Frauen sind in der Start-up-Welt die Ausnahme. Nur 20 Prozent der Gründer:innen in der Schweiz sind weiblich. Wenn es ums Geld geht, sieht es noch düsterer aus. Frauenideen erhalten gerade mal drei Prozent des Kapitals. Wie bewegen sich Frauen in einem männlichen System? Gegen welche Vorurteile müssen sie ankommen? Und was macht die Start-up-Szene frauenfreundlicher? In Teil 2 der Serie «Female Founders» teilen vier Gründerinnen ihre Erfahrungen.

Belén Bolliger, OiOiOi
Wir müssen die Veränderung sein, die wir sehen wollen.
Belén Bolliger

Belén Bolliger (36) hat gemeinsam mit Anna Mucha im Jahr 2020 OiOiOi gegründet.  Das Unternehmen bietet Bio-Kleidung für Babys und Kinder im Abomodell an. Die Founders schliessen aktuell ihre erste Investitionsrunde ab.

Wir waren bisher selbst finanziert und schliessen gerade unsere erste Investitionsrunde ab. Obwohl sich die Start-up-Szene bemüht, sich Richtung Gender-Equality zu entwickeln, hinken wir in der Schweiz im internationalen Vergleich ernüchternd weit hinterher. Gründerinnen werden nach wie vor mit Vorurteilen konfrontiert, wovon die männlichen Kollegen wenig mitbekommen. Auch wir haben dies mit unserem Business erfahren. Das liegt einerseits am Geschäftsfeld: Unsere Zielgruppen sind Mütter und Väter. Es geht um Babys und Kinder. Mit dieser Ausgangslage wurde unser Business ungewollt immer wieder in eine Ecke gestellt, in die es nicht gehört. Es ist kein Projekt. Wir haben eine Vision: Wir wollen den Kinderkleidermarkt revolutionieren, indem wir die nachhaltigste Mietlösung auf dem Markt bieten. Es ist ein zeitgemässer und skalierbarer Service für die Eltern von heute.

Dads haben coole Start-ups, Moms Projekte

Auf der anderen Seite bekommen wir tatsächlich immer wieder mal die Frage nach der Vereinbarkeit gestellt. Hätten anstelle von uns zwei Männer gepitcht und gesagt: «Hey, wir sind Väter und haben festgestellt, dass es eine Lücke in Sachen Kinderkleider gibt. Da ist ein Markt, der danach schreit, bedient zu werden, und der nachhaltige und praktische Lösungen braucht.» Die Investor:innen würden sagen: «Wow, das sind tolle Dads mit einer coolen Idee.» Vereinbarkeit von Familie und Unternehmen wäre kein Thema. Der Fokus läge klar auf der Vision des Unternehmens. Das sollte bei Frauen nicht anders sein.

Damit sich dies ändert, braucht es mehr Diversität auf der Gründer:innen- und Investor:innenseite. Diese Vielfalt muss verstärkt und systematisch gefördert werden. Nur so wird das Start-up-Ökosystem inklusiver und attraktiver. Es braucht jetzt einen Push, damit wir langfristig eine Balance finden. Investor:innen müssen bemüht sein, für anstehende Investitionsrunden eine spannende Pipeline an female-founded Start-ups sicherzustellen. Gründerinnen hingegen sollten so viel wie möglich von bestehenden Angeboten und Netzwerken profitieren, um das Ökosystem zu beeinflussen. Wir müssen die Veränderung sein, die wir sehen wollen, und dürfen nicht einfach auf diese warten.

Ich spüre heute aber mehr Drive in der Female-Start-up-Szene und habe auch viele gute Begegnungen. Die Gründerinnen-Community wächst. Die Stimmung hat sich in den letzten zwei Jahren positiv verändert. Der Mindset unter den Gründerinnen ist heute geprägt von Optimismus und dem Willen, voranzukommen. Man trifft auf Unterstützung, Offenheit, Transparenz und Motivation. Auch die VC-Seite bewegt sich. Partner- und Analystenpositionen werden vermehrt mit weiblichen Experten besetzt. Das ist wichtig, um dem Similarity-Bias, sprich dem urmenschlichen Bedürfnis, mit ähnlichen Menschen und Gleichgesinnten zusammenzuspannen, entgegenzuwirken. Denn diesen gibt es durchaus noch.

Elisabeth Dewey, Organic Mondays
Die fehlende Betroffenheit ist für uns eine Herausforderung. Damit geht oft ein mangelndes Interesse an Femcare und Femtech einher.
Elisabeth Dewey

Elisabeth Dewey (49) hat im Jahr 2018 gemeinsam mit Nancy Saddington Organic Mondays gegründet. Ihr Start-up bietet nachhaltige, plastikfreie Menstruationsprodukte für Privatpersonen und Unternehmen im Abo an.

Die Idee für Organic Mondays ist über Jahre gewachsen. Meine Co-Founderin hat nach der Geburt erfahren, dass die handelsüblichen Binden Plastik enthalten, was der Gesundheit schadet. Gleichzeitig ist uns aufgefallen, dass sich Femcare in den letzten Jahren kaum weiterentwickelt hat. Die Regale in den Läden sehen aus wie vor 20 Jahren. Die selben Produkte, die selben Marken.

Im Kickstart-Programm und bei der Investor:innensuche lernten wir schnell, wie wichtig es ist, zu wissen, mit wem man spricht. Sassen uns Frauen gegenüber, waren die Fakten zum Plastik und die Auswirkung auf die Gesundheit unsere Hauptbotschaft. Das hat bewegt und schockiert.

Lost in Translation – Periodenprodukte sind keine Nische

Bei Männern mussten wir anders vorgehen. Wir haben unseren Pitch so angepasst, dass wir mit einem Beispiel aus ihrer Lebenswelt einstiegen. Wir hatten grundsätzlich viele Interessenten und gute Gespräche. Trotzdem war die fehlende Betroffenheit für uns eine Herausforderung. Damit ging oft ein mangelndes Interesse an Femcare und Femtech einher. So kommentierten Investoren beispielsweise, dass wir ein Nischenprodukt anbieten. Dabei nutzen 50 Prozent der Bevölkerung während rund der Hälfte ihres Lebens Binden oder Tampons. Ein anderer Investor hat uns einmal korrigiert, als wir uns als Femtech-Unternehmen vorstellten. Er sagte: «Ihr meint wohl Fintech, oder?» Das war im Jahr 2019!

Als Gründerin darf man solche Situationen nicht persönlich nehmen und muss einfach aus ihnen lernen. Wir haben uns gesagt: Hätten wir ein Medtech- oder Biotech-Unternehmen, müssten wir unserem Gegenüber auch vieles von Grund auf erklären. Das ist bei Femtech nicht anders. Für uns hiess das, dass wir Zahlen und Erklärungen liefern mussten – einerseits zum Markt, andererseits zur Periode. Was ist die Periode? Wie lange dauert sie? Wie viele Produkte braucht eine Frau?

Bewertungen von Start-ups kalkulieren Männer

Wir haben auch immer mal wieder die klassischen «Frauen-Fragen» gestellt bekommen: «Was hält Ihr Mann von Ihrer Idee und davon, dass Sie ein Start-up gründen? Wie werden Sie das mit der Familie regeln?» Damit das aufhört, braucht es Veränderungen in den Köpfen jedes Einzelnen und im System als Ganzes. Auf Investor:innenseite fehlen die jungen Frauen. Die Bereiche Research und Analyse sind in Männerhand. Das hat Folgen für die Entscheidungen und Bewertungen. Hier wäre ich für eine Quote. Es muss sichergestellt sein, dass genügend Frauen auf Investor:innenseite tätig sind und ihre Sicht einbringen. Wichtig finde ich auch, dass Pitches genderneutral werden. Natürlich geht das nicht bei allen Themen gleich gut. Ich bin aber überzeugt, dass so Raum für Veränderung entstehen kann. Wir sind alle Menschen, und wir alle haben unbewusste Vorurteile, die uns lenken und unsere Entscheidungen beeinflussen. Wir müssen Wege finden, diese Vorurteile zu umgehen oder auszuschalten.

Laura Matter, Noii
Ich war an zahlreichen Events, und nicht selten waren wir eine oder zwei Frauen unter 30 Männern. Das kann nicht sein.
Laura Matter

Laura Matter (22) hat im März 2022 die videobasierte Datingplattform Noii gegründet, gemeinsam mit Thomas Kuschel und Vladislav Lisavcov. An der Idee und der Plattform arbeitet Laura Matter bereit seit rund eineinhalb Jahren. Aktuell stecken die Founders in ihrer ersten Pre-Seed-Runde.

Es ist die beste Zeit, um als junge Frau ein Unternehmen zu gründen. Davon bin ich überzeugt. Es braucht etwas Mut, aber man bekommt viel Unterstützung. So habe ich es zumindest erlebt. Ich habe für unser Unternehmen den Finanzierungsprozess übernommen, weil mir das von uns allen am besten liegt. Ich habe viele Kontakte, netzwerke gut und kenne das Unternehmen am besten. In den Gesprächen wurde oft meine Erfahrung hinterfragt, was sicher mit meinem Alter zu tun hat. Es kann sein, dass Investor:innen bei einer jungen Frau diesbezüglich noch etwas kritischer sind als bei einem jungen Mann. Grundsätzlich habe ich aber wenig Vorurteile gespürt. Ich bin sogar auf einige männliche Investoren gestossen, die gezielt nach Female Founders suchen. Natürlich ist es noch nicht die Mehrheit, aber trotzdem tut sich was.

Was ziehe ich an, wie wirke ich?

In diesem Finanzierungsprozess habe ich festgestellt, dass ich als Frau kritischer mit mir bin als meine beiden männlichen Mitgründer es mit sich sind. Ich habe mich vor Gesprächen sehr gut vorbereitet. Bin vieles durchgegangen und habe mir auch gut überlegt, was ich anziehe und welche Wirkung ich damit erziele. Meine beiden Kollegen sagten dann: «Zieh halt einfach was an.» Ich habe mich auch oft gefragt, was mein Umfeld von mir denkt, jetzt, wo ich eine Dating-App mache. Frauen sollten viel selbstbewusster und weniger kritisch mit sich sein. Das musste ich auch lernen. Heute sage ich mir: Ich bin von meiner Idee überzeugt, ich will den Datingmarkt aufmischen und ich zieh das jetzt durch.

Alleine unter Männern

Im Start-up-Umfeld wünschen ich mir vor allem zwei Veränderungen. Erstens: Frauen müssen mehr Raum erhalten und präsenter sein. Ich war an zahlreichen Events, und nicht selten waren wir eine oder zwei Frauen unter 30 Männern. Das kann nicht sein. Es ist Aufgabe der Organisator:innen, dafür zu sorgen, dass Frauen ausreichend vertreten sind. Das gilt auch für die weitere Förderung. Es müssen mehr Investitionen in Gründerinnen fliessen.

Der zweite Punkt betrifft den Austausch unter den Female Founders. Dieser findet zwar statt, aber Gründer:innen können untereinander noch offener werden. Da schliesse ich mich mit ein. Wenn man mit Gründern spricht, erzählen viele gleich, wie viel sie gerised haben, wie viel sie abgeben oder welche Investor:innen an Bord sind. Das hat manchmal etwas Grossspuriges und wirkt prahlerisch. Auf der anderen Seite schätze ich diese Offenheit. Frauen sind da deutlich zurückhaltender. Man spricht nicht gerne über Zahlen oder nennt Namen. Wir müssen als Gründerinnen noch mehr einen Unterstützungsgedanken leben, damit wir einen Safe Space für uns und unsere Ideen schaffen.

Estefania Tapias
Es braucht faire Chance für alle Ideen.
Estefania Tapias

Estefania Tapias (33) war Co-Founder von WeSpace, einem Co-Working-Space für Frauen. Sie gründete das Unternehmen im Jahr 2018 gemeinsam mit Laura Seifert. Inzwischen hat sie sich vom Start-up getrennt, lebt in Paris und ist als Smart-Cities-Consultant tätig.

Eine unserer grössten Herausforderungen war, unsere Vision zu vermitteln. Wir haben einen Co-Working-Space für Frauen gegründet. Nach einer Pilotphase im Frühling 2018 eröffneten wir im Sommer unseren Space in der Stadt Zürich. Damit mussten wir uns entscheiden, wie wir auftreten: Kommunizieren wir unsere eigentliche Absicht? Nämlich dass wir Frauen in der Businesswelt pushen und mit voller Kraft voranbringen wollen, no matter what? Weil die Gaps zwischen Female Founders und Male Founders zu gross sind und die Gleichstellung noch nicht da ist, wo sie sein sollte? Oder kommunizieren wir zurückhaltender, indem wir mehr darüber sprechen, dass wir Frauen ein inspirierendes Umfeld und praktische Unterstützung in Form eines Netzwerks bieten möchten?

Männer fühlen sich sofort ausgeschlossen

Wir haben den zweiten Weg gewählt. Warum? Weil der erste oft Verärgerung, Unverständnis oder Desinteresse auslöste. Viele Männer reagierten pikiert auf unsere Vision oder fühlten sich ausgeschlossen, was sie bei jeder Gelegenheit zur Sprache brachten. «Darf ich als Mann überhaupt hier rein?!»

Besonders zu spüren bekamen wir das, als wir beschlossen, zu expandieren und nach Kapital zu suchen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir das Projekt selbst finanziert. Nach einigen Gesprächen mit potenziellen Investro:innen pitchten wir unsere Idee anders: neutraler und näher dran an den Männern, die uns auf Investorenseite gegenüberstanden. Das hatte zwar einen gewissen Effekt. Trotzdem wurden wir nicht immer ernst genommen. Ich hatte beispielsweise mit einem Analysten eines VC-Fonds zu tun. Wir tauschten uns mehrmals aus. Plötzlich gab er den Case weiter an eine Arbeitskollegin. Bei einem Gespräch mit ihr stellte ich fest, dass sie keine Lust hatte, mit mir zu reden. Ich sprach sie darauf an. Sie erklärte mir, sie sei die einzige Frau im Unternehmen, komme ein Case rein, der mit Frauen zu tun habe, lande er bei ihr – wie wir. Die Männer hatten uns alle in die Frauenschublade gesteckt. Das war für uns genauso frustrierend wie für unser Gegenüber.

Die Kapitalsuche war insgesamt kräftezehrend, vor allem weil wir die meiste Zeit damit beschäftigt waren, eine taktisch kluge Kommunikation zu finden. Ende 2019 entschieden wir uns, das Unternehmen zu verkaufen, weil wir beide – unabhängig voneinander – ins Ausland ziehen wollten. Mir ist klar geworden, dass Frauen im Start-up-Umfeld anders funktionieren. Profit, schnelles Wachstum und eine hohe Skalierbarkeit einer Geschäftsidee ist für viele Frauen nicht der Antrieb. Sie handeln eher wirkungsorientiert. Ich sage nicht, dass das besser ist. Es braucht alle Ideen. Und es braucht faire Chance für alle Ideen. Damit das gelingt, ist Vielfalt zwingend – in den Gründer:innenteams genauso wie auf Investor:innenseite.

Die Welt der Start-ups ist ein Herrenclub. Teil 1 der Serie «Female Founders» beleuchtet, warum das eine verpasste Chance ist und was sich ändern muss, damit die Innovationskraft von Frauen genutzt werden kann.

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