Wir fragen Männer, was sonst nur Frauen gefragt werden. Wir wollen damit einen Dialog über Stereotypen in Gang setzen, zum Nachdenken und Schmunzeln anregen, aber auch Toxizität entlarven.

Thomas Vellacott ist Chef des WWF Schweiz. Warum er vom Private Banker zum Umweltschützer geworden ist, weshalb Frauen in diesem Bereich viel engagierter sind und was sein «guilty pleasure» in Sachen Konsum ist, erzählt er in den Männerfragen.

Du bist Chef des WWF Schweiz. Vorher warst du Private Banker und Berater. War dieses Umfeld zu hart für deine zarte Männerseele?

Ich hatte das Bedürfnis, etwas zu machen, das mir viel bedeutet. Und ich wollte mich für etwas einsetzen, das mir wichtig ist. Schon seit meiner Kindheit bin ich WWF-Mitglied. Als sich die Möglichkeit eines Wechsels zum WWF ergab, war das für mich eine Topmöglichkeit, die ich ergreifen wollte.

Herzig, dass ihr Männer immer eine Arbeit wollt, die sinnstiftend ist.

(Stutz und überlegt einen Moment.) Ich habe mir irgendwann die Frage gestellt, was mir wichtig ist. Vor meiner Tätigkeit für den WWF war ich bei der Citibank und bei McKinsey. Der Lohn hat sich dort zwar relativ steil entwickelt. Ich habe aber bald festgestellt, dass ich im Leben nicht zufriedener oder glücklicher bin, wenn ich mehr verdiene. Ich wurde später immer wieder mal gefragt, ob ich auf viel verzichtet hätte mit dem Wechsel zum WWF.

Thomas Vellacott
Für mich stand nicht die Karriere oder die Position im Vordergrund. Ich wollte etwas machen, das sinnvoll und wichtig ist.

Und, hast du?

In meinem ersten Job beim WWF habe ich 60 Prozent weniger verdient als vorher, doch zum Leben reichte es gut, und ich nahm die Lohneinbusse nicht wirklich als Verzicht wahr. Für mich stellte sich vielmehr die Frage: Wofür will ich meine Energie und meine Zeit einsetzen? Es war am Ende eine persönliche Wahl, die ich getroffen habe.

Männern fehlt halt auch der Bezug zu Geld und das Wissen darüber.

(Lacht.) Ja, bei mir war das tatsächlich ein bisschen so, bevor ich in die Berufswelt eintrat. Niemand aus meiner Familie oder meinem Umfeld war in der Banken- oder Businesswelt tätig. Mich hat es gereizt, diese Welt kennenzulernen.

Diese 60 Prozent Lohneinbusse konntest du dir nur leisten, weil deine Frau die Familie ernährte, oder? Ihr hattet ja zu dem Zeitpunkt schon ein Kind.

(Schmunzelt.) Wir haben uns abwechslungsweise finanziell immer mal wieder gegenseitig unterstützt und die Familie «durchgefüttert».

Und wie sieht es heute aus? Leistest du mit deiner Selbstverwirklichung tatsächlich einen substanziellen Beitrag an die Familien-Finanzen?

Das tue ich. Und meine Frau auch. Niemand von uns ist Haupternährer:in. Es hat sich immer so ergeben, dass mal sie und mal ich mehr gearbeitet haben. Dafür bin ich sehr dankbar, gerade in der Zeit, als unsere Kinder klein waren.

Apropos Kinder: Warum hast du eigentlich Kinder, wenn dir die Karriere so wichtig ist?

(Langes Schweigen.) Hmmm. Also zuerst einmal: Für mich stand nicht die Karriere oder die Position im Vordergrund. Ich wollte etwas machen, das sinnvoll und wichtig ist. Und die Zeit mit unseren Kindern möchte ich um nichts in der Welt missen, sie ist für mich sehr wertvoll und bereichernd.

Wie oft wurdest du als Vater bei Karriereschritten übergangen oder warst sonst beruflich benachteiligt?

(Schmunzelt.) Eigentlich nie. Mir wurde vieles ermöglicht. Als ich bei McKinsey tätig war, konnte ich eine viermonatige Auszeit nehmen, als unser Sohn zur Welt kam, und anschliessend in einem 80-Prozent-Pensum weiterarbeiten. Damals, vor über 20 Jahren, war das noch nicht so üblich. Beim WWF war das dann sowieso kein Thema mehr. Nur 14 Prozent unserer Mitarbeitenden arbeiten 90 Prozent und mehr. Bei uns ist schon lange Teilzeitarbeit auch auf Kaderstufe möglich. Ich konnte problemlos 80 Prozent arbeiten. Präsenzzeiten und Homeoffice sind flexibel kombinierbar.  Der WWF bietet gute Rahmenbedingungen für Eltern, von denen auch ich profitiert habe.

Was mich aber schon noch interessiert: Wie hast du es als Mann in eine Chefposition geschafft?

(Schaut leicht irritiert.) Nun ja, ich glaube, es war einerseits eine Frage des Timings, und andererseits habe ich Fähigkeiten und Erfahrung mitgebracht, die für die Stelle relevant sind.

Ach komm schon, deine blauen Augen, dein Charme, dein gutes Aussehen – das alles hat doch sicher einige Türen geöffnet?

Hahaha, nein, das glaube ich wirklich nicht. In meinen 20 Jahren WWF hat mich noch nie jemand auf meine Augen, mein Aussehen oder meinen Charme angesprochen.  

Thomas Vellacott
Frauen engagieren sich stärker im Umweltschutzbereich als Männer, da haben die Männer klar Nachholbedarf.

Wenn du das sagst. Anderes Thema: Natur- und Umweltschutz sind klassische Männerthemen. Macht es dich traurig, dass sich Frauen nicht dafür interessieren?

(Lacht.) Das Thema geht uns alle an. Wenn man einen Blick auf die Daten wirft, sieht man aber, dass sich Frauen deutlich mehr dafür einsetzen. Das beginnt beim eigenen Lebensstil und Dingen wie dem Kaufen von Bio-Produkten, Recycling, nachhaltigem Konsum und Fortbewegung:  Frauen leben nachhaltiger. Und dann gibt es auch grosse Unterschiede beim freiwilligen Engagement: Frauen engagieren sich stärker im Umweltschutzbereich als Männer, da haben die Männer klar Nachholbedarf.

Woran liegt das?

Ich glaube, es hängt mit zwei Dingen zusammen: Frauen leisten immer noch den überwiegenden Teil der Fürsorgearbeit auf der Welt. Da ist wohl naheliegend, dass auch hauptsächlich sie es sind, die sich um unsere Erde kümmern. Mit der Veränderung der traditionellen Rollenverteilung beginnen sich aber auch mehr und mehr Männer für das Thema zu interessieren und sich zu engagieren. Wir stehen da aber erst am Anfang.

Und der zweite Punkt?

Man hat lange nicht verstanden, dass die Umwelt auch einen grossen Einfluss hat auf klassische Männerthemen, wie beispielsweise die Finanzwelt. Diese Zusammenhänge erkennt man immer mehr. Wir haben beispielsweise Projekte, bei denen wir mit Zentralbanken zusammenarbeiten und sie auf Risiken des Biodiversitätsverlusts für die Stabilität des Finanzsystems aufmerksam machen. Diese zwei Welten, die mal völlig getrennt waren – Finanzen und Umwelt –, kommen jetzt viel stärker zusammen.

Thomas Vellacott
Wir alle haben bestimmte Bilder im Kopf, wenn es um die Vorstellung von Glück und Erfolg geht. Und wir müssen diese Bilder hinterfragen.

Ihr Männer seid ja wahnsinnig ernst, wenn es um die Klimakrise und die Umwelt geht: keine grossen oder schnellen Autos, keine Flugreisen, kein Fleisch ... Warum seid ihr solche Spassbremsen?

(Atmet schwer aus und schmunzelt.) Erstens ist die Klimakrise ein ernstes Thema. Es geht um die Zukunft unseres Planeten. Zweitens finde ich es spannend, darüber zu reden, was denn eigentlich Spass oder Glück ist. Macht es mich glücklich, viel Fleisch zu essen? Oder übers Wochenende irgendwohin zu fliegen? Oder macht es mich glücklich, Zeit mit Freunden zu verbringen? Oder in der Natur zu sein? Wir alle haben bestimmte Bilder im Kopf, wenn es um die Vorstellung von Glück und Erfolg geht. Und wir müssen diese Bilder hinterfragen. Wenn wir das nicht tun, übernehmen wir einfach Stereotype oder die Bilder und Ideen von jemand anderem. Das ist schade.

Was macht dich denn glücklich?

Mich machen viele Dinge glücklich. Das Gefühl, zu einer positiven Veränderung beitragen zu können. Teil einer Bewegung zu sein, die zu einer positiven Entwicklung beiträgt. Zeit in der Natur zu verbringen. Zeit mit meiner Familie und Freunden. Ein schöner Abend und vieles mehr.

Und was ist dein «guilty pleasure»?

Haha, es gibt schon Dinge, die ich mache, die ökologisch nicht top sind. Ich bin beispielsweise Vegetarier und nicht Veganer. Ich mag Milch und Käse wirklich sehr. Das führte immer wieder zu Diskussionen mit meiner Tochter. Da kann ich meinen Fussabdruck noch verbessern. Aber ich fühle mich bei diesem pleasure nicht guilty. Das bringt ja nichts. Wenn ich schon Milchprodukte konsumiere, dann will ich sie auch geniessen.

Wie gehst du mit dieser Ungerechtigkeit um, dass Frauen weltweit an den Schalthebeln der Macht sitzen und Männer die Folgen der Klimakrise zu spüren bekomme? Macht dich das nicht total wütend?

(Nickt zustimmend mit dem Kopf und atmet schwer aus.) Es ist wichtig, dass wir diese Krise gemeinsam und möglichst breit abgestützt angehen: Frauen, Männer, Norden, Süden. Es ist verheerend, wenn eine Gruppe alles dominiert. Das war in der Vergangenheit definitiv der Fall und ist es teilweise auch heute noch. Je mehr es uns gelingt, unterschiedliche Stimmen in diese Debatte zu bringen, umso besser. Es braucht Vielfalt, und wir müssen Mehrheiten schaffen können. Sonst kommen wir nicht voran.

Schön gesagt. Wir sind schon fast am Ende. Zum Abschluss noch die Lieblingsthemen der Männer: Styling und Beauty. Was ist dein liebstes nachhaltiges Modelabel?

Das möchte ich lieber nicht sagen. Nicht dass es am Ende heisst, der WWF macht Werbung für bestimmte Marken und Produkte.

Das versteh ich. Aber verrätst du uns dafür dein Beautygeheimnis?

Wald! (Strahlt.) Waldspaziergänge sind sowohl für die psychische wie auch die körperliche Gesundheit sehr gut und wichtig. Das kann ich nur empfehlen.