Wir fragen Männer, was sonst nur Frauen gefragt werden. Wir wollen damit einen Dialog über Stereotypen in Gang setzen, zum Nachdenken und Schmunzeln anregen, aber auch Toxizität entlarven.

Vater und Gesundheitsökonom Willy Oggier spricht in den Männerfragen über die Ungerechtigkeiten für Männer im Gesundheitswesen, warum er so aufmüpfig ist und darüber, wie er zum Shootingstar geworden ist.

Du bist eine echte Rarität: Ein männlicher Ökonom und dann auch noch einer, der sich mit Gesundheit befasst. Wie kam es dazu?

(Schmunzelt.) Ich bin tatsächlich eine Rarität, aber eher deshalb, weil ich familiär gar nichts mit Gesundheit und Medizin am Hut hatte. Dass ich studieren konnte, war nicht selbstverständlich. Meine Eltern hatten eine schwierige Ausgangslage. Meine Mutter hat als Kind ihre Eltern verloren, mein Vater war eines von neun Kindern. Beide mussten schon früh hart fürs Geld arbeiten. Als ich ein Kind war, waren sie in der Gastronomie tätig. Eine Branche, in der man alles andere als reich wird.

Willy Oggier
Ich bin aber zuversichtlich, dass sich die Medizin in den kommenden Jahren verändern wird. Auch, weil sich der Arztberuf zu einem Ärztinnenberuf entwickelt.

Schön, dass deine Eltern Geld in dich als Jungen investiert haben.

(Stutzt kurz.) Stimmt. Es war vor allem meine Mutter, die in meine Zukunft investiert hat. Mein Vater verstarb leider während meines Studiums. Aber meine Mutter hat viel für uns Kinder geopfert. Sie ging unter anderem 32 Stunden pro Woche putzen, damit wir unseren Weg gehen konnten. Dafür bin ich ihr sehr dankbar. Und ich versuche, das an meine Tochter weiterzugeben: Mir ist wichtig, dass sie eine gute Ausbildung macht.

Was macht sie denn?

Sie studiert Medizin, und sie ist eine richtige Macherin. Das hat sie in den Genen, vor allem von ihrer Mutter, die Kinderärztin ist. Ich hoffe, dass mein genetischer Teil meine Tochter nicht bremst.

Ach, ihr Väter seid immer so bescheiden. Ich möchte noch mal in deiner Vergangenheit stochern. Du hast an der HSG Volkswirtschaft studiert. Warum wählt ein junger, adretter Mann ein so komplexes, trockenes Fach?

Du meinst, ich hätte eher Betriebswirtschaft wählen sollen?

Sag du es mir.

Damals haben tatsächlich die meisten Betriebswirtschaft studiert. Wir Volkswirtschaftler waren ein kleines Grüppchen von 40 Leuten. Das Coole war, dass der Frauenanteil bei uns relativ hoch war. Das hat zu interessanten Gesprächen geführt und meine Weltanschauung geprägt.

Inwiefern?

Ich bin überzeugt, dass gemischte Teams die besten Ergebnisse hervorbringen und dass es enorm wichtig ist, sich mit verschiedenen Lebensrealitäten zu befassen. Ich hatte diese Chance schon im Studium. Themen wie Lohnungleichheit oder die Verteilung der Care-Arbeit haben wir damals schon diskutiert. Das hat mir viel gebracht, auch für mein eigenes Leben.

Und woher kam das Interesse für die Gesundheitsthemen?

Einerseits hat mir mein Vater mitgegeben, dass man nie mehr Geld ausgeben soll, als man einnimmt. Das hat dazu geführt, dass ich mich für das Thema Verschwendung interessiert habe. Im Gesundheitswesen ist Verschwendung immer wieder ein Thema. Im Kanton St. Gallen beispielsweise, wo ich studiert habe, waren die Gesundheitskosten zur Zeit meines Studiums der grösste Ausgabeposten im kantonalen Haushalt. Ich wollte die Gründe dafür analysieren.

Willy Oggier
Frauen bezahlen bei Zusatzversicherungen höhere Prämien, weil man ihnen allein die Kosten für eine mögliche Schwangerschaft anlastet.

Eigentlich seltsam, dass in einem Bereich, in dem so viele sparsame Männer in Spitzenpositionen sitzen, Geld verschwendet wird.

Wie viel das mit dem Geschlecht zu tun hat, weiss ich nicht. Im Gesundheitswesen werden grundsätzlich falsche Anreize gesetzt. Es braucht bei der Verteilung der Gelder mehr Augenmass, und es braucht in einer Gesellschaft, die immer älter wird, eine andere Medizin. Ich bin aber zuversichtlich, dass sich die Medizin in den kommenden Jahren verändern wird. Auch, weil sich der Arztberuf zu einem Ärztinnenberuf entwickelt.

Kannst du das erklären?

Ich hoffe, dass Frauen in der Medizin etwas andere Akzente setzen und neue Geschäftsmodelle vorantreiben. Es ist ganz wichtig, dass sich der Arztberuf besser mit der Familie vereinbaren lässt, beispielsweise dadurch, dass sich Ärzt:innen vermehrt eine Gruppenpraxis teilen oder dadurch, dass gewisse Positionen in den Spitälern besser in einem Teilzeitpensum ausgeübt werden können. Damit das funktioniert, müssen wir uns auch überlegen, welche Mittel diese neue Art zu arbeiten unterstützen können. Beispielsweise in Sachen Digitalisierung.

(Es folgt ein Redeschwall über Digitalisierung, Telemedizin, Forschung, Werte. Die Interviewerin lehnt sich zurück und wartet.)

Das klingt alles wahnsinnig kompliziert. Verstehst du diese Zusammenhänge alle tatsächlich?

Das wäre ein sehr hoher Anspruch. Aber ich versuche es. Ich verbringe einen Tag in der Woche nur mit Lesen von Journals und Fachzeitschriften. So mache ich mir ein Bild. Ich glaube, niemand im Gesundheitswesen kann von sich behaupten, alles zu verstehen.

Willy Oggier
Wir Männer sind die totalen Verdränger. Dinge, die unangenehm sein könnten, wollen wir einfach nicht wissen.

Bei welchen Expertinnen holst du Rat, wenn du nicht mehr weiter weisst?

Ich verlasse mich auf meine Partnerin. Sie ist Sozial- und Präventivmedizinerin. Früher habe ich mich auf meine Ex-Frau verlassen. Und zunehmend lasse ich mich auch von meiner Tochter beraten.

Anderes Thema: Was sagst du eigentlich zu den ganzen Ungleichheiten im Gesundheitswesen? Findest du es unfair, dass ihr Männer bei der Prävention ständig zu kurz kommt?

Wir sind selber schuld. Wir könnten durchaus gewisse Vorsorgeuntersuchungen durchführen lassen und tun es einfach nicht.

Woran das wohl liegt?

Das kann ich dir schon sagen.

Ja, bitte …

Wir sind die totalen Verdränger. Dinge, die unangenehm sein könnten, wollen wir einfach nicht wissen. Und vielleicht sind wir auch etwas weniger offen für Gesundheitsthemen. Frauen sind damit auch heute noch viel öfter konfrontiert, weil sie sich nach wie vor zu einem viel grösseren Teil um die Kinder kümmern. Da muss man immer wieder mal zum Arzt oder zur Ärztin.

Aber ihr Männer pflegt doch die kranken Angehörigen. Da kommt ihr auch mit Gesundheitsthemen in Kontakt.

(Schüttelt schuldbewusst den Kopf.) Es wird zum Glück besser. Aber wir Männer sind diesbezüglich leider noch sehr weit weg von dem, was Frauen leisten.

Zwei andere Punkte, bei denen ihr Männer zu kurz kommt. Erstens: Die Krankenkassenprämien für Zusatzversicherungen. Da werdet ihr ganz schön geschröpft.

Das ist tatsächlich eine systemische Ungerechtigkeit. Frauen bezahlen bei Zusatzversicherungen vor allem deshalb höhere Prämien, weil man ihnen allein die Kosten für eine mögliche Schwangerschaft anlastet. Das System agiert so, als wären Männer an einer Schwangerschaft überhaupt nicht beteiligt. Das ist natürlich Blödsinn und ein Fehler im System. Immerhin gibt es gewisse Versicherer, die Frauen tiefere Prämien für Zusatzversicherungen anbieten, sofern sich ein Paar beim selben Anbieter versichert.

Immerhin. Zum zweiten Punkt: Warum wird so viel Geld in die Erforschung von Frauenkrankheiten gesteckt und eure Männerkörper darben dahin?

(Lacht.) Oh ja, die Forschungsgelder waren in der Vergangenheit extrem schief verteilt. Ich habe aber grosse Hoffnung, dass sich das jetzt mit der Feminisierung des Ärzt:innenberufes ändert. Die Forschungsschwerpunkte könnten sich dadurch verschieben. Bei der Krebsforschung beispielsweise sehe ich jetzt schon, dass einige vielversprechende Forscherinnen arbeiten.

Wäre schön, wenn ihr Männer auch mal zum Standard werden würdet …

(Lacht herzhaft.) Ja, das wäre sehr schön.

Willy Oggier
Ich glaube, mein Aussehen hat nicht viel zu meiner Medienpräsenz beigetragen. Es waren wohl wirklich eher die frechen Worte.

Du bist ja ein richtiger Shootingstar unter den Ökonomen. Wie hast du das angestellt?

Ich habe das Rampenlicht nicht gesucht. Ich habe mich einfach immer wieder dezidiert und etwas provokant zu bestimmten Themen geäussert.

Ein Aufmüpfiger also.

(Schaut irritiert.) So kann man es auch sagen. Im Ernst: Ich glaube, es waren zwei Dinge, mit denen ich mich bei den Medien beliebt gemacht habe: Erstens habe ich versucht, komplexe Zusammenhänge einfach zu erklären. Zweitens habe ich immer deutliche Worte gefunden und mich pointiert geäussert. Diese Kombination mögen die Medien.

Und sie mögen attraktive Männer …

(Ist kurz sprachlos.) Also meine ersten Interviews waren mit Print-Zeitungen ohne Bild. Ich glaube, mein Aussehen hat nicht viel zu meiner Medienpräsenz beigetragen. Es waren wohl wirklich eher die frechen Worte.

Wenn du das sagst. Wie machst du das eigentlich, dass deine Haut so strahlend frisch aussieht?

Ich trinke jeden Tag zwischen zwei und drei Liter Wasser. Ich achte auf meine Ernährung und esse viel Früchte und Gemüse. Und ich habe seit Jahren zwei Gesichtscremen, die ich benutze, eine für den Tag und eine für die Nacht.

Und woher kommt das beeindruckend volle Haar?

Gute Frage (schmunzelt). Ich wasche meine Haare täglich, aber sonst mache ich nichts. Vermutlich habe ich einfach Glück.