Wir konfrontieren Männer mit Fragen, die nur Frauen gestellt werden. Wir wollen damit Stereotypen aufbrechen, aber auch Toxizität entlarven.

Urs Meier war 27 Jahre lang als Schiedsrichter in den Fussballstadien der Welt unterwegs. Mit uns spricht der sensible Familienvater über Autorität, Gefühle auf dem Platz und fehlende Solidarität unter Männern.

Warum interessierst du dich als Mann eigentlich für Fussball?

(Schmunzelt.) Ja, das weiss ich auch nicht. Keine Ahnung, woher meine Begeisterung ursprünglich kommt. Vielleicht hat es etwas mit dem Gemeinschaftlichen zu tun und damit, dass man als Mannschaft für etwas kämpft. Was ich sicher weiss, ist: Der Sport fasziniert mich, seit ich denken kann. Schon mit vier Jahren ging ich bei uns im Dorf regelmässig an Fussballspiele. Ich wollte damals als Linienrichter den Schiedsrichter unterstützen. Manche liessen mich das machen, andere fanden, ich sei dafür noch zu klein.

Du wolltest also schon immer Schiedsrichter und nicht Spieler werden?

Nein, nein, natürlich nicht. Man will doch als kleiner Junge nicht Schiedsrichter werden. Ich wollte Fussballstar werden und sah mich selbst als Mittelstürmer, der die Tore schiesst. Mein Traum war immer: Ich schiesse als Mittelstürmer mit einem Fallrückzieher im San-Siro-Stadion in Mailand für die Schweizer Nationalmannschaft gegen Italien in der 90. Minute bei einem Stand von null zu null das entscheidende Tor und bringe der Schweiz den Sieg.

Eine atypisch unbescheidene Vorstellung für einen Mann.

(Lacht herzhaft.) Ja, gell. Aber man muss ja Ziele im Leben haben. Und ich wollte natürlich ein Held sein.

Urs Meier
Am meisten Respekt bekommt man, wenn man sich selbst ist, mit Menschen anständig umgeht, auf Augenhöhe kommuniziert, Fehler zugeben kann und sich selbst nicht zu ernst nimmt.

Und was ist aus diesem Ziel geworden?

Ich habe viele Jahre beim SV Würenlos auf verschiedenen Positionen gespielt. Mit 14 Jahren habe ich realisiert, dass ich es nicht schaffen werde, als Profifussballer im San-Siro-Stadion vor 80'000 Zuschauern zu spielen. Ich habe mich gefragt: Wie könnte ich diesem Traum trotzdem möglichst nahekommen? Es gab für mich zwei Varianten: Schiedsrichter oder Trainer. Ich war damals aber noch zu jung, um Trainer zu sein. Also habe ich beschlossen, Schiedsrichter zu werden. Ich musste zwar noch vier Jahre warten, bis ich die Ausbildung machen konnte. Aber als ich dann 18 Jahre alt war, wurde ich Schiedsrichter.

Wie zielstrebig! Wie erging es dir in der Ausbildung? Waren die Fussballregeln für dich sehr kompliziert?

Ich musste die Regeln lernen, obwohl ich jahrelang Fussball gespielt hatte. Das Problem bei den Fussballern ist genau das: Sie haben keine Ahnung von den Regeln, bis sie sie für einen Test lernen müssen. Meine Ausbildung zum Schiedsrichter bestand damals aus einem einzigen Kurstag. Anschliessend wurde uns das Regelbuch in die Hand gedrückt, und wir mussten es selbst studieren. Eine Woche später pfiff ich mein erstes Spiel. Ich habe das Regelwerk innerhalb einer Woche auswendig gelernt und versucht, es zu verinnerlichen.

Wurden deine Entscheidungen auf dem Platz häufiger kritisiert und hinterfragt, weil du ein Mann bist?

(Es ist lange still.) Ähm, sie wurden eher weniger hinterfragt. Also, sogar viel weniger als bei Frauen, um ehrlich zu sein. Ich war ja eine Weile mit der Schiedsrichterin Nicole Petignat zusammen, und ihre Entscheidungen auf dem Platz wurden andauernd kritisiert. Auch, wenn sie völlig korrekt entschieden hatte, musste sie sich rechtfertigen.  

Und wie hast du dir Autorität und Respekt auf dem Platz erarbeitet?

Das muss von innen kommen. Wenn man sich Autorität erarbeiten oder antrainieren muss, wirkt sie aufgesetzt und nicht echt. Das spürt das Umfeld. Antrainierte Autorität funktioniert nicht. Am meisten Respekt bekommt man, wenn man sich selbst ist, mit Menschen anständig umgeht, auf Augenhöhe kommuniziert, Fehler zugeben kann und sich selbst nicht zu ernst nimmt.

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Wie wohl hast du dich in der frauendominierten Fussballwelt gefühlt?

(Schmunzelt.) Wenn das tatsächlich so wäre, hätte ich wahrscheinlich schon etwas Mühe gehabt. Ich war ganz froh, dass der Fussball männerdominiert ist.

Warum das?

(Wirkt verlegen.) Naja, ich hätte natürlich keine Mühe gehabt, wenn mehr Frauen in der Fussballbranche aktiv wären. Aber unter Frauen gibt es schon mehr Stutenbissigkeit. Ich habe das bei meiner Partnerin Nicole Petignat gesehen. Ihre härtesten Kritikerinnen waren immer Frauen. Keine Ahnung, woran das liegt.

Und wie ging es dir so mit den grossen Egos in der Branche?

Oh ja, die gibt’s natürlich schon, und die können wirklich sehr viel Raum einnehmen. Vor allem dann, wenn es bei grossen Turnieren in die Endrunde geht. Zu Beginn, bei den ersten Spielen, beschwören alle noch den Teamgedanken und sagen: Wir sind eine grosse Familie. Aber je weiter es Richtung Finale geht, desto mehr denkt jeder nur noch an sich, und jeder will sich möglichst in den Vordergrund rücken. Das ist unschön, aber man gewöhnt sich daran.

Solange sie nur schreien: «Schiri, du Arschloch» bist du ein Nobody. Wenn sie rufen: «Meier, du Arschloch», dann hast du es an die Spitze geschafft.

Als Schiedsrichter ist man nicht sehr beliebt. Wie fühlt es sich an, von Frauengruppen ausgebuht zu werden?

(Lacht.) Ich wurde tatsächlich schon von Frauengruppen ausgebuht, beziehungsweise von einer einzelnen Frau. Ich könnte heute noch ein Bild von ihr zeichnen.

Das scheint dich getroffen zu haben.

Sie hat mich vor allem zur Weissglut getrieben. Ich war damals Linienrichter, und sie stand direkt hinter mir. Jedes Mal, wenn ich für einen Eckball zum Tor kam, hat sie mich beschimpft und mir gesagt, wie schlecht ich sei. Ich bin eigentlich sehr gelassen. Aber irgendwann war es mir zu viel. Und ich habe sie zurechtgewiesen.

Haben dich die sexistischen Beschimpfungen von Fans verletzt?

(Runzelt die Stirn und schaut fragend.) Wie meinst du sexistisch? Waren die sexistisch? Das war mir gar nicht so bewusst. Mein Motto war immer, und das sage ich auch heute den jungen Schiedsrichter:innen: Du hast es erst richtig geschafft, wenn die Fans deinen Namen rufen. Solange sie nur schreien: «Schiri, du Arschloch» bist du ein Nobody. Wenn sie rufen: «Meier, du Arschloch», dann hast du es an die Spitze geschafft.

Wie haltet ihr Männer mit eurem sensiblen Gemüt das aus?

(Schmunzelt und nickt zustimmend.) Ich bin nicht Schiedsrichter geworden im Glauben, dass 20'000 Fans meinetwegen ins Stadion kommen und meine Leistung feiern. Ich wusste schon, worauf ich mich da einlasse. Aber man muss sich durchaus an die Kritik gewöhnen. Die ersten zwei Jahre ging mir alles direkt ins Herz, was über mich gesagt wurde. Ich hatte riesige Ohren, wie ein Trichter, und ich habe alles gehört und aufgesogen. In dieser Anfangszeit habe ich sehr unter all den Kommentaren gelitten.

Wie hast du gelernt, dich abzugrenzen?

Ich weiss ehrlich gesagt nicht mehr genau, wie mir das gelungen ist. Wahrscheinlich wurde ich mit der Zeit einfach abgehärtet. Irgendwann habe ich die Kommentare nicht mehr so ernst genommen und an mich herangelassen – ins eine Ohr rein und beim anderen wieder raus. Was mich aber meine ganze Karriere lang geschmerzt hat, war Kritik an meiner Ehrlichkeit und an meinen Werten.

Wie meinst du das?

Ich konnte irgendwann gut damit leben, wenn man Entscheidungen oder Fehler von mir kritisiert hat. Jeder macht Fehler, dazu konnte ich immer stehen und aus ihnen habe ich auch gelernt. Es gab aber Situationen, da hat man mir vorgeworfen, voreingenommen zu sein. Und ein Trainer, den ich mal vom Platz gestellt habe, hat mir unterstellt, ich hätte das aus rassistischen Gründen getan. Solche Dinge haben mich immer getroffen. Ich war immer fair, unparteiisch und sicher kein Rassist.

Ich habe mich bei meinen beiden älteren Kindern später dafür entschuldigt, dass ich viele Anlässe verpasst habe und wenig Zeit für sie hatte.

Ihr Männer seid Gefühlsmenschen. Ist es dir schwer gefallen, dich nicht davon leiten zu lassen?

Nein, eigentlich nicht. Als Schiedsrichter schlüpft man in die Richterrolle. Man weiss ganz genau, dass man sich nicht von Gefühlen leiten lassen kann, weil man dann schlechte Entscheidungen trifft, die auch nicht akzeptiert werden. Gefühle gehören nicht auf den Platz. Ich habe immer wieder versucht, den Zähler auf Null zu stellen und nicht voreingenommen in ein Spiel zu gehen.

Warum verdient ihr Schiedsrichter so viel weniger als die Fussballer:innen? Verhandelt ihr so schlecht?

Ich bin noch heute ein Verfechter der Professionalisierung des Schiedsrichterberufs. Wir verdienen nach wie vor massiv weniger als die Spieler auf dem Platz. Ich habe zum Beispiel einen Champions-League-Final gepfiffen und dafür 2750 Franken bekommen. Jeder Spieler aus dem Verliererteam hingegen bekam eine Prämie von 150'000 Franken. Ich habe mich aber auch nicht allzu sehr darüber aufgeregt. Sonst hätte ich aufhören müssen. Wir Schiedsrichter in der Schweiz wollten sogar mal streiken. Das ist aber nicht zustande gekommen, weil nicht alle mitmachen wollten.

Ihr Männer seid untereinander einfach nicht solidarisch.

Ja, scheint so. Am Ende ist jedem die eigene Karriere am wichtigsten. Das ist aber nicht meine Welt. Ich teile die Menschen immer in Haifische und Delfine ein. Ich will bei den Delfinen leben. Im Fussball hatte ich zwar immer wieder mit Haifischen zu tun. Man muss aber darauf achten, dass man die Haifische nicht zu den Delfinen reinlässt und dass man selbst nicht zu den Haifischen schwimmt.

Heute trifft man dich nicht mehr auf dem Platz, sondern auf Bühnen oder als Experten im Fernsehstudio. Wirst du da eingeladen, weil du so gut aussiehst?

(Lacht verlegen.) Danke für das Kompliment. Ich würde sagen, das Aussehen schadet sicher nicht. Aber das alleine reicht nicht aus. Ich muss schon auch inhaltlich noch was bieten – sowohl als Experte als auch als Keynote-Speaker.

Bist du oft einfach der Quotenmann?

(Lacht herzhaft.) Unterdessen geht es schon in diese Richtung. Aber bisher war ich nie der einzige Mann. Es würde mich stören, wenn ich nur als Quotenmann eingeladen würde oder weil ich einigermassen aussehe. Mir ist wichtig, dass ich wegen meiner Leistung angefragt werde.

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Du hast zwei erwachsene Kinder. Wer hat sich um sie gekümmert, als du durch die Fussballstadien der Welt gereist bist?

Wir hatten eine klassische Rollenverteilung. Meine Frau war Hausfrau und hat sich voll um die Familie gekümmert. Wir hatten das damals so vereinbart. Anders wäre es nicht möglich gewesen, weil ichwirklich viel unterwegs war. Ich habe ja jetzt mit meiner zweiten Frau eine neunjährige Tochter. Die Rollenverteilung ist ähnlich. Meine Frau ist meine Managerin, und wir arbeiten zusammen. Wenn ich unterwegs bin, kümmert sie sich um unsere Tochter. Das ist so vereinbart.

Warum hast du dich denn für Kinder entschieden, wenn du so viel weg bist?

(Schweigt einen Moment.) Das ist eine gute Frage. (Überlegt noch mal.) Ich war früher wirklich nicht sehr präsent und hatte wenig Zeit für meine Familie. Ich habe versucht, meine Abwesenheiten mit gemeinsamen Ferien zu kompensieren. Aber insgesamt war ich viel weg. Ich habe mich bei meinen beiden älteren Kindern später dafür entschuldigt, dass ich viele Anlässe verpasst habe und wenig Zeit für sie hatte.

Wir reden mit euch Männern immer noch gerne über Beauty. Darum zum Abschluss: Was ist da dein Geheimnis?

Natürlichkeit. Ich benutze keine Beautyprodukte und tue nichts für mein Aussehen. Ich setzte wirklich voll auf Natürlichkeit und Schönheit von innen.