«Normalerweise leiten nur Männer die richtig grossen Monsterfirmen, und die Firmen von Frauen sind viel kleiner – es ist wie ein ungeschriebenes Gesetz in der Technologiebranche.» Damit bringt Whitney Wolfe Herd, CEO und Gründerin von Bumble, die Regeln der Start-up-Szene auf den Punkt. Die Gründerin der digitalen Dating-Plattform, auf der Frauen den ersten Schritt machen, ist selbst eine der wenigen Ausnahmen – auf der ganzen Linie. Whitney Wolfe Herd hat es geschafft, als Frau ein Unternehmen zu gründen, finanzielle Mittel dafür aufzutreiben und es an die Börse zu bringen. Heute hat Bumble einen Börsenwert von rund sieben Milliarden US-Dollar. Eine Erfolgsgeschichte, wie sie nur wenige Frauen schreiben können.

Whitney Wolfe Herd, CEO und Gründerin von Bumble
«Normalerweise leiten nur Männer die richtig grossen Monsterfirmen, und die Firmen von Frauen sind viel kleiner – es ist wie ein ungeschriebenes Gesetz in der Technologiebranche.»

2021 war in der Schweiz ein Jahr der Rekorde für Start-ups. 50'545 neue Firmen wurden ins Handelsregister eingetragen. Erstmals übersteigt die Zahl der Neugründungen damit die 50'000er-Marke. Doch nur rund 0,8 Prozent dieser Unternehmen – also 300 bis 400 – sind Start-ups. Per Definition zeichnet sich ein Start-up dadurch aus, dass seine Gründer:innen eine innovative Geschäftsidee mit hohem Wachstumspotenzial verfolgen, oft aus den Bereichen Informations- und Kommunikationstechnologie, Fintech, Biotech oder Medtech. Auch das Risikokapital für Start-ups, das Venture Capital, verteilten die Investor:innen im vergangenen Jahr so grosszügig wie nie zuvor. Laut dem Swiss Venture Capital Report 2022 flossen rund 3 Milliarden Franken in Jungunternehmen. Das entspricht einer Zunahme von 44 Prozent gegenüber 2020.

Keine Frau unter den ersten zehn

So weit, so erfreulich. Weniger erfreulich ist die Verteilung dieses Kapitals. Der Grossteil der finanziellen Mittel ging 2021 an Jungunternehmen, die sowohl von Männern gegründet als auch geführt werden. Die zehn Start-ups, die laut Venture Capital Report im vergangenen Jahr in der Schweiz am meisten Risikokapital erhielten, haben weder eine Frau in ihrem Gründerteam noch an der Spitze. Bei den Start-ups auf den Plätzen 11 bis 20 ist gerade mal eine Frau Mitglied eines Gründer:innenteams. Sie ist auch CEO. Ein weiteres Unternehmen hat eine Frau an der Spitze. Diese 20 Start-ups erhielten 63 Prozent der in der Schweiz getätigten Investitionen im Venture-Capital-Bereich, also rund 1,9 Milliarden Franken.

Venture Capital Report
Die zehn Start-ups, die 2021 in der Schweiz am meisten Risikokapital erhielten, haben weder eine Frau in ihrem Gründerteam noch an der Spitze.

Fakt bleibt: Frauen sind dort, wo sie die Welt mit Ideen und viel Geld verändern könnten, nicht dabei. Darüber können auch Ausnahmen wie Bumble-CEO Whitney Wolfe Herd nicht hinwegtäuschen.

Unternehmerinnen erhalten nur drei Prozent des Risikokapitals

Dem EU-Start-up-Monitor zufolge sind in der Schweiz nur 20 Prozent der Start-up-Gründerinnen Frauen. Hier öffnet sich eine grosse Kluft, denn bei den Unternehmensgründungen ausserhalb der Start-up-Branche liegt der Frauenanteil mit fast 38 Prozent deutlich höher. Die Schweiz reiht sich damit in die globale Tendenz ein. Weltweit liegt der Frauenanteil von Start-up-Gründerinnen bei nur 14 Prozent, in Europa bei 16 Prozent und in den USA immerhin bei 28 Prozent. Am meisten Frauen gründen im europäischen Raum in Polen und Ungarn (jeweils 24 Prozent), am wenigsten in Portugal (5 Prozent).

Weltweit liegt der Frauenanteil von Start-up-Gründerinnen bei nur 14, in Europa bei 16 Prozent und in den USA immerhin bei 28 Prozent.

Noch deutlicher wird der Gender-Gap, wenn es um die Verteilung der Gelder geht. Weltweit erhalten gemäss Crunchbase rein weibliche Gründerinnenteams lediglich 3 Prozent des Kapitals. Gemischte Teams bekommen 9 Prozent. 88 Prozent des Risikokapitals für Start-ups gehen an Männerteams. Eigentlich unverständlich: Frauen, so belegen Studien, wirtschaften besser und gewinnbringender für Investor:innen als ihre männlichen Kollegen. Aus 100 Dollar, die man in sie investiert, machen Frauen 78, Männer lediglich 31 Dollar Umsatz. Start-ups von Frauen haben zudem eine höhere Überlebensrate.

Der Kampf gegen Vorurteile

So gesehen, ist die Start-up-Szene ein Herrenclub. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Zum einen sind Frauen in den MINT-Fächern noch immer untervertreten. Ein wesentlicher Anteil der Innovationsprojekte basiert jedoch genau auf diesen technischen Wissenschaften. Zum andern ist die Gewinnmaximierung für Unternehmerinnen – im Gegensatz zu Investor:innen – häufig nicht das oberste Ziel, genauso wenig wie ein schnelles Wachstum. Viele gründen aus einer Notwendigkeit heraus und zielen auf ein langfristiges, stabiles Wachstum. Daneben fehlt es Frauen an Netzwerken.

Der wohl zentralste Punkt, der Unternehmerinnen das Leben erschwert: Frauen kämpfen auf ihrem Gründungsweg gegen zahlreiche Vorurteile. «Frauen müssen auf ihrem Weg an die Spitze eine ganze Reihe von Hindernissen überwinden. Unter anderem, weil Frauen in der Start-up-Szene mit unterschiedlichen Vorurteilen und Stereotypen zu kämpfen haben», sagt Natalie Suess, Co-Initiantin der Female Founder Initiative.

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Besonders deutlich zeigt sich dieser Genderbias bei der Suche nach finanziellen Mitteln. Investor:innen schätzen Frauen häufig als weniger kompetent und risikofreudig sowie weniger leistungs- und profitorientiert ein als Männer. In Pitch-Situationen müssen Frauen ihre Kompetenzen mehr unter Beweis stellen. Während Männer in diesem Rahmen die Möglichkeit erhalten, über Potenziale ihrer Idee zu sprechen, müssen Frauen Stellung nehmen zu möglichen Verlusten oder negativen Szenarien. Wie der Female Founders Monitor aufzeigt, finden Geldgeber:innen zudem Jungunternehmer, die sich aus dem Fenster lehnen, mutig und risikofreudig. Tun Jungunternehmerinnen dasselbe, stempeln sie diese als naiv oder schlecht informiert ab.

Männer investieren lieber in Männer

An Risikokapital für ihr Start-up zu gelangen, ist für Unternehmerinnen auch deshalb ungleich schwieriger, weil auf Investor:innenseite vor allem Männer sitzen. Der Grundsatz «Gleich und Gleich gesellt sich gern» gilt auch hier. Männer investieren häufiger und lieber in Männer als in Frauen. Wie eine Untersuchung der Hochschule Luzern, die sich mit dem Thema Finanzierung von Gründerinnen befasst, ausführt, ist der Ähnlichkeits-Bias der Hauptgrund dafür. Will heissen: Man vertraut eher einem Gegenüber, das einem selbst möglichst ähnlich ist. Erfolg ist in den Köpfen vieler nach wie vor eine Männerdomäne. Und schliesslich zahlt es sich für Männer aus, dass sie in Wettbewerbssituationen oft selbstbewusster auftreten als Frauen. Dies allerdings nicht, weil sie tatsächlich kompetenter wären, sondern weil sie dazu neigen, ihre Fähigkeiten, ihr Know-how und ihre Expertise zu überschätzen.

An Risikokapital für ihr Start-up zu gelangen, ist für Unternehmerinnen auch deshalb ungleich schwieriger, weil auf Investor:innenseite vor allem Männer sitzen. Der Grundsatz «Gleich und Gleich gesellt sich gern» gilt auch hier. Männer investieren häufiger und lieber in Männer als in Frauen.

Und dann gibt es noch eine zusätzliche Hürde für Frauen: Investoren interessieren sich laut der Studie der Hochschule Luzern weniger für «weibliche Ideen». Teilweise stufen sie Innovationen von Frauen – vor allem aus dem Bereich Femtech – schlicht als weniger wichtig ein. Eine seltsame Unterschätzung. Immerhin betreffen die Themen der weiblichen Gesundheit die Hälfte der Bevölkerung.

Es braucht gezielte Förderung und Massnahmen

Dass das Geld in der Start-up-Szene vor allem von Mann zu Mann fliesst, ist nicht nur ungerecht für Gründerinnen. Es sind auch verpasste Chancen. Frauenideen erhalten so kaum Geld und Wachstumschancen. Weibliche Produkte und Geschäfte bleiben klein und haben wenig Wirkung. Die Folgen: schlechtere Produkte und Plattformen und letztlich auch Profite für mindestens die Hälfte der Bevölkerung. Hinzu kommt, dass auch die Bedürfnisse von Teilen der Gesellschaft zu kurz kommen: Frauen berücksichtigen deutlich mehr die Bedürfnisse von Kindern oder älteren Menschen. Auch Nachhaltigkeitsthemen geniessen bei Frauen mehr Priorität.

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Und schliesslich verpassen auch Investor:innen viele Chancen. Das findet Isabelle Siegrist. Die CEO und Gründerin von Sandborn coacht Start-ups, bringt Gründer:innen und Investor:innen zusammen und investiert selbst. «Geschäftsideen von Frauen sind ein riesiger Investitionsbereich, der besser ausgeschöpft werden sollte. Da liegt Potenzial brach.» Isabelle Siegrist fördert gezielt frauengeführte Start-ups. Um etwas zu verändern, brauche es konkrete Massnahmen. Die Unternehmerin hat diese in einem Aktionsplan in vier Punkten definiert. Erstens: die gezielte Suche von Investor:innen nach frauengeführten Unternehmen. Zweitens: eine höhere Diversität in den Gründer:innen-Teams. Drittens: eine Erhöhung der Dealflows – also der Vorschläge, die Investoren unterbreitet werden. Viertens: Die Überprüfung von Entscheidungsprozessen auf Investor:innenseite bezüglich Genderneutralität. «Es braucht eine systematische Förderung von Gründerinnen, damit das Start-up-Ökosystem diverser wird», betont Siegrist.

Und die Start-up-Welt bewegt sich doch

Tatsächlich ist das Ökosystem in Bewegung. Verschiedene Organisationen haben ein Augenmerk auf den Gender-Gründungs-Gap gelegt. «Wir stellen einen leichten Trend fest. Immer mehr Organisationen fördern Frauen und suchen gezielt nach Ideen von Frauen», sagt Natalie Suess. Zudem gebe es vermehrt Unterstützungsangebote, die sich an Gründerinnen richten, ergänzt Matthias Filser, Head des Startup Campus Consortium.

Zu einem ähnlichen Schluss kommt Innosuisse, die Schweizerische Agentur für Innovationsförderung des Bundes. Im Rahmen ihrer Start-up-Trainings verzeichnete sie 2021 einen Frauenanteil von 46 Prozent, bei rund 5500 Teilnehmenden. «Im Jahr 2020 waren es noch 43 Prozent. Davor noch weniger», sagt Lukas Krienbühl, Co-Leiter Kommunikation bei Innosuisse.

Rollenvorbilder sichtbar machen

Zu diesem Anstieg haben laut Krienbühl vor allem Sensibilisierungsmassnahmen geführt. «Innosuisse legt Wert darauf, dass bei den Mitarbeitenden, im Innovationsrat und bei den Start-up-Coaches Frauen und Männer angemessen vertreten sind.» So würden gezielt weibliche Coaches und Mentorinnen rekrutiert, auch um eine Vorbildfunktion wahrzunehmen, betont Krienbühl. Die Thematik der Rollenvorbilder nimmt die Female Founder Map ebenfalls auf. Die Karte umfasst rund 350 Einträge von frauengeführten Unternehmen. «Wir möchten Unternehmerinnen sichtbar machen. Es soll keine Ausreden mehr geben, wenn für Events weibliche Speaker gesucht werden. Auch für Journalisten und Investoren soll die Female Founder Map auf einen Blick relevante Personen und Kontakte aufzeigen», erklärt Natalie Suess.

Grossangelegte Initiativen fehlen

Die Problematik der fehlenden Gründerinnen rückt zwar vermehrt ins Bewusstsein. Die Entwicklung schreitet jedoch langsam voran. Auch, weil in der Schweiz koordinierte Initiativen mit klaren Forderungen und messbaren Zielen fehlen. Die Förderinstrumente von Innosuisse beinhalten weder Frauenquoten noch spezifische Angebote ausschliesslich für Frauen. Und auch auf politischer Ebene sucht man das Thema bisher vergebens. Die Nationalrät:innen Judith Bellaiche (GLP) und Andri Silberschmid (FDP) haben zwar die parlamentarische Gruppe «Start-ups und Unternehmertum» gegründet, unter anderem mit dem Ziel, die Rahmenbedingungen für Start-ups zu verbessern. Die explizite Frauenförderung ist aber bisher kein Schwerpunkt, wie Bellaiche auf Anfrage sagt.

Dass es auch anders geht, zeigt ein Blick über die Landesgrenze. So hat Norwegen eine Quote eingeführt, um sicherzustellen, dass Unternehmerinnen einen fairen Anteil an finanziellen Mitteln erhalten. In Deutschland haben der Bundesverband Deutsche Startups und der Digitalverband Bitkom im Frühjahr 2021 eine Diversity-Initiative lanciert. Mitgetragen wird sie von zahlreichen Gründer:innen sowie namhaften Risikokapitalgebern. Die Initianten verlangen mehr Transparenz in den Venture Capital Fonds bezüglich Frauenanteil im Investment-Team sowie in den Portfolios, die Einrichtung eines Fonds für die langfristige Finanzierung von frauengeführten Unternehmen und Frauenquoten für bestimmte Stipendien.