemeint. Vereinfacht gesagt: Wenn Vermögenswerte tokenisiert werden, dann sind deren Werte und Besitzrechte auf einem dezentralen Register digital abgebildet. Im Unterschied zum traditionellen Finanzsystem kontrolliert also nicht eine zentrale Stelle (ein Finanzintermediär) das Register, sondern ein Netzwerk von Teilnehmer:innen. Der Nachweis von Eigentum ist für alle transparent einsehbar auf der Blockchain – entsprechend braucht es keine Finanzintermediäre.

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Distributed Ledger Technologien (DLT): Bei einem dezentralen (distributed) Register (Ledger) werden Transaktionen und neue Informationen von einem Netzwerk an Computern erfasst und für gültig erklärt. Danach können sie weder geändert noch gelöscht werden. Ein wesentliches Element ist die Abwesenheit einer zentralen Stelle, welche die alleinige Verfügungsmacht über das System hat. Die Blockchain-Technologie ist eine Anwendungsform davon.

Ein Beispiel gefällig? Statt einem physischen Dokument hält ein Token fest, wem dieser Vermögenswert gehört. Bei einer tokenisierten Aktie wird also auf der Blockchain abgebildet, wem diese Aktie gehört und wie viel Wert sie hat. Wenn diese Aktie verkauft oder übertragen wird und dabei an Wert gewinnt, ist auch dies auf der Blockchain sichtbar. Gleiches geht mit allen anderen Vermögenswerten wie Währungen, Immobilien oder Kunstwerken – auch sie können tokenisiert werden.

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DLT-Regulierung in der Schweiz: Die Schweiz hat im Jahr 2021 die DLT-Gesetzgebung in Kraft gesetzt und die sogenannten Registerwertrechte eingeführt. Anlage-Token wie zum Beispiel tokenisierte Aktien können seither in ein elektronisches Register eingetragen werden und weisen die gleiche Funktionalität und den gleichen Rechtsschutz auf wie physische Wertpapiere.

Das mag vielleicht sehr technisch und nicht sonderlich innovativ klingen – aber: Die Tokenisierung von Vermögenswerten könnte für uns alle reale Vorteile bringen und die Finanzwelt künftig ein Stück zugänglicher und unabhängiger machen.

Neue Anlageklassen werden für die Masse zugänglich

Zum einen erlaubt die Tokenisierung von Vermögenswerten auch deren Stückelung. Dadurch reduziert sich die benötigte Mindestanlagesumme pro Investor:in. Investor:innen mit sehr kleinen Budgets könnten also künftig in Vermögenswerte investieren, die bisher ausserhalb ihrer finanziellen Möglichkeiten lagen. Anlageklassen wie Immobilien oder Kunstwerke werden so für grosse, bisher ausgeschlossene Gruppen zugänglich.

Diese Stückelung ist bei Anlagekategorien wie beispielsweise Immobilien in der traditionellen Finanzwelt noch unüblich oder gar nicht möglich. Durch die Tokenisierung können sich eine Vielzahl – also tausende von Investor:innen – gemeinsam an einer Immobilie beteiligen. Und das, ohne dass sie sich kennen. Das geteilte Eigentum kann in Tokens abgebildet werden.

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Tokens: Es können jegliche Vermögenswerte tokenisiert werden, solche mit Zahlungs- oder Anlagefunktion, aber auch solche mit einer Nutzungsfunktion. Tokens mit einer Zahlungsfunktion sind beispielsweise Kryptowährungen. Tokens mit einer Anlagefunktion sind etwa digitale Aktien oder tokenisierte Immobilien. Und Tokens mit einer Nutzungsfunktion sind unter anderem NFTs, die dir beispielsweise den Zugang zu einem Onlinespiel ermöglichen

Tokens ermöglichen ausserdem eine vereinfachte Übertragbarkeit von Vermögenswerten. Technisch betrachtet wird lediglich die Wallet-Adresse der anderen Partei benötigt, um den Vermögenswert zu transferieren. Und dazu braucht es keine Bank oder einen anderen Finanzintermediär. Das ist eine Revolution, denn bisher war dies nicht möglich: Wenn du zum Beispiel einer Person Geld übertragen möchtest, musst du sie entweder physisch treffen oder aber das ganze über deine Bank abwickeln. Durch die Blockchain wird die Übertragbarkeit von Vermögenswerten vereinfacht: Wenn du einen Vermögenswert an jemand anderen überträgst, dann ist dies unveränderbar und transparent auf der Blockchain festgehalten. Du selbst kannst diesen Vermögenswert dann nicht mehr ausgeben. Das war bisher ohne einen Finanzintermediär oder eine physische Übergabe nicht möglich: Du konntest nicht einfach per E-Mail 20 Franken versenden.

Unabhängige Kreislaufwirtschaft

Zurück zur digitalen Währung Leu, ein Token mit einer Zahlungsfunktion. Der Verein Encointer bietet die Werkzeuge, damit unabhängige Lokalwährungen lanciert werden können und so ein dezentrales Finanzsystem entstehen kann, das ohne klassische Finanzintermediäre funktioniert. Leu ist die erste dieser Lokalwährungen und die Pionierin. Gesa Feldhusen erklärt: «Mit Leu schaffen wir eine Art Wirtschaftskreislauf. Die Leute können Leu lokal in Zürich ausgeben und sich gegenseitig unterstützen. Das stärkt den gemeinschaftlichen Charakter von Leu.» Der Token  schafft für die Nutzer:innen auch Anreize, dass sie die Währung zeitnah ausgeben – ihr Wert nimmt nämlich mit der Haltedauer stetig ab.

Blockchain-Innovationen haben das Potenzial, die Finanzwelt grundlegend auf den Kopf zu stellen.

Feldhusen betont, dass Leu nicht unsere normale Währung konkurrenzieren will: «Das Projekt soll einfach ein Zusatzeinkommen generieren und Menschen helfen, am Leben in Zürich zu partizipieren.» Und dafür ist die Community ein wichtiges Element, denn nur wenn genug Menschen an die Währung glauben, funktioniert sie. Bei Leu zeigt sich: Dieses Vertrauen und das Interesse an digitalen Währungen ist da. In Zürich akzeptieren bereits verschiedene Betriebe den Leu als Zahlungsmittel, zum Beispiel die Bar Sphères oder das Lebensmittelgeschäft Berg und Tal im Kreis 5. «Diese Unternehmen wollen sich lokal vernetzen und sehen mit Leu eine Möglichkeit, um neue Beziehungen aufzubauen, sei dies mit Kund:innen oder mit Lieferant:innen, die ebenfalls Leu nutzen», erklärt Feldhusen. Zudem sei bei vielen Akzeptanzstellen auch der soziale Charakter hinter Leu ein massgebliches Argument.

Damit ist Leu ein schönes Anwendungsbeispiel, das zeigt: Es braucht eine entsprechende Infrastruktur und Interesse aus der Gesellschaft, damit digitale Vermögenswerte sinnvoll werden. Es wird sich noch zeigen, in welchen Bereichen sich diese Infrastrukturen künftig etablieren werden. So viel ist aber klar: Blockchain-Innovationen haben das Potenzial, die Finanzwelt grundlegend auf den Kopf zu stellen.

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